Deutschland ist zu einseitig auf den Fußball fixiert, was auch über
politische Entscheidungen gesteuert wurde. Das erklärte der Tübinger
Sportwissenschaftler Prof. Helmut Digel im Sportausschuss des Deutschen
Bundestages. Deutsches sportwissenschaftliches System "das teuerste der
Welt"
Andere Sportarten ausgegrenzt
Digel kritisierte, deutsche Parlamente hätten bei der Abfassung eines
Staatsvertrags entschieden, dass Olympische Spiele und
Fußball-Großereignisse im Free-TV zu übertragen sind, und
dabei - im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten - andere Sportarten
ausgegrenzt. "Der Staat hat damit das Wahrnehmungsbild von Sport in der
Öffentlichkeit mit gesteuert", sagte Digel.
Organisation des Hochleistungssports - ein
Systemvergleich
Digel, der auch Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes
IAAF ist, stellte im Sportausschuss gemeinsam mit dem scheidenden Direktor des
Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp), Martin-Peter Büch, den
Abschlussbericht der Studie "Organisation des Hochleistungssports - ein
Systemvergleich zwischen den erfolgreichsten Sportnationen bei den Olympischen
Spielen" vor.
Mit ihr werden die äußere und innere Organisation des Spitzensports
in den USA, in Australien, China, Frankreich, Russland, Italien,
Großbritannien und Deutschland verglichen.
Enorme finanzielle Mittel
Digel bilanzierte: "Das deutsche System ist sehr gut, weil sich der
Bundesinnenminister in den vergangenen drei Jahrzehnten im Hochleistungssport
sehr engagiert hat. Was dem Spitzensport zur Verfügung gestellt wird, sind
enorme finanzielle Mittel. Sie haben es auch möglich gemacht hat, dass wir
moderne Strukturen aufbauen konnten."
Als eine der deutschen Schwächen bezeichnete der Sportsoziologe die
Absicherung von Trainern: "Das ist ein Schlüsselproblem für die
Zukunftsentwicklung. Ich wünsche mir, dass wir hier von anderen Nationen
etwas lernen und endlich das Berufsbild aufwerten." Zudem müssten
sich die Universitäten ("Sie bringen den geringsten Beitrag zur
Förderung des Hochleistungssports") und die deutsche Wirtschaft
stärker um die Begleitung von Sportlerkarrieren bemühen. Auch die
Gymnasien böten keinen günstigen Resonanzboden für die
Spitzensportförderung.
Das deutsche System ist nicht effizient
Das deutsche sportwissenschaftliche System mit 60 Instituten an
Universitäten bezeichnete Digel als "das teuerste der Welt". Es
biete keine den Hochleistungssport begünstigenden Erkenntnisse. Das
semiprofessionelle System sollte verändert werden, zumal die USA und
Australien mit ihren nationalen Sportinstituten in Colorado Springs und in
Canberra erfolgreiche Zentralinstitute geschaffen hätten.
Das japanische Institut leiste sich sogar 1.100 Mitarbeiter. Als
"Sündenfall der Sportpolitik" bezeichnete Digel die
Entscheidung, das BISp von Köln nach Bonn zu verlagern; dadurch habe es
seine enge Anbindung an die Deutsche Sporthochschule Köln und an die
Trainerakademie verloren.
Kein Austausch der Talente
Als beispielhaft bezeichnete Digel die Vorgabe des britischen
Leichtathletikverbandes "UK Athletics", Qualifikationsprofile
für Haupt- und Ehrenamtler im Sport zu fordern. Die sogenannte
drop-out-Quote sei in beinahe allen Spitzensport-Nationen ein Problem. Hingegen
biete Italien mit seinen Sportstellen bei Carabinieri und Polizeibehörden
eine "enorme strukturelle Absicherung für junge Athleten".
Ein weiterer Mangelpunkt ist nach Digels Worten der in Deutschland fehlende
Austausch der Talente zu anderen Sportarten hin. Wer in der Leichtathletik
nicht Topklasse werde, könnte doch im Handball zum Spitzenspieler reifen.
"In anderen Ländern wird dies systematisch organisiert. Australien
leistet mit seinem challenge sports coordinator Vorbildliches."
Schiedsrichter
Zum aktuellen Problem der Schiedsrichter, in die öffentliche Diskussion
durch die Hoyzer-Betrugsaffäre gekommen, erklärte Digel: "Das
Sportsystem hat weltweit diese Berufsgruppe in ihren steuernden Planungen
vergessen.
Die Probleme kamen für mich nicht überraschend. In anderen
Ländern wird dies schon längst diskutiert, ist dann aber wieder
beiseite geschoben worden."
Quelle:
www.dsb.de