Das KICK-Projekt der Sportjugend Berlin betreut seit nunmehr 15 Jahren straffällige und schwierige Problemjugendliche in Berlin. In dem Kooperationsprojekt mit der Berliner Polizei wird gezielt der Sport eingesetzt, um soziale Kompetenzen und Konfliktfähigkeit zu stärken. (www.kick-projekt.de)
Halbmarathon?
Als im Herbst des vergangenen Jahres der Berliner Verein Ehrensache und das Onlineportal davengo (www.davengo.com) mit der Idee an uns herantraten, Jugendliche an einen Halbmarathon heranzuführen, liefen sie bei uns offene Türen ein.
Sind doch viele unserer Mitarbeiter selbst begeisterte Freizeitläufer. Eine echte Herausforderung. Denn wer sich in der Jugendarbeit auskennt, weiß, dass Sport zwar eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigung von Kindern und Jugendlichen ist, aber eher die Mannschaftssportarten mit Ball die Spitzenplätze einnehmen.
Können wir überhaupt Jugendliche zum Lauftraining motivieren? Bedingt durch den langen Winter wurde der Start des Trainings schon um einen Monat verschoben, das Laufprojekt auf die "25 Kilometer von Berlin" ausgerichtet.
Das Training, das im Februar begonnen wurde, übernahm Lutz Zauber, der hauptberuflich den SportJugendClub in Reinickendorf leitet. Daneben ist er als Disziplintrainer für Nachwuchsläuferinnen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zuständig.
Eher zurückhaltend
Der erfahrene Trainer und „Jugendarbeiter“ Zauber war sehr pessimistisch und eher zurückhaltend bei seiner Einschätzung, wie viele unserer Jugendlichen das Training bis zur Laufveranstaltung durchhalten würden.
Er stellte einen Trainingsplan für 12 Wochen auf und immerhin haben insgesamt 42 Jugendliche an den drei Laufstandorten Wedding, Prenzlauer Berg und Reinickendorf mehr oder weniger regelmäßig trainiert.
Sie erfuhren gleich am eigenen Leibe, wie die Kondition bei ihnen schon nach einigen Tagen wuchs. Die „Puste“ reichte einfach länger. Das merkten sie auch beim „Kicken“. Erste Erfolge stellten sich ein. Fehlte nur die Regelmäßigkeit. Kein Talent fällt vom Himmel. Sie mussten dran bleiben. Und gerade in ihrem Alter hatten sie mit so manchen Nöten zu tun – von der Schule bis zur Polizei. Dazu die Stimmungsschwankungen einer in voller Blüte stehenden Pubertät.
An Gefühlen arbeiten
Stimmungen ist man aber nicht nur ausgeliefert, man kann an Gefühlen arbeiten, sie beeinflussen. Kurzum, mit Angst und Stress kann man umgehen lernen. Auch eine Erfahrung, die der Ausdauersport bereithält.
Und er zeigt einem gnadenlos, wo man steht. Wenn die Beine schwer werden, der Kopf nicht mehr will und die anderen dem Blickfeld enteilen, merkt man, wie es leistungsmäßig um einen steht. Dem in diesem Alter so grandiosen „Ich“ wird der Spiegel vorgehalten; Schummeln ist nicht mehr. Man lernt sich realistisch einzuschätzen.
Intrinsische Motivation?!
Die Lust – die Fachwelt würde dazu intrinsische Motivation sagen – kam mit dem Tun. Einzelne „Verstärker“ taten ihr übriges. Gemeinsames Pastaessen nach dem Training, die Offerte eines Probetrainings im Fitnessclub und die Betreuung eines Trainers, der nicht nur Trainer war, sondern auch ein Bundesteam betreute. Und der betreute nun sie – ja auch sie.
Kleine Highlights am Rande stützten die Motivation. Dazu zählte sicherlich das Versprechen, dass ein Sponsor ihnen – sollten sie zumindest das Training durchhalten – Sportschuhe versprach.
Zwei Drittel trainierte in „Fußballtretern“ oder umfunktionierten Straßenschuhen.
Einen Tag vor dem großen Tag gab es die Laufschuhe. Die jugendlichen Teilnehmer waren selig. Hauptsache Sportschuhe – und dann auch noch so gute!
Fast keinem war auszureden, diese beim anstehenden Lauf im Schrank zu lassen. Von wegen der zu befürchtenden Blasen. Später sprach keiner mehr darüber. Einige hatten auch gar keine Alternative. Sie besaßen bislang keine Laufschuhe.
