Der Chicago-Marathon hat seine herausragende Stellung einmal mehr bewiesen. Das
Rennen dürfte in diesem Herbst das qualitativ beste Rennen über die
42,195 km gewesen sein. Ein Jahr nach der Weltbestzeit von Khalid Khannouchi,
der damals noch für Marokko startete und 2:05:42 Stunden gelaufen war, gab
es bei idealen Witterungsbedingungen dieses Mal zwar keine neue Weltbestzeit,
aber wiederum eine Reihe von hochklassigen Ergebnissen. Nach 1997 und 1999
gewann Khannouchi, der inzwischen die US-Staatsbürgerschaft besitzt, zum
dritten Mal den Chicago-Marathon. Der 28-Jährige stellte in 2:07:01
Stunden einen US-Rekord auf. Mit dieser zweitbesten Zeit des Jahres – nur
António Pinto war in London in 2:06:36 Stunden schneller -, unterbot er
sowohl den offiziellen als auch den inoffiziellen US-Rekord deutlich. Bob
Kempainen war 1994 in Boston 2:08:47 Stunden gelaufen, allerdings handelt es
sich dabei um einen Punkt-zu-Punkt-Kurs. Die schnellste US-Zeit auf einer
Rundstrecke hatte David Morris vor einem Jahr in Chicago mit 2:09:32 erzielt.
Zwei weitere Läufer blieben am Sonntag unter 2:08 Stunden: Josephat
Kiprono (Kenia) lief 2:07:29, sein Landsmann Moses Tanui 2:07:47.
Noch höherwertiger war aber das, was die beiden Kenianerinnen Catherine
Ndereba und Lornah Kiplagat zeigten. Ndereba gewann nach dem Boston-Marathon
das zweite große Rennen in diesem Jahr und lief in 2:21:33 Stunden die
fünftbeste Zeit aller Zeiten und die schnellste dieses Jahres. Die
Saisonbestzeit hatte zuvor die Olympiasiegerin Naoko Takahashi (Japan)
gehalten, die in Nagoya im März 2:22:19 gelaufen war. Kiplagat rannte in
Chicago auf Rang elf der ewigen Bestenlisten mit 2:22:36. Nie zuvor hatte eine
Frau eine solche Zeit erzielt und nicht gewonnen.
Zählt man die Siegzeiten von Khannouchi und Ndereba zusammen, ergeben
sich 4:28:34 Stunden. Nur zweimal gab es Rennen mit schnelleren Gesamtzeiten:
1998 in Rotterdam (4:28:13) und 1999 in Berlin (4:27:27). Doch Chicago hat sich
auch in anderer Hinsicht weit nach vorne geschoben. Mit 33.171 gemeldeten
Läufern – Start- und Zielzahlen lagen noch nicht vor – ist das
Rennen das drittgrößte hinter New York und London. Und finanziell
gilt Chicago inzwischen auch als Krösus der Herbst-Marathonrennen.
Ausgezahlt hat es sich vor allen Dingen für Khalid Khannouchi, denn als
Amerikaner kassierte er die doppelte Siegprämie: Und zu diesen 150.000
Dollar kamen noch einmal 30.000 Dollar als Zeitprämie hinzu. Das normale
Sieggeld von 75.000 Dollar sowie ein Bonus von ebenfalls 30.000 Dollar
verdiente sich Catherine Ndereba.
"Ich hatte etwas Angst vor diesem Rennen. Denn für mich als
Amerikaner war es wichtig, dieses Rennen vor dieser Kulisse zu gewinnen",
sagte Khalid Khannouchi, der sich lange Zeit zurückhielt. Bei Temperaturen
von etwa 14 Grad Celsius, klarem Himmel und keinem Wind sorgten die Tempomacher
für eine Pace, die am Ende auch eine Weltbestzeit nicht ausschloss. Zehn
Meilen (gut 16 km) waren nach 48:02 Minuten zurückgelegt, die Hälfte
der Distanz in exakt 63:00 Minuten. Doch danach wurde es etwas langsamer, es
entwickelte sich ein taktisches Rennen. Nachdem die Tempomacher ausgestiegen
waren, hatte der Berlin-Marathon-Sieger von 1999, Josephat Kiprono (2:06:44
Stunden), sich einige Meter abgesetzt. Verfolgt wurde er jenseits der
30-km-Marke von nicht weniger als sechs Läufern, die ebenfalls Bestzeiten
von unter 2:07 Stunden aufweisen: Neben Khannouchi und Tanui waren dies noch
Fred Kiprop, William Kiplagat (beide Kenia), Gert Thys (Südafrika) und
Tesfaye Jifar (Äthiopien). Doch auf den nächsten Kilometern wurde
Kiprono eingeholt, und dann entwickelte sich ein Dreikampf zwischen Tanui,
Kiprono und Khannouchi. Nie zuvor war bei einem Marathon eine derartige Klasse
von Läufern am Start gewesen. Der spätere Sieger Khannouchi
drückte ab Meile 23 auf das Tempo und hatte sich nach 25 Meilen einen
Vorsprung von sieben Sekunden auf Kiprono erlaufen. Weitere acht Sekunden
dahinter folgte Tanui. "In Chicago ist oft die letzte Meile
entscheidend", sagte Khannouchi, der 1998 das Rennen gegen den
Debütanten Ondoro Osoro (Kenia) kurz vor dem Ziel noch verloren hatte und
sich deswegen in diesem Jahr lange Zeit zurückgehalten hatte. In diesem
letzten Streckenabschnitt müssen die Läufer durch einen Tunnel
laufen. Und als Khannouchi in diesem Jahr aus der Unterführung heraus kam,
hatte er, wie schon vor einem Jahr, den entscheidenden Vorsprung gegenüber
seinem Verfolger. "Dieser Sieg ist für Amerika", sagte der
frühere Marokkaner im Ziel, in eine US-Flagge eingehüllt.
