Zwei Läufer, die nicht unbedingt zu den Topfavoriten zählten,
gewannen den bestbesetzten Marathon des Frühjahres: Abdelkader El Mouaziz
siegte bei der 21. Auflage des London-Marathons nach einem spannenden
Rennverlauf in der Jahresweltbestzeit von 2:07:11 Stunden. Während der
Marokkaner bereits vor zwei Jahren überraschend in London gewonnen hatte
und im vergangenen November auch in New York triumphiert hatte, gelang Derartu
Tulu der erste Marathonsieg ihrer Karriere. Die 29-jährige
Äthiopierin, die 1992 und acht Jahre später in Sydney olympisches
Gold über 10.000 m gewonnen hatte, lief 2:23:57 Stunden. Bei kühlen
Temperaturen von anfangs 7 Grad Celsius und einem leichten Wind, der allerdings
mehr von hinten kam, wurden die hochgesteckten Erwartungen zwar im Hinblick auf
die Spannung erfüllt, nicht ganz jedoch was die Zeiten der Sieger angeht.
Beide erhielten für ihre Leistung neben einer Siegprämie von 55.000
Dollar noch ein Zeitgeld von 25.000 Dollar.
Im Blickpunkt stand bei dem Rennen mit rund 31.000 Startern in London
natürlich das Marathon-Debüt von Paul Tergat. Mit zweiten
Plätzen hat der Kenianer bekanntlich Erfahrung. Bei den letzten beiden
Olympischen Spielen und den vergangenen zwei Weltmeisterschaften hatte Paul
Tergat jeweils Silber über 10.000 m gewonnen. Nun belegte er Rang zwei
auch bei seinem ersten Rennen über die klassischen 42,195 km in
London.
Gemessen an der Qualität des Spitzenfeldes, in dem gleich fünf
Athleten Bestzeiten von unter 2:07 Stunden aufwiesen, war das Tempo bei den
Männern eher verhalten. Das hatte zur Folge, dass die große Gruppe
der Favoriten lange Zeit zusammen blieb. Nach 30:38 waren die ersten 10 km
gelaufen, nach 45:43 Minuten 15 km. Das ist entspricht einer Zielzeit von 2:08
Stunden. Und vor allen Dingen der spätere Sieger Abdelkader El Mouaziz war
es, der schon zu diesem Zeitpunkt die Tempomacher mehrfach aufforderte,
schneller zu laufen. Nachdem die Hasen kurz hinter der Tower Bridge bei der
Hälfte des Rennens (63:51 Minuten – 63:30 waren geplant)
ausgestiegen waren, führte Abdelkader El Mouaziz kurzzeitig alleine.
„Doch ich wollte zu diesem frühen Zeitpunkt nicht mit Athleten wie
António Pinto oder Tergat im Rücken laufen“, erklärte
der Marokkaner, warum er die Konkurrenten wieder herankommen ließ. Sechs
Läufer waren nun an der Spitze: Neben El Mouaziz und Tergat liefen der
Vorjahressieger António Pinto (Portugal), die beiden Äthiopier
Tesfaye Jifar und Tesfaye Tola sowie Japhet Kosgei (Kenia), der
Trainingspartner von Paul Tergat. Nur noch zu fünft waren sie an der
Spitze bei 30 km (1:30:55), denn der Olympiadritte Tola hatte zwischenzeitlich
ebenso aufgegeben wie der Brite Jon Brown.
Weitere fünf Kilometer später fiel eine erste Vorentscheidung. Zum
wiederholten Male versuchte Abdelkader El Mouaziz sich zu lösen. Und
dieses Mal war der 32-Jährige erfolgreich. Pinto fiel als erster
zurück, danach Kosgei und Jifar, die der Portugiese jedoch noch
überholen sollte. Mit dem Marokkaner jedoch konnte zunächst nur noch
Paul Tergat mithalten, der das Geschehen mit einigen Metern Abstand
beobachtete. Allerdings auch nicht mehr lange. Als es in die entscheidende
Phase eines Marathons kam, die für den Kenianer Neuland bedeutete, war der
fünffache Cross-Weltmeister nicht mehr frisch genug, um mit dem
späteren Sieger mitlaufen zu können. Seit dem New-York-Marathon hatte
Abdelkader El Mouaziz kein einziges Rennen mehr bestritten. „Nach diesem
Rennen musste ich mich lange ausruhen und dann ganz gezielt trainieren für
London. Wenn ich zwischendurch angetreten wäre, wäre ich heute nicht
so stark gewesen“, erklärte der Marokkaner.
Das Rennen der Frauen hatte mit einer negativen Überraschung begonnen.
Denn noch vor der 5-km-Marke blieb die Vorjahressiegerin Tegla Loroupe (Kenia)
plötzlich auf der Straße stehen und fing an, Dehnübungen zu
machen. Muskelprobleme waren bei ihr zu einer Erkältung hinzugekommen.
