Bei nunmehr 23 Auflagen hat sich eine der über 100 deutschen
Silvesterlaufveranstaltungen stetig und konsequent an die Spitze geschoben, die
heuer einen Großteil der nationalen Elite wie auch die Läufer der
Region in ihren Bann zieht: der Bietigheimer Silvesterlauf. Die 40 000
Einwohner zählende Stadt mit dem Doppelnamen “ Bietigheim-Bissingen,
am Zusammenfluss von Enz und Mutter nahe der Mündung in den Neckar und 25
km von der Landeshauptstadt Stuttgart gelegen, ist lauftoll. Die keineswegs
einfach zu laufende Doppelrunde von 10,710 Kilometern wird von über
zehntausend Zuschauern gesäumt, die sich natürlich im historischen
Altstadtkern stärker drängen wie in den Enzwiesen, die
Hauptattraktivität spielt sich hingegen im Start- und Zielbereich an der
Sporthalle am Viadukt ab, wo „action pur“ angesagt ist. Eine kleine
Laufmesse, ein Bühnenprogramm und natürlich die der Jahreszeit
angemessenen Glühweinstände sind schon eine Attraktion für die
Laufinteressierten der Region.
Der beim Silvesterlauf federführende Förderkreis Leichtathletik
mit Willi Steffl an der Spitze hat es mit dem nötigen finanziellen
Background geschaffen, einen Silvesterlauf zu konzipieren, der sich
klammheimlich neben Trier zum Topevent in Deutschland gemausert hat. „So
stark wie in diesem Jahr war unsere Besetzung noch nie“ umriss dann auch
Chef-Organisator Steffl stolz den Stellenwert der Veranstaltung in der 1200
Jahre alten württembergischen Kleinstadt Bietigheim. Irina Mikitenko gegen
Luminita Zaituc, Susanne Ritter und Petra Wassiluk bei den Frauen, die
Marathon-Bestenlisten-Führenden Carsten Schütz und Martin Beckmann
gegen Hindernismeister Filmon Ghirmai und die aus Äthiopien stammenden in
Deutschland lebenden Terefe Desaleng und Gamachu Roba – ein Feld vom
Feinsten, das sich ein Veranstalter nur leisten kann, wenn die heimische
Industrie bestens aufgestellt ist. Angeführt von der Nobelmarke Porsche
fließt entsprechend auch viel Gewerbesteuer in die Stadtsäckel von
Bietigheim-Bissingen, das als eine der wenigen deutschen Städte von sich
sagen kann, es sei schuldenfrei – und sich zum Dank an den wichtigsten
Arbeitgeber ein Feuerwehrauto Marke Porsche leisten kann....
Irina Mikitenko: „Gute Basis für die
Olympiasaison!“
Auch wenn der Bietigheimer Silvesterlauf nur eine Momentaufnahme im
Wintertraining für die vielen Spitzenläufer sein kann, es gab im
weiten Rund der Enzauen viele zufriedene Gesichter und hoffnungsfrohe Gedanken
an das in jeder Hinsicht ereignisreiche Jahr 2004. Allen voran Irina Mikitenko,
die in einem eher verkorksten Jahr mit vielen Verletzungen sich mit einer
eindrucksvollen Laufdemonstration zurück in die Szene melden konnte.
„Ich habe in Flagstaff sehr gut trainiert“ bekannte die
Olympiafünfte von Sydney frei heraus. „Und bin aktuell
schmerzfrei“ fügte die Weltklasseläuferin aus dem hessischen
Hassenroth bei Gelnhausen sichtlich erleichtert hinzu. Nach Wochen intensiven
Trainings weiss die gebürtige Kasachin, wo sie an der Schwelle zur
Olympiasaison steht. „Ich bin auf der profilierten Strecke glatte 32:00
Minuten durchgelaufen. Das ist doch nicht schlecht, wenn man derzeit 160
Wochenkilometer läuft?“ fragt sie zur Bestätigung in die Runde.
„Mir fehlen zwar noch die Tempoläufe, aber die Basis ist eine sehr
gute. Heute hätte ich schon noch schneller laufen können!“
Brauchte sie aber nicht, denn die gewiss hochkarätige Konkurrenz folgte
mit merklich anwachsendem Rückstand. Mit 34:19 Minuten lief Irina zudem
einen phantastischen Streckenrekord, den bislang Luminita Zaituc mit 36:05
gehalten hatte.