Leistungsvermögen einschätzen
Kurz vor dem großen Ziel verließ noch einige der Mut. Oder besser, sie hatten inzwischen gelernt, ihr Leistungsvermögen angemessen einzuschätzen. Sie gaben nicht auf.
Zum Glück stand noch das Angebot einer Staffel über 5x5 Km. Die Strecke hatten sie auf jeden Fall drin. Und sie blieben Teil des Teams.
Obwohl Team?
Ein gemeinsames Team wurde es wohl erst am Tag des Laufs.
Nervös standen alle elf, die bis jetzt durchgehalten hatten, Minuten vor dem Start am vereinbarten Treffpunkt. Zweie konnten nicht umhin, zu einer „Entspannungs-Zigarette“ zu greifen.
Das war alles andere als passend. Aber sie musste wohl sein.
Zu schnell angegangen
Und dann ging es los, anfänglich noch in den Gruppen der regionalen Standorte starteten sechs Jugendliche, eine 5-Kilometer-Staffel und drei Betreuer.
Dann passierte das, was wohl kommen musste. Die meisten gingen es zu schnell an. Und das Leiden begann früher als sie es vermutetet hätten. Probleme in der Muskulatur, Seitenstiche und der sehnende Blick nach dem nächsten Wasserstand.
Sie konnten Trost und Zuspruch gebrauchen. Sowohl von den KICK-Betreuern, wie auch von den „eigenen“ Leuten in ihren blauen Funktionsshirts. Die hatte es am frühen Morgen noch als letzten Motivationsschub gegeben.
"Der "Bundestrainer"
Und dann gab es ja noch den „Bundestrainer“, ihren Bundestrainer, der mit fachkundigem Rat zur Seite lief. Am Ende noch eine Betreuer-Nachhut. Sozusagen der „Besenwagen“, der die „Entkräfteten“ zumindest mental versorgt hätte.
Aber gottlob, er wurde nicht benötigt. Nebenbei bemerkt: auch für sie war es eine verdammt „lange“ Strecke.
Es war ein heißer Tag, zu heiß für viele.
Und doch: Alle sind sie schließlich durch gekommen. Das hätte vorher keiner erwartet. Nach gut drei Stunden waren auch die letzten im Ziel – die Betreuer. Was heißt im Ziel, sie waren ins Olympiastadion eingelaufen, hatten sich auf der großen Leinwand einlaufen gesehen.
Mühsam lächelnd aber mit unübersehbarem Stolz ging es die Treppen hinauf zum Ausgang. „Treppen, auch das noch“, entfuhr es einigen. Reden fiel schwer. Das konnten einige erst später. Aber dann purzelte es nur so aus ihnen heraus Sie hatten es gepackt, gewonnen und triumphierend sprachen sie von ihren Blessuren.
„Oh, was tun mir die Beine weh. Die lass ich erst einmal von meiner Freundin massieren.
Die wird mächtig stolz auf mich sein. …und mein Vater erst, nie hätte er mir das zugetraut.“
Für das Ziel gearbeitet - und Willen bewiesen
Sie hatten durchgehalten, für das Ziel gearbeitet und den Willen dazu bewiesen. Und wenn es eng wurde, kam der Zuspruch der anderen. Dann das Riesenerlebnis am Ende: der Einlauf ins Olympia-Stadion.
Die wenigsten hätten das ihnen zugetraut. Sie selber wohl auch nicht so recht. Diese Erfahrung, was immer auch kommen mag, wird ihnen keiner mehr nehmen können. Die Vorbereitung und Planung auf ein Ziel hin, der Umgang mit Belastung.
Zu wissen, was Trost und Zuspruch bedeuten kann, zu merken, das man was leisten kann, aber dazu Vorbereitung nötig ist.
Die meisten werden weiter machen. „Jetzt laufen wir die 24 Stunden von Bernau“, hieß es von einigen.
Na dann …
Helmut Heitmann, Thomas Martens
www.kick-projekt.de
www.davengo.com
PS: Herzlichen Glückwunsch an alle, die an diesem vorbildlichen"Laufprojekt" beteiligt waren. Von den erfolgreichen Teilnehmern angefangen, die das Ziel erreicht haben, dem Trainer und den vielen Betreuern und Helfern, die angepackt und Mut zugesprochen haben.