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Cross-WM: Das unglaubliche Comeback des Kenenisa Bekele

Es ist erst gut vier Wochen her, da war Kenenisa Bekele nur noch ein Schatten seiner selbst. Statt des ursprünglich geplanten Angriffs auf den Zwei-Meilen-Weltrekord beim hochkarätigen Hallenmeeting in Brimingham, blieb ihm am Ende nur Rang zwei hinter seinem relativ unbekannten Landsmann Markos Geneti. In die Nähe des Weltrekordes war damals keiner der beiden Äthiopier gekommen. Kenenisa Bekele wirkte schwerfällig statt leichtfüßig, aus dem unbekümmerten jungen Mann war ein trauernder Läufer geworden, der eine Bürde mit sich herumschleppte.

Der 4. Januar 2005 hatte das Leben des Kenenisa Bekele verändert. An jenem Tag starb seine Verlobte Alem Techale. Die beiden wollten im Mai heiraten. Die erst 17-jährige Läuferin galt als eines der größten äthiopischen Leichtathletik-Talente. Schon als 15-Jährige war sie Jugend-Weltmeisterin über 1.500 m. Ihr Tod hätte tragischer kaum sein können. Bei einem gemeinsamen Waldlauf mit Kenenisa Bekele in der Nähe von Addis Abeba brach die junge Läuferin zusammen. Bekele brachte sie ins Krankenhaus, doch auf dem Weg erlag sie wahrscheinlich einem Herzinfarkt. Eine Autopsie fand nicht statt, die Beerdigung war aus religiösen Gründen schon am Tag darauf. Sie fand unter großer Anteilnahme von äthiopischen Weltklasseläufern in Asela statt, dem Geburtsort des äthiopischen Läuferstars Haile Gebrselassie.

Zweimal war Kenenisa Bekele in der Hallensaison gestartet, zweimal belegte er den für ihn ungewöhnlichen zweiten Platz. „Im Sommer wird er wieder der alte sein“, hatte sein holländischer Manager Jos Hermens schon damals erklärt, der Anfang Januar umgehend zur Trauerfeier nach Äthiopien gereist war. Und noch etwas sagte Jos Hermens vor vier Wochen: „Ich hoffe auf die Cross-WM. Wenn er nicht gewinnt, wäre das unter diesen Umständen keine Überraschung. Aber er hat eine Chance, denn er hat großes Potenzial.“

Nun schaffte Kenenisa Bekele bei den Cross-Weltmeisterschaften in St. Galmier (Frankreich) tatsächlich das Double. Und er gewann sowohl die Kurz- als auch die Langstrecke zum vierten Mal in Folge – eine in der Leichtathletik-Historie einmalige Leistung. Es war ein unglaubliches Comeback.

In St. Galmier präsentierte sich ein ganz anderer Kenenisa Bekele als noch in der Hallensaison im Februar. Der 22-jährige 10.000-m-Olympiasieger und Weltrekordler wirkt wieder leichtfüßig und hat auch entsprechend Gewicht verloren. „Ich war selbst überrascht über diese Leistung“, erklärte Jos Hermens, nachdem sich Kenenisa Bekele über die Kurzstrecke mit fünf Sekunden Vorsprung vor dem Kenianer Abraham Chebii durchgesetzt hatte.

Chebii, der seit einigen Monaten mit einer Gruppe von Langstreckenläufern bei Trainer Dieter Hogen im neu formierten KIMbia-Team trainiert, blieb in der entscheidenden Phase am Ende des Rennens über gut vier Kilometer im Matsch stecken. Er kam nicht dazu, seinen gefürchteten langen Endspurt anzusetzen, mit dem er Kenenisa Bekele bereits einmal geschlagen hat. „Meine Taktik ging nicht auf, aber so etwas kann im Crossrennen passieren“, erklärte Abraham Chebii, der Kenenisa Bekele gratulierte zu seinem großen Comeback: „Seine Leistung ist unter diesen Umständen wirklich erstaunlich.“

Nach einer aus religiösen Gründen vorgeschriebenen Trauerzeit von 40 Tagen konnte Kenenisa Bekele zuletzt wieder richtig trainieren. Und er durfte sich auch wieder rasieren. Ohne den ungewohnten Bart lief er nun in Frankreich zum Gold und bewertete den Erfolg anschließend so hoch wie keinen anderen: „Ich schätze diesen Sieg unter diesen Umständen höher ein als meinen Olympiasieg im vergangenen Jahr. Ich danke Gott und allen, die mir geholfen haben in dieser schweren Zeit – besonders Jos Hermens und seinem Team. Ich habe zweierlei Gefühle in meinem Herzen: Freude und Trauer.“ Für seine Zukunft, so Bekele, sei dieser Sieg ein Meilenstein gewesen.

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