Das Duell um Rang zwei sicherte sich überraschend Susanne Ritter, der
aufgrund einer Pollenallergie ihre Schwerpunkte auf die Wintersaison
zwangsläufig verlegen muss – und auch noch unter dem bisherigen
Kursrekord blieb. Und zwar dies gegen keine Geringere als ihre prominente
Teamkollegin der LG Braunschweig, Luminita Zaituc, der
Europameisterschaftszweiten von München und Frankfurt-Marathon-Siegerin
2003. „Das ist doch ein super Jahresausklang!“ freute sich die
25jährige Susanne Ritter im Ziel. Zwar hatte sie auf die deutsche
Vorzeigeläuferin Irina Mikitenko einen beträchtlichen Rückstand,
doch das wog angesichts ihres überraschenden Erfolges über
„Lumi“ ungleich schwerer. „Mein Fokus ist auf die
Cross-Weltmeisterschaften in Brüssel und auf den 24. Bewag BERLINER
HALBMARATHON am 04.04.04 gerichtet – dann werde ich mich auf meine
Examensarbeit konzentrieren und das Laufen folgt erst an zweiter
Stelle!“
Doch auch Luminita Zaituc zeigte sich nicht unzufrieden. Schließlich
musste sie nach ihrem Sieg beim Frankfurt-Marathon Ende Oktober erst eine
regenerative Trainingspause einlegen, um für den Start in die
Olympiasaison entsprechend gerüstet zu sein. „Das war heute mein
erster Tempolauf seit meinem Wiedereinstieg ins Training – und dafür
lief es doch schon sehr ordentlich. Ich bin gerade vier Sekunden langsamer als
vor einem Jahr gelaufen, da war ich trainingsmäßig schon viel
weiter.....!“
Den kompletten Braunschweiger Erfolg sicherte sich die Hindernis-Jahresbeste
Birte Bultmann auf Rang vier. Stark aber auch die besten Läuferinnen der
Region, schließlich schaffte mit Stephanie Maier die Freundin des
Männer-Zweiten Martin Beckmann den fünften Platz vor der für den
VfL Waiblingen startenden Christine Schleifer. Erst dahinter die Tschechin Jana
Bauckmannova, die für den ortsansässigen Verein LG Neckar-Enz
startet. Die zweifache Olympiateilnehmerin und Silvesterlauf-Siegerin 2001
Petra Wassiluk läuft nach ihrem offiziellen Rücktritt natürlich
längst nicht mehr so stark wie früher und landete etwas anonym als
Neunte im großen Verfolgerfeld.
Carsten Schütz: „Selten so euphorische Zuschauer
gesehen!“
Ähnlich klar wie bei den Frauen dominierte auch der deutsche
Marathon-Ranglistenerste Carsten Schütz das Renngeschehen bei den
Männern. Nach einer Runde hatte sich der Wattenscheider von seinen
hartnäckigen Verfolgern Martin Beckmann und Dominik Burkhardt schon
lösen können, andere wie der Silvesterlaufsieger von 2000, Terefe
Desaleng waren schon deutlich abgeschlagen. Mit 31:20 lief Carsten Schütz
auch einen neuen Kursrekord, den bislang der Algerier Zouhair Querdi bei seinem
Vorjahressieg in 31:32 fixiert hatte. „Ich habe selten so euphorische
Zuschauer gesehen“, wunderte sich der Wattenscheider über die
Begeisterung der Bietigheimer am Streckenrand. Aber auch über seine Form
zum Jahreswechsel. „Ich bin aber auch von mir begeistert! Das hätte
ich nun wirklich nicht erwartet!“
Sehr zur Freude der Zuschauer holte sich Martin Beckmann Rang zwei vor
Dominik Burkhardt und Terefe Desaleng. Als „Gewächs der
Region“ gab es natürlich viele persönliche Anfeuerungsrufe
für den Leinfelder, der im Vorjahr überraschend deutscher
Marathonmeister in Berlin werden konnte und als Hoffnungsträger der
längsten olympischen Distanz gilt. „Ich bin natürlich super
zufrieden. Angesichts des Starterfeldes hatte ich mich schon abgefunden, dass
ich eventuell hier nur als Fünfter oder Sechster einlaufen würde.
Aber ich bin hier volle ‚Kanne’ angelaufen und es hat sich gelohnt:
Platz zwei ist natürlich meine absolute beste Platzierung!“
Wilfried Raatz
Ergebnisse: 23. Bietigheimer Silvesterlauf (10,71
km):
Männer: 1. Carsten Schütz (TV Wattenscheid) 31:20, 2. Martin Beckmann
(LG Leinfelden-Echterdingen) 31:47, 3. Dominik Burkhardt 31:51, 4. Terefe
Desaleng (beide LG Eintracht Frankfurt) 32:21, 5. André Green (LG
Wedel-Pinneberg) 32:31, 6. John Schondelmayer (Sparda-Team Rechberghausen)
32:36, 7. Filmon Ghirmai (LAV Tübingen) 32:37, 8. Gamachu Roba (Eth/ ASC
Darmstadt) 32:48, 9. Matthias Weippert (LAV Rostock) 32:58, 10. Holger
Freudenberger (SG Walldorf Astoria) 33:26. Frauen: 1. Irina Mikitenko (LG
Eintracht Frankfurt) 34:19, 2. Susanne Ritter 35:59, 3. Luminita Zaituc 36:09,
4. Birte Bultmann (alle LG Braunschweig) 37:14, 5. Stephanie Maier (LG
Leinfelden-Echterdingen) 37:31, 6. Christine Schleifer (VfL Waiblingen) 38:03,
7. Jana Bauckmannova (Tschechien) 38:30, 8. Jeannine Hagedorn (TSV Bayer
Leverkusen) 38:35, 9. Petra Wassiluk (LG Eintracht Frankfurt) 38:40, 10. Anja
Schnabel (LAZ Salamander Kornwestheim) 39:04, 11. Jeannette Vrga (ASC
Darmstadt) 39:10, 12. Katrin Knoke (TV Wattenscheid) 40:04.