Nach mehreren Siegen bei hochkarätigen US-Straßenläufen war
Lornah Kiplagat als Favoritin an den Start gegangen. Doch am Tag vor dem
Marathon war die 26-Jährige erkrankt und konnte in der Nacht vor dem
Rennen nicht schlafen. Dennoch ging sie an den Start und verfolgte ihren Plan:
"Ich wollte 2:21 Stunden laufen und vielleicht die Weltbestzeit angreifen.
Es war sicherlich ein Risiko, und die zweite Hälfte war sehr
schmerzhaft", sagte Lornah Kiplagat, die die erste Hälfte nach 70:57
Minuten absolviert hatte und dann Wadenkrämpfe bekam. Wie bei ihrem Sieg
in Boston im April lief Catherine Ndereba ihr eigenes Tempo. Sie ließ
Kiplagat zunächst ziehen, hatte bei Halbzeit aber nur noch sechs Sekunden
Rückstand und schloss bald danach auf. Ähnlich wie Khannouchi
entschied die 28-Jährige das Rennen erst auf den letzten beiden Meilen und
gewann noch deutlich. "Ich glaube, Lornah und ich haben heute gezeigt,
dass wir nach Sydney gehört hätten", sagte Ndereba, die nach
ihrem Boston-Sieg schockiert war, als sie nicht für Olympia nominiert
wurde. Die weiteren Läuferinnen hatten keine Chance im Rennen um den Sieg.
Dritte wurde Irena Timofejewa (Russland) in 2:29:13, Vierte Elana Meyer
(Südafrika) in 2:31:59. "Es war eine lange Saison für mich
– das hat sich bemerkbar gemacht", sagte Meyer, die nach wie vor auf
den großen Durchbruch im Marathon wartet.
Männer: 1. Khalid Khannouchi (USA) 2:07:01 (Landesrekord), 2. Josephat
Kiprono (KEN) 2:07:29, 3. Moses Tanui (KEN) 2:07:47, 4. Peter Githuka (KEN)
2:08:02, 5. Fred Kiprop (KEN) 2:08:23, 6. William Kiplagat (KEN) 2:11:57, 7.
David Morris (USA) 2:12:00, 8. Eric Mack (USA) 2:12:42, 9. Yi-yong Kim (KOR)
2:13:02, 10. Josh Cox (USA) 2:13:55, 11. Samuel Otieno (KEN) 2:14:06, 12. Laban
Nkete (RSA) 2:14:50, 13. Mark Coogan (USA) 2:15:10, 14. Tesfaye Jifar (ETH)
2:16:01, 15. Peter De La Cerda (USA) 2:16:14, 16. Eliud Kurgat (KEN) 2:17:11,
17. Takaki Morikawa (JPN) 2:17:16, 18. Gary Stolz (USA) 2:17:33, 19. Keith
Dowling (USA) 2:18:31, 20. John Nada Saya (TAN) 2:19:01, 21. Peter Ndirangu
(KEN) 2:20:31, 22. John Kariuki (KEN) 2:20:58.
Frauen: 1. Catherine Ndereba (KEN) 2:21:33, 2. Lornah Kiplagat (KEN)
2:22:36, 3. Irena Timofejewa (Russland) 2:29:13, 4. Elana Meyer (RSA) 2:31:59,
5. Kayoko Obata (JPN) 2:31:59, 6. Libbie Hickman (USA) 2:32:09, 7. Christine
Junkerman (USA) 2:32:45, 8. Kristy Johnston (USA) 2:33:20, 9. Marie Soderstrom
2:34:58, 10. Ann Schafers-Coles (USA) 2:37:48, 11. Mary Knisley (USA) 2:37:51,
12. Jennifer Tonkin (USA) 2:38:30, 13. Elena Sipatowa (RUS) 2:38:41, 14. Emma
Cabrera (MEX) 2:41:18.