<p">Rudern ist eine alte Tradition an den englischen
Universitäten von Oxford und Cambridge. Es ist eine Sportart, die Kraft,
Ausdauer und Koordination erfordert und zwar als Mitglied einer Besatzung von
acht Männern oder Frauen mit Steuermann oder -frau. Als Liebhaber des
Langstreckenlaufens, schätzen wir die Qualitäten nur all zu gut, die uns zu
einer persönlichen Bestzeit treiben. Ob Rudern und Langstreckenlaufen
dahingehend etwas gemeinsam haben?
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Jess Barker liefert uns das Beispiel einer kürzlich promovierten Studentin, die
beides gemacht hat. Als Studentin ist die 22-Jährige im Frauenboot für ihr
,Alma Mater’, Jesus College, Cambridge, gerudert. Zudem ist sie den Flora
London-Marathon 2005 in einer Zeit von 3:42:19 gelaufen.
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Rudern wird groß geschrieben am Jesus College, obwohl diese akademische
Institution verschiedene Talente entwickelt hat und nicht nur im sportlichen
Bereich: Steve Fairbairn, einer der besten britischen Ruderer im 19.
Jahrhundert, war Student am Jesus College so wie Laurence Sterne,
Schriftsteller und Autor von ,Tristram Shandy’ im späten 18. Jahrhundert. Der
Dichter Samuel Taylor Coleridge, der sich viel für deutsche Literatur
interessierte, vor allem den Philosophen Immanuel Kant, studierte an dem
College im frühen 19. Jahrhundert.
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„In der Schule habe ich mich nicht für einen sportlichen Typen gehalten”, sagt
Jess Barker. „Damals bin ich ein bisschen gelaufen, ab und zu ein Cross-Rennen
über Hampstead Heath in Nord-London und gelegentlich 1500 oder 3000 Meter auf
der Bahn bei den Schulmeisterschaften.” Sie hat auch beim Londoner
Mini-Marathon teilgenommen aber ohne besonderen Erfolg. Als sie nach Cambridge
ging, entschloss sie sich zum Rudern. Vielleicht erklärt sich diese
Entscheidung mit den Genen, denn ihr Vater, über 1,84 Meter groß, ist auch
gerudert während ihre Mutter den drahtigen Körperbau einer geborenen
Langstreckenläuferin besitzt.
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Am Jesus College entdeckte Jess Barker die Welt des Ruderns: im Durchschnitt
absolvierte sie vier Trainingseinheiten auf dem Wasser pro Woche, dazu zwei mit
Gewichten in der Sporthalle und zwei ,Ergo-Einheiten’, wo Leistung als
Individuum und Mitglied der Mannschaft über eine bestimmte Strecke von einem
Ergometer gemessen wird. Diese letzteren Prüfungen fanden in der Halle statt
und bestanden entweder aus einer halben Stunde mit gleichmäßigem Tempo oder der
gefürchteten 2-Kilometer-Prüfung, in der jedes Mannschaftsmitglied so schnell
wie möglich rudern muss.
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Zusamengehörigkeit war auch wichtig. Nach Trainingseinheiten hat die Mannschaft
oft zusammen gegessen, besonders am Abend vor einem Rennen. Es gibt in
Cambridge traditionelle Wettbewerbe, die ,Bumps’ heißen: jedes College darf
mehrere Boote aufs Wasser bringen, sie sind im Rennen gegen die Mannschaften
von anderen Colleges, und wer überholt wird, wird ,bumped’ und verliert. Die
siegreiche Mannschaft verdient den Titel ,Head of the River’, d.h., das beste
Boot auf dem Cam.
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Technik war nicht ihre Stärke aber sie besaß Ausdauer und das Gefühl, mit
anderen, technisch überlegenen Ruderinnen im selben Boot zu sein, war ein
,Wow’, eine herrliche Erfahrung, wenn es alles gut ging. In ihrem letzten Jahr
an der Uni hat sie sportlich mehr oder weniger gewechselt und konzentrierte
sich aufs Laufen. Grund dafür waren Zeitdruck und die bevorstehenden
akademischen Prüfungen.
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Sie setzte sich ein großes Ziel, als sie sich im Herbst 2004 entschloss, den
Flora London-Marathon im nächsten Jahr zu laufen. Statt des Cam-Flusses, war
ihr Trainingsgebiet jetzt die flache Landschaft in Cambridge. Aber es ging gut,
zweimal lief sie 1:40 bis 1:45 Stunden für den Halbmarathon und 45 Minuten über
10 km. Die lange Zeit auf den Beinen war im Gegensatz zum Rudern, wo man mit
einer Viertelstunde hundertprozentiger Anstrengung rechnen und auf die Hinweise
des Steuermannes achten musste. „Beim Laufen konnte ich mich auf mich selbst
konzentrieren. Aber ich bin zweimal 20 Meilen im Training gelaufen, und das
fand ich hart.”
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Am Renntag ging es gut nach Plan: „Ich hatte vor, mit einem Tempo innerhalb von
8:30 Minuten pro Meile zu laufen, wurde aber langsamer über die letzten vier
bis fünf Meilen.” Der Zielstrich wurde in 3:42:19 Stunden erreicht, aber
„danach konnte ich kaum gehen.” Eine Massage am selben Tag hat der Erholung
viel geholfen.
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Jess Barker hat zwei sportliche Leistungen vollbracht: einen der größten
City-Marathonläufe absolviert und schnelle, harte Rennen im Ruderboot. Wie
vergleicht sie ihre Fitness zu diesen Zeitpunkten?
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“Als ich im zweiten Studienjahr meine besten Ergebnisse bei den Ergo-Einheiten
im Rudertraining hervorbrachte, hätte ich bestimmt nicht 45 Minuten über 10
Kilometer auf der Straße laufen können. Und umgekehrt: in den Wochen nach dem
London-Marathon fiel es mir sehr schwer, bei einem Ergo-Test mitzuhalten. Das
Erlebnis, mich auf einen Marathon vorzubereiten und dann zu laufen, war einfach
anders.”