Eine große Siegserie ging zu Ende, eine andere hat begonnen. Und beide
Male geht es um Kenianer. Zehn Jahre in Folge hatten die Läufer aus Kenia
den prestigeträchtigen Boston-Marathon gewonnen, von 1991 bis 2000. Der
letzte nicht-kenianische Sieger hieß 1990 Gelindo Bordin (Italien). Doch
bei der 105. Auflage des Traditionsrennens war es vorbei mit diesem
Sieg-Abonnement. Der Koreaner Bong-Ju Lee gewann das Rennen von Hopkinton nach
Boston in 2:09:43 Stunden vor Silvio Guerra (Ecuador/2:10:07). Während die
kenianischen Stars keine Rolle spielten, sorgte ausgerechnet ein Debütant
für die beste Platzierung dieser Läufer: Joshua Chelang’a wurde
in 2:10:29 Stunden Dritter. Doch Kenia durfte sich nicht einmal eine
Viertelstunde später mit dem Beginn einer neuen Siegserie trösten.
Denn Catherine Ndereba gewann zum zweiten Mal in Folge den Boston-Marathon. Bei
leichtem Gegenwind, bedecktem Himmel und Temperaturen von etwa 12 Grad Celsius
sorgte die 28-Jährige mit ihrer Siegzeit von 2:23:53 Stunden für das
hochkarätigste Ergebnis des Tages. Lee und Ndereba erhielten für
ihren Sieg jeweils 80.000 Dollar. Mit 15.606 gemeldeten Läufern war es der
drittgrößte Boston-Marathon der Geschichte. Zum wiederholten Male
entwickelte sich in Boston ein Rennen, bei dem es ausschließlich um den
Sieg bei diesem prestigeträchtigen Straßenlauf ging, nicht um
schnelle Zeiten. Da die Verantwortlichen des Rennens zudem Pacemaker aus
grundsätzlichen Erwägungen nicht einsetzen, beginnen die Favoriten
oft verhalten. So war es auch dieses Mal. Zwar setzten sich Simon Mpholo und
Makhosonke Fika (beide Südafrika) gemeinsam mit dem Briten Bashir Hussain
frühzeitig etwas ab, doch die Stars um Moses Tanui, Vorjahressieger Elijah
Lagat (beide Kenia) sowie Olympiasieger Gezahegne Abera (Äthiopien)
hielten sich zurück und passierten die 10-km-Marke nach 30:56 Minuten.
Damit hatten sie 24 Sekunden Rückstand auf die beiden Südafrikaner,
während Hussain dazwischen lag. Das verhaltene Tempo der Favoriten, das
einer Endzeit von knapp unter 2:11 Stunden entspricht, hatte zur Folge, dass
diese Gruppe mit rund 30 Athleten sehr groß war. Und nur wenige verloren
den Kontakt in der nächsten halben Stunde. 46:20 und 62:03 Minuten waren
die Zwischenzeiten der Favoritengruppe für die Kilometerpunkte 15 und 20.
Die Hälfte des Rennens war dann nach 65:21 Minuten gelaufen. Jetzt gab
es allerdings schon die erste Überraschung. Denn Moses Tanui, einer der
ganz großen Favoriten, der den Boston-Marathon 1996 und ’98
gewonnen hatte und im vergangenen Jahr in einer Spurtentscheidung hinter Lagat
und Abera Dritter geworden war, verlor bereits Kontakt zu der etwa
25-köpfigen Gruppe. Nachdem es Elijah Lagat auf den nächsten
Kilometern ähnlich ergangen war und er bei der 25-km-Marke (Durchgangszeit
der Spitze: 1:17:19) bereits hinter Tanui liegend eine gute halbe Minute
Rückstand hatte, sagte ihr italienischer Coach Gabriele Rosa: „Meine
beiden Sprinter, Tanui und Lagat, sind nicht mehr dabei – jetzt wird
Abera ein leichtes Rennen zum Sieg haben.“ Er war nicht der einzige, der
nun auf den Olympiasieger setzte. Doch das große Favoritensterben ging
auf der hügeligen Boston-Marathon-Strecke, die zwar insgesamt
abfällt, aber aufgrund der vielen Höhenunterschiede längst nicht
jedermanns Sache ist, weiter. Und es traf auch den Äthiopier. Bei
Kilometer 30 (1:32:39) war der erst 22-Jährige noch dabei, doch bald
danach war auch sein Traum vom Boston-Sieg geplatzt.
Während Abera schon an der 35-km-Marke rund 30 Sekunden hinter der
Spitze (1:48:01) lag, hatten sich Lee, Guerra, Chelang’a und David Kiptum
Busienei (Kenia) abgesetzt. Der koreanische Olympiazweite von Atlanta sorgte
dann mit immer neuen Tempoverschärfungen dafür, dass zunächst
Kiptum Busienei und schließlich knapp drei Kilometer vor dem Ziel auch
Chelang’a und Guerra nicht mehr mithalten konnten. „Ich war mir
meiner Sache sehr sicher“, sagte der 30-jährige Lee. Guerra hatte
erneut Pech, dass nur einer in Boston schneller war. Vor zwei Jahren lag er
lange in Führung und wurde dann noch sieben Kilometer vor dem Ziel vom
späteren Sieger Joseph Chebet (Kenia) überholt.
