Newsarchiv

Newsarchiv

Der New York City Marathon 2001

Allan Steinfeld ist Race Director vom New York City Marathon. Im folgenden

Beitrag, exclusiv für den real,- BERLIN-MARATHON geschrieben, fasst er

seine Gedanken zu der Durchführung seines Laufes nach den Ereignissen des

11. September 2001 zusammen. Allan Steinfeld war auch anlässlich des 28.

real.- BERLIN-MARATHON und des Meetings der AIMS Board of Directors Vereinigung

in Berlin. Er hielt vor dem Start des 28. real,- BERLIN-MARATHON am 30.

September 2001 eine kurze Ansprache an die Teilnehmer des Laufes, die zum

Gedenken an den 11. September ein grosses Banner (40 m x 25 m - gesponsert von

der Bewag) mit den Logos der Läufe von New York City und Berlin und den

Worten „UNITED WE RUN“ über ihren Köpfen trugen. Zusammen

mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit gab er den

Startschuss ab. Allan Steinfeld ist links auf dem Bild zusammen mit dem

Regierenden Bürgermeister und dem Race Director des real,- BERLIN-MARATHON

Horst Milde zu erkennen. Das Banner wurde auch beim New York City Marathon am

4. November 2001 zunächst von über 50 Race Directors aus aller Welt

am Start an der Verrazano Narrows Bridge gemeinsam gehalten und dann, dekorativ

für das Fernsehen aus aller Welt, auf dem Boden geschützt zwischen

den vielen Bussen ausgebreitet, die die Teilnehmer zum Start brachten.

Ein Tag, den wir nie vergessen

Der Morgen des 11. September war sonnig und warm, ganz so wie die Tage zuvor.

Es war 8.50 Uhr, und ich saß im Taxi, das mich zur Arbeit brachte.

Plötzlich kam im Radio die Meldung, dass ein Flugzeug am World Trade

Center zerschellt sei.

Ich war zwar entsetzt, glaubte zunächst aber, es würde sich

vielleicht um eine ein- oder zweimotorige Propellermaschine mit nur wenigen

Passagieren handeln. Erst als ich im Büro ankam und dort alle um den

Fernseher herum standen, wurde mir bewusst, dass wir Zeugen eines Ereignisses

wurden, das uns alle für immer prägen und verändern würde.

Ich erinnere mich noch, wie wir alle am Fernsehbildschirm klebten und Szenen

wie aus einem Horror- oder Science-Fiction-Film verfolgten, jedoch im

schrecklichen Bewusstsein, dass die Bilder Wirklichkeit waren.

 

</p

"New York City" /> </p

"Allan Steinfeld, Klaus Wowereit, Horst Milde 2001" />

 

Später am Nachmittag machte ich einen Lauf um das Staubecken im Central

Park, und immer wieder ging mein Blick Richtung Süden, wo ein brauner

Schleier aus Rauch und Asche aus der Feuersbrunst aufstieg, und als der Wind

drehte, spürte auch ich den beißenden Rauch in der Kehle. Die Tage,

die folgten, waren voller Verzweiflung und Tränen. Die Zahl der Toten

wuchs stündlich, und immer neue Geschichten von Familien, die im

Ungewissen über das Schicksal ihnen nahe stehender Menschen waren, kamen

uns zu Ohren.

Am Sonntag, dem 16. September, wollten wir im Central Park einen Benefizlauf

für den Kampf gegen Brustkrebs veranstalten, für den bereits 30 000

Frauen gemeldet hatten. Aus Sicherheitsgründen musste der Lauf jetzt

jedoch abgesagt werden. Erst in diesem Moment dachten wir in Sorge an unseren

Marathon, denn plötzlich wurde uns klar, dass er ebenso den

Sicherheitsbedenken zum Opfer fallen könnte. Sogleich rief ich bei der

Stadtverwaltung an, um zu erfahren, ob es in dieser Hinsicht bereits

Überlegungen gab. Ein paar Tage später erreichte uns die Antwort,

dass der Marathon stattfinden kann, vorausgesetzt jedoch, es würde keine

weiteren Anschläge geben. Zumindest konnten wir jetzt alle erst einmal

durchatmen.

Allerdings erfuhren wir noch am gleichen Abend aus den Nachrichten, dass auf

Pier 94 – dem Gelände für unsere Marathonmesse – die

Notfallzentrale eingerichtet wird, die als Anlaufpunkt für all diejenigen

dienen sollte, die seit dem 11. September Angehörige vermissten. Die Leute

kamen mit Fotos, ließen DNA-Proben nehmen oder brachten Kleidung und

Decken für Überlebende. Wir setzten uns wieder mit der Stadt in

Verbindung, und da niemand wusste, ob der Pier für den Marathon wieder zur

Verfügung stehen würde, suchten wir gemeinsam fieberhaft nach einer

Alternative. Schließlich fanden wir ein Ausweichquartier im Javits

Center, wo ganz früher einmal die Marathonmesse stattgefunden hatte. Damit

hatten wir eine wichtige Hürde genommen, ohne uns die Knie

aufzuschlagen.

Unsere Rennvorbereitung ging nun ihren Gang, mit einigen kleinen

Änderungen hier und da. Ende September kam der Vorschlag, dass ich zum

AIMS-Treffen nach Berlin fliegen sollte. Viele Leute rieten mir jedoch dringend

davon ab, ein Flugzeug zu besteigen. Ich dachte kurz darüber nach und

antwortete ihnen: „Wie sollen wir Läufer aus aller Welt zur

Teilnahme an unserem Lauf und damit zur Unterstützung unserer Stadt und

unseres Landes bewegen, wenn wir selbst Angst vorm Fliegen haben?" Die

Entscheidung war also nicht schwer. Ich hatte große Hoffnung, dass mein

Erscheinen in Berlin der Welt zeigen könnte, dass die Terroristen nicht

gesiegt hatten und uns auch nie besiegen würden.

Die vom BERLIN-MARATHON ausgehende Unterstützung für New York war

überwältigend. Ganz besondert bewegt war ich von dem riesigen Banner,

dass neben den Logos der Marathonläufe von Berlin und New York die

Aufschrift „UNITED WE RUN“ trug. Jener Tag in Berlin war eine

Inspiration -– ein Tag, den ich nie vergessen werde. Voller Enthusiasmus

kehrte ich anschließend nach New York zurück.

Der 4. November wurde zu einem Tag, der in die Geschichte der Leichtathletik

eingeht. Zweieinhalb Millionen Menschen waren an diesem Tag in New York auf den

Straßen, um die Läufer aus aller Welt anzufeuern, die mit ihrer

Teilnahme an unserem Lauf demonstrieren wollten, dass sie sich vom Terrorismus

weder aufhalten noch einschüchtern lassen. Zum ersten Mal seit den

tragischen Ereignissen konnte die Stadt ihren aufgestauten Emotionen freien

Lauf lassen und der zuschauenden Welt zeigen, wer wir wirklich sind: ein

tapferes, unbeugsames Volk.

Das “United We Run”-Banner wurde von den Renndirektoren aus

vielen Ländern entrollt, so dass es alle Welt sehen konnte. Als vor dem

Start die amerikanische Nationalhymne erklang, war wohl jeder auf der

Verrazano-Bridge tief bewegt. Im Anschluss daran ließen wir die

Friedenstauben aufsteigen, bevor die Kanone abgefeuert wurde und der New York

City Marathon begann.

Allan Steinfeld

Race Director

NYC-Marathon

 

Anzeige

Anzeige