Eigentlich ist es wie immer. Wenn Dieter Baumann irgendwo auftritt, dann
passiert etwas. Spektakuläres und/ oder schlichtweg eine Laufdemonstration
par excellance. Die Medien reißen sich um Wortfetzen des deutschen
Vorläufers. So war es jahrein, jahraus. Gestern wie heute. Doch die beiden
Jahre zwangsverordneter Auszeit haben den Dieter Baumann von früher
zwangsläufig nachdenklich gemacht, die Wortwahl deutlich akzentuiert,
abwägend und differenzierend. Beobachter der deutschen
Crossmeisterschaften in Regensburg haben den Tübinger primär als
Läufer erlebt und weniger als kritischer Geist, als unermüdlichen
Kämpfer wider das Doping und hartnäckigen Streiter in eigener Sache.
Und das hat der inzwischen 37jährige deutsche Vorläufer
unmissverständlich klar gemacht. Die Demonstration eigener
Leistungsfähigkeit trotz zweijähriger Wettkampfabstinenz ist
eindrucksvoll gelungen, die vermeintliche Konkurrenz hat die Hacken des
geliebt-(vor)verurteilten Schwaben einmal mehr nur gesehen. Wo sind sie nur
geblieben, die jungen Wilden? Es war ein laues Zucken, nicht mehr und nicht
weniger. Über die Entwicklung des deutschen Langstreckenlaufens muss man
sich freilich nicht erst seit der Wiederkehr von Dieter Baumann Gedanken
machen. Es ist freilich das legitime Recht des Olympiasiegers, nach den
schweren Monaten primär seine eigene Chancen auszuloten und diese auch mit
aller Konzentration wahrzunehmen.
Auf dem idealen Crossparcours des Unigeländes hat Dieter Baumann seine
Chance eindrucksvoll genutzt. Drei Wochen nach der Konfrontation mit einer
Hundertschaft potenzieller Weltklasseläufer bei den Kenia-Trials und Rang
fünfundachtzig (!) ist Dieter Baumann auf das nationale Terrain
zurückgekehrt und hat alle vermeintlichen Höhenflügler
Lügen gestraft, die sich schon im Aufbruch zu neuen Ufern gesehen haben.
In Regensburg ist Baumann zum dritten Male nationaler Crossmeister geworden,
wie immer waren die Abstände groß. Der Olympiasieger von Barcelona
hat sich in Regensburg in einer guten Form präsentiert. „Ich kann es
mir nicht mehr leisten, mich hier bei einem Rennen zu zeigen und schlecht zu
laufen. Deshalb werde ich mich für jedes Rennen präpariert zeigen.
Natürlich habe ich einen kleinen Spagat in meiner Vorbereitung auf den
Hamburg-Marathon gemacht. Doch Cross ist in der Regel eine gute Vorbereitung.
Nach dem vierwöchigen Trainingslager in Kenia kann ich aber sagen, ich bin
gut erholt und mit meiner Leistung zufrieden!“
Freimütig gesteht er ein, dass der Kopf nicht völlig frei ist. Vor
allem, wenn Gerichtstermine in doppelter Marathonlänge wie am letzten
Donnerstag anstehen („Das war sehr anstrengend!“) – aber
eines hat Dieter Baumann schon eh und je meisterhaft verstanden, die
Konzentration auf einzelne Events. Und so möchte er es auch fürderhin
halten.
Der Blick ist voraus gerichtet, auf das Marathondebüt. Und die
Erwartungshaltung vor dem großen Frühjahrshit zwischen Messe, den
Landungsbrücken und der Alster? „Ich bleibe dabei, es gibt keinen
genauen Fahrplan. Ich möchte einfach keinen Druck erzeugen und lasse mir
auch keinen Druck machen. Ich laufe für mich!“ Punkt aus und basta.
Die European 10 000 m-Challenge im italienischen Camaiore will Baumann am 7.
April nicht „auf Biegen und Brechen“ laufen, sondern nur als
Zwischenetappe auf dem Weg nach Hamburg, zum Marathondebüt. Die 10 000
m-Strecke wird der Tübinger freilich nicht gänzlich aus dem Auge
verlieren, sondern sie fester denn je ins Kalkül geziehen.
Schließlich kann ein bestvorbereiteter Dieter Baumann im Münchener
Olympiastadion nach der europäischen Langstreckenkrone greifen, die
Chancen dazu stehen selten so gut. Mit Siebenunddreißig hat auch ein
Schriftsteller Dieter Baumann noch (Läufer)Träume.
Wilfried Raatz (aus Leichtathletik 11/2002)