Bei den Frauen gehören Siegserien inzwischen zum Programm des
Boston-Marathons. Während der letzten zehn Auflagen gab es nur vier
verschiedene Siegerinnen. 1992 und ’93 hatte Olga Markowa (Russland)
gewonnen, von 1994 bis ’96 siegte Uta Pippig, gefolgt von Fatuma Roba
(Äthiopien/1997 – ’99) und nun Catherine Ndereba (2000 und
2001). Das ist umso bemerkenswerter, weil in Boston das Frauenrennen oft so
hochklassig besetzt war wie bei kaum einem anderen Marathon. Das galt auch
für dieses Jahr. Trotz des vergleichsweise zu den Männern von Beginn
an schnelleren Tempos, blieben acht Läuferinnen während der ersten 25
km zusammen in einer Gruppe. Nach 34:35 Minuten für 10 km, 69:14 für
20 km, 1:13:05 Stunden für die erste Hälfte und 1:26:55 für 25
km hatten Ndereba, die am Ende überraschend in 2:26:42 zweitplatzierte
Polin Malgorzata Sobanska (London-Marathon-Siegerin 1995), Ljubow Morgunowa
(Russland), Lornah Kiplagat (Kenia), Fatuma Roba (Äthiopien), Irina
Timofejewa (Russland), die New-York-Marathon-Siegerin 2000 Ludmila Petrowa
(Russland) und Wei Yanan (China) die jeweiligen Punkte passiert.
Wieder einmal zeigte sich dann, dass in Boston jene Athleten die besten
Karten haben, die mit dem Auf und Ab über die verschiedenen Hügel am
besten zurecht kommen. Und das war einmal mehr die 28-jährige Catherine
Ndereba, deren Gegnerschaft sich in den Newton-Hills schon bald nur noch auf
die Olympiasiegerin von 1996, Fatuma Roba (Äthiopien), beschränkte.
Bei 30 km (1:44:07) waren diese zwei noch zusammen, doch nach dem Heartbreak
Hill bei 32 km war Catherine Ndereba auf dem Weg zu ihrem dritten großen
Marathonsieg in Folge: Nach Boston 2000 hatte sie auch Chicago gewonnen. Nun
lag sie bei 35 km (2:00:36) bereits über eine Minute vor den
Verfolgerinnen und bereits 92 Sekunden vor der einbrechenden Fatuma Roba, die
am Ende nur Fünfte wurde. Mit ihren 2:23:53 Stunden lief Catherine Ndereba
die siebtschnellste je in Boston gelaufene Zeit. Für die schwierigere
zweite Hälfte der Strecke wurde die Kenianerin in 70:47 Minuten gestoppt.
Nunmehr hat Ndereba, die in Chicago zuletzt 2:21:33 gelaufen war, große
Pläne: „Mein Ziel ist jetzt der Weltrekord, der ist mir wichtiger
als der WM-Marathon in Edmonton. Einen Rekordversuch will ich jedoch nicht im
nächsten Jahr in Boston starten, denn die Strecke ist zu schwer, und man
braucht auf jeden Fall Rückenwind“, sagte Catherine Ndereba, die
sich einen schnellen Herbstmarathon aussuchen wird.
Ergebnisse: Männer: 1. Bong-Ju Lee (Kor) 2:09:43, 2. Silvio Guerra
(Ecu) 2:10:07, 3. Joshua Chelang’a (Ken) 2:10:29, 4. David Kiptum
Busienei (Ken) 2:11:47, 5. Hussein Mbarek (Ken) 2:12.01, 6. Rod De Haven (USA)
2:12:41, 7. Laban Nkete (RSA) 2:12:44, 8. Fedor Ryjow (Rus) 2:13:54, 9. Fika
Makhosonke (RSA) 2:14:13, 10. Timothy Cherigat (Ken) 2:14:21, 11. Joshua
Kipkemboi (Ken) 2:14:47, 12. Moses Tanui (Ken) 2:15:05, 13. Joao N’Tyamba
(Ang) 2:16:00, 14. Josh Cox (USA) 2:16:17, 15. Shem Kororia (Ken) 2:17:02, 16.
Abera Gezahegne (Eth) 2:17:04, 17. Elijah Lagat (Ken) 2:17:59, 18. Motsehi
Moeketsana (RSA) 2:18:13, 19. Mark Coogan (USA) 2:18:58, 20. Makoto Ogura (Jpn)
2:20:24. Frauen: 1. Catherine Ndereba (Ken) 2:23:53, 2. Malgorzata Sobanska
(Pol) 2:26:42, 3. Ljubow Morgunowa (Rus) 2:27:18, 4. Lornah Kiplagat (Ken)
2:27:56, 5. Fatuma Roba (Eth) 2:28:08, 6. Irina Timofejewa (Rus) 2:28:50, 7.
Ludmila Petrowa (Rus) 2:29:23, 8. Wei Yanan (Chn) 2:29:52, 9. Bruna Genovese
(Ita) 2:30:39, 10. Kaori Tanabe (Jpn) 2:31:31, 11. Albina Galliamowa (Rus)
2:32:45, 12. Zhang Shujing (Chn) 2:33:43, 13. Gitte Karlshoj (Den) 2:36:36, 14.
Jill Gaitenby (USA) 2:36:45, 15. Susannah Beck (USA) 2:37:12, 16. Shireen
Crumpton (Nzl) 2:40:25.