Dies war der erste Halbmarathon seit vielen Jahren, bei dem Cheforganisator
Horst Milde keine Jacke brauchte. Doch nicht nur das Wetter spielte beim
Jubiläum des mit Abstand größten deutschen Rennens über
die exakt 21,0975 km lange Strecke mit. Eine Reihe von weiteren Ergebnissen
beziehungsweise Rekorden ließ Milde strahlend durch den Zielbereich
laufen. Dem BERLINER HALBMARATHON des SCC, den erstmals die Berliner
Tageszeitung Tagesspiegel präsentierte, gelang bei seiner 20. Auflage ein
Durchbruch. Vielleicht ist die Veranstaltung sogar auf dem Weg, sich
international einen ähnlichen Namen zu machen wie der Alberto
BERLIN-MARATHON. Mit insgesamt 8137 Athleten aus 41 Nationen gab es bei fast
idealen Wetterbedingungen einen neuen Teilnehmerrekord. Diese Zahl, die
gegenüber dem Vorjahr eine sensationelle Steigerung von gut 70 Prozent
bedeutet, setzte sich zusammen aus: 5818 Läufern (Vorjahr: 3622), 1175
Skatern (203), 26 Power-Walkern (erster Wettbewerb), sechs Rollstuhlfahrern (4)
sowie 1112 Schülern und Anfängern (934), die bei dem parallel
veranstalteten 4-km-Lauf auf einer neuen Strecke starteten.
Für weitere Höhepunkte sorgten drei Streckenrekorde. Das
international hochklassigste Resultat erzielte dabei einmal mehr Joyce
Chepchumba. Die kenianische Vorjahressiegerin verbesserte den vor zwei Jahren
von Marleen Renders (Belgien/70:04) aufgestellten Streckenrekord auf 68:22
Minuten und verdiente sich damit neben dem Sieggeld von 2000 DM noch eine
Rekordprämie von 1000 DM. Die 29-Jährige erzielte ein Ergebnis, das
auch international Beachtung erfährt. In der Jahresweltbestenliste hat
sich Joyce Chepchumba an die sechste Stelle geschoben. Nicht unter den ersten
20 findet sich in dieser Aufstellung die vergleichsweise schwächere
Männer-Siegzeit von Joseph Mareng. Der Kenianer lief 61:52 Minuten. Auch
dies bedeutet für den BERLINER HALBMARATHON jedoch einen deutlichen
Fortschritt, denn ein besseres Ergebnis gab es zuletzt 1995. Gleich zwei
Kursbestzeiten gab es bei den Inline-Skatern, die noch stärker als die
Läufer vom guten, trockenen Wetter profitierten. Jan Bo Larsen
(Dänemark) siegte in 36:28 Minuten und war damit genau 1:27 Minuten
schneller als Kalon Dobbin (Neuseeland) vor einem Jahr. Noch viel deutlicher
war die Verbesserung bei den Frauen: Severin Stötzer (Gera) gewann in
37:04 Minuten. 1999 hatte Daniela Dietzold den Streckenrekord auf 46:40
geschraubt. Ohne Rekord blieb nur das Rennen der Rollstuhlfahrer, das Robby
Krannich (SC Berlin) in 59:30 Minuten gewann.
Schneeregen, Wind, Kälte, Feuchtigkeit - das alles hatte das Wetter in
den letzten Jahren beim BERLