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Lebenszeichen - Alte Knochen

Die "Alten Knochen" vom "Methusalon" BERLIN-MARATHON

Weltgrößte Rentner-Demonstration in Berlin

Im folgenden veröffentlichen wir einen Artikel aus der "DIE

ZEIT", Nr. 17 vom 17. April 2004 von Harald Martenstein.

Der real,- BERLIN-MARATHON ist - nach seiner Sichtweise - "die

weltgrößte Rentner-Demonstration". Das wäre sicherlich

für die Rentenkasse der endgültige ko, denn nach der Ergebnisliste

des 30. real,- BERLIN-MARATHON 2003 ist der Hauptteil der laufenden

rüstigen "Rentner" in Berlin von der AK M 35 - M 40, sowohl

weiblich, als auch männlich. So jung waren Rentner eigentlich noch nie in

Deutschland. Zumindest kann der BERLIN-MARATHON nach dieser Aussage von Harald

Martenstein mit guten Gewissen in das Guinness-Buch der Rekorde - das hat auch

seinen Wert. Vielleicht kann das "marathon-forum" mit medizinischen

Hinweisen helfend eingreifen, denn "Mein Knie ist immer noch lädiert.

Aber es wird schon!" - sagt Harald Martenstein auf Nachfrage

wörtlich.

Horst Milde

Einmal pro Jahr findet in Berlin die weltgrößte

Rentner-Demonstration statt. Sie trägt den Titel

»Berlin-Marathon«. Ich stehe meistens mit einer Whisky-Cola am

Straßenrand, lasse die gewaltigen Herden grauhaariger Mitbürger

jenseits der 70 an mir vorüberziehen, spüre im Raum der Geschichte

den Widerhall der ebenso gewaltigen, ebenso grauen Gnuherden, die einst Afrikas

Steppen unter ihre Hufe nahmen, und denke: »Die Sportart Marathon sollte

auf Deutsch zutreffender Methusalon heißen.« Und: »Eines

fernen Tages werde auch ich im idealen Marathonalter sein.« Letzte Woche

bin ich, um mich auf meinen Lebensabend vorsichtig vorzubereiten, auf dem

Fließband in der Fitness-Lounge zum ersten Mal fünf statt drei

Kilometer gelaufen. Am nächsten Morgen war das linke Knie so groß

wie der Schädel eines neugeborenen Elefantenbabys. Ich schmierte

fingerdick Mobilat drauf. Mobilat ist einer der drei großen deutschen

Medizinmythen. Aus den germanischen Göttern Thor, Odin und Frigga sind im

heutigen Volksglauben Mobilat, Olbas sowie Klosterfrau Melissengeist geworden.

Der Tag, an dem in der Höhle unterm Kyffhäuser der Bart von Kaiser

Barbarossa nicht mehr wächst, wird auch der Tag sein, an dem die Deutschen

nicht mehr an Mobilat glauben, und an genau diesem Tage wird unser Vaterland

gurgelnd in der Ostsee versinken.

Tags darauf war die große Demo gegen Sozialabbau. Ich sollte als

Senior Comparing Reporter berichten, weil ich mich als Einziger im Büro

noch an Demos von früher erinnern kann. Das Mobilat hatte nicht geholfen.

Es hilft eigentlich nie. Abzusagen traute ich mich nicht. Also bin ich vom

Gendarmenmarkt bis zum Brandenburger Tor mitgehinkt. Um das Knie hatte ich eine

fleischfarbene elastische Binde gewickelt, die mit Klebeband befestigt war,

weil ich die Befestigungszacken für elastische Binden in der Eile nicht

hatte finden können. Doch wegen des flutschigen Mobilats rutschte die

Binde, wickelte sich ab und schlängelte sich aus dem Hosenbein. Erst nach

einer Weile habe ich gemerkt, dass ich wie eine Fahne eine drei Meter lange,

fleischfarbene, aus dem Hosenbein lappende Elastikbinde hinter mir herzog,

während ich, hinkend und mit zusammengebissenen Zähnen, zahlreiche

zeitkritische Beobachtungen in mein Notizbuch eintrug.

Am Montagmorgen entsprach das Knie dem Schädel eines geschlechtsreifen

Elefantenbullen. In der Arztpraxis war ich der Jüngste. Die anderen

Männer waren fast alle über 70, ihre Jacketkronen blitzten, es waren

Marathonläufer. Einer hatte seine kleine Tochter dabei. Der Orthopäde

stellte fest: >Meniskusproblem.« Zur Sprechstundenhilfe: »Geben

Sie ihm Schmerztabletten.« Zu mir: »In Ihrem Alter hilft die Natur

sich noch selbst.« Dann ging er, des Satans Orthopäde, zu

irgendeinem Hundertjährigen, dem die Natur definitiv nicht mehr hilft, um

ihm fürs New York Marathon eine Sehne aus Titanium ins Kniegelenk zu

ätzen. Ich bestreiche mich jetzt zweimal täglich am ganzen

Körper fingerdick mit Mobilat. Es hilft nicht. Aber ich bin zu jung

für einen deutschen Orthopäden.

 

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