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Paula Radcliffes Befreiung in New York

„Es ist keine olympische Goldmedaille. Aber die Welt hat gesehen, was sie

kann: Paula Radcliffe hat den New-York-City-Marathon gewonnen.“ So

antwortete Allan Steinfeld, der Race-Direktor des Laufspektakels, auf die Frage

nach einer Einschätzung der Leistung von Paula Radcliffe. Die

30-jährige Engländerin hat mit einer enormen Energieleistung ein

katastrophales Jahr doch noch mit einem Erfolg beendet. Nach erstklassigen

2:23:10 Stunden, der drittschnellsten Zeit des Jahres, lief sie als Siegerin

ins Ziel im Central Park und hatte dabei nur ganze vier Sekunden Vorsprung vor

der Kenianerin Susan Chepkemei. Nie zuvor hatte es in der 35-jährigen

Geschichte des New-York-Marathons bei den Frauen ein derart enges Finish

gegeben. Bei den Männern gewann der Südafrikaner Hendrik Ramaala in

2:09:28 Stunden. Und so hatten die Sieger eine parallele Vorgeschichte: Denn

beide hatten beim olympischen Marathon von Athen rund zehn Wochen zuvor

aufgegeben.

Doch es war vor allem das Comeback von Paula Radcliffe, das in New York im

Mittelpunkt stand. Schließlich hatte die Marathon-Weltrekordlerin

(2:15:25 Stunden) in Athen einen doppelten Knockout verkraften müssen. Als

große Favoritin im Marathon an den Start gegangen, hatte der Traum vom

ersten olympischen Gold nach 36 Kilometern am Straßenrand ein Ende.

Weinend saß Paula Radcliffe am Boden, nachdem sie in den extremen

klimatischen Bedingungen aufgegeben hatte. Fünf Tage später versuchte

sie sich über 10.000 Meter – und kam wieder nicht ins Ziel. Der

olympische Alptraum war perfekt. Es war nicht das erste Mal, dass Paula

Radcliffe mit leeren Händen von einer großen Meisterschaft

zurückkehrte. In den britischen Medien wurde sie teilweise

abgeschrieben.

Erst zwölf Tage vor dem Start hatte Paula Radcliffe überraschend

noch nachgemeldet für das größte Marathonspektakel der Welt,

bei dem am Sonntag die Rekordzahl von 37.257 Läufern an den Start gingen

und zwei Millionen Zuschauer die Strecke säumten. Angesichts der für

Marathon-Verhältnisse eigentlich zu kurzen Regenerations- und

Vorbereitungszeit seit Athen ein hohes Wagnis. Es hätte auch im dritten

Debakel binnen drei Monaten enden können, zumal in der Nacht vor dem

Rennen eine leichte Magenverstimmung hinzukam. „Ich habe die Spaghetti

Bolognese nicht vertragen und hoffte nur, dass während des Rennens nichts

passieren würde“, erklärte Paula Radcliffe. „Das Training

war gut gelaufen, deswegen hatte ich mich entschlossen, hier zu rennen. Ich

wäre nicht gekommen, wenn ich nicht in der Form für einen Sieg

gewesen wäre.“ Mit der Startnummer F111 war sie ins Rennen gegangen.

Die ungewöhnlich hohe Nummer für eine Favoritin hatte ihr schon

einmal Glück gebracht – bei ihrem Marathondebüt in London 2002

gewann sie ebenfalls mit der F111.

„Vielleicht war es physisch ein gewisses Risiko, hier zu

starten“, erklärte Paula Radcliffes Manager und Mann Gary Lough.

„Aber Paula fühlte sich gut, und sie freute sich darauf, wieder

einen Wettkampf laufen zu können. Es ging nicht darum, hier irgendjemandem

etwas beweisen zu wollen. Wichtig war für Paula, die Freude am Laufen

wieder zu finden.“ Das ist ihr in New York gelungen, obwohl sie

kämpfen musste, um zum vierten Mal im fünften Marathon zu gewinnen.

„Es war ein schweres Rennen am Ende eines harten Jahres. Aber jetzt

fühle ich mich wieder gut – so wie ich mich früher gefühlt

habe. Athen war die größte Enttäuschung meiner Karriere. Danach

war es wichtig, wieder zurück zu kommen und Erfolg zu haben“, sagte

Großbritanniens Sportlerin des Jahres der vergangenen Jahre, für die

die BBC sogar kurzfristig das Fernsehprogramm änderte. Das Rennen der

Paula Radcliffe wurde live übertragen.

„Es ist sehr schwer, das auszugleichen, was in Athen passiert ist. Das

lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Aber es ist vorbei, und

ich schaue nach vorne“, sagte Paula Radcliffe, die überrascht war

von der Zuschauerunterstützung, die sie in New York erfuhr. „Es

waren sehr viele Briten an der Strecke, die mich anfeuerten. Ruhig war es

eigentlich nur auf dem ersten Stück, als es nach dem Start über die

Verrazano Narrows Bridge ging. Da habe ich dann die Aussicht auf die

Freiheitsstatue genossen.“ Am Ende war der New-York-Marathon eine

persönliche Befreiung für Paula Radcliffe.

 

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