Rund eine Minute verlor Tegla Loroupe an dieser Stelle, bevor sie weiterlief
und in bravouröser Manier die Verfolgung aufnahm. Die neunköpfige
Spitzengruppe hatte währenddessen ein Tempo angeschlagen, das im Bereich
der Weltbestzeit lag. Nach 16:33 Minuten war der 5-km-Punkt erreicht. Und auch
noch eine zweite Gruppe, die von Marleen Renders (Belgien) angeführt
wurde, war an Tegla Loroupe vorbeigelaufen.
Entgegen kam Tegla Loroupe dann, dass das Tempo im Verlaufe des Rennens an
der Spitze etwas langsamer wurde. 15 km waren von den beiden Tempomacherinnen
Pamela Chepchumba (Kenia) und Restituta Joseph (Tansania) in 50:09 Minuten
gelaufen, 20 km in 1:07:36. Als Chepchumba nach der Hälfte (71:21) an der
Tower Bridge ausgestiegen war und Joseph weiter ins Ziel joggte (2:43:52),
waren nun neben Tulu noch die Olympiazweite Lidia Simon (Rumänien) und
Elfenesh Alemu (Äthiopien) ganz vorne. Wenige Meter zurück und bald
wieder an der Spitze liefen Joyce Chepchumba (Kenia), die Sydney-Dritte, die
auch in London Dritte werden sollte (2:24:12). Zwei andere – Swetlana
Zakharowa (Russland), die schließlich Zweite wurde (2:24:02) und Nuta
Olaru (Rumänien) – liefen im Schlepptau von Loroupe nach vorne. Rund
45 Sekunden lag die Kenianerin zu diesem Zeitpunkt noch hinter der Spitze, doch
gut zehn Kilometer später war sie plötzlich wieder ganz vorne dabei.
Allerdings hatte Tegla Loroupe bei ihrer spektakulären Aufholjagd zu viel
Kraft gelassen. Als Derartu Tulu auf den letzten Kilometern Druck machte, waren
Loroupe und Olaru als erste geschlagen. Doch auch die anderen Läuferinnen
konnten dem langen Schlussspurt der 10.000-m-Olympiasiegerin nichts mehr
entgegen setzten. Nur noch zwei auf die Strecke stürmende Zuschauer
hätten sie stoppen können, doch die Ordnungskräfte verhinderten
ein derartiges Desaster.
Ergebnisse: Männer: 1. Abdelkader El Mouaziz (Mor) 2:07:11, 2. Paul
Tergat (Ken) 2:08:15, 3. António Pinto (Por) 2:09:36, 4. Tesfaye Jifar
(Eth) 2:09:45, 5. Japhet Kosgei (Ken) 2:10:45, 6. Mark Steinle (Gbr) 2:10:46,
7. Takayuki Inubushi (Jpn) 2:11:42, 8. Abel Antón (Spa) 2:11:57, 9.
Hendrick Ramaala (RSA) 2:12:02, 10. Gert Thys (RSA) 2:12:11, 11. Mark Hudspith
(Gbr) 2:13:13, 12. Joseph Mereng (Ken) 2:13:26, 13. Mohammed El Hattab (Mor)
2:14:27, 14. Alfred Shemweta (Swe) 2:15:34, 15. Eric Wainana (Ken) 2:15:43, 16.
Craig Kirkwood (Nzl) 2:16:25, 17. Simon Pride (Gbr) 2:16:27, 18. David Makori
(Ken) 2:17:09, 19. Billy Burns (Gbr) 2:18:29, 20. Rob Holladay (Gbr) 2:19:26,
…, 32. John Kagwe (Ken) 2:23:28. Frauen: 1. Derartu Tulu (Eth) 2:23:57,
2. Swetlana Zakharowa (Rus) 2 :24:04, 3. Joyce Chepchumba (Ken) 2:24:12, 4.
Lidia Simon (Ken) 2:24:15, 5. Elfenesh Alemu (Eth) 2:24:29, 6. Nuta Olaru (Rom)
2:25:18, 7. Alina Iwanowa (Rus) 2:25:34, 8. Tegla Loroupe (Ken) 2:26:10, 9.
Adriana Fernandez (Mex) 2:26:22, 10. Madina Biktagirowa (Rus) 2:27:14, 11.
Marleen Renders (Bel) 2:28:31, 12. Harumi Hiroyama (Jpn) 2:29:01, 13. Larisa
Wassilewskaja (Rus) 2:31:36, 14. Irina Bogachewa (Rus) 2:32:28, 15. Theresa
Duffy (Irl) 2:35:27, 16. Lynne Macdougall (Gbr) 2:37:20, 17. Bev Hartigan (Gbr)
2:37:45, 18. Sara Cedillo (Mex) 2:38:53, 19. Tania Jones (Gbr) 2:39:10, 20.
Mika Adachi (Jpn) 2 :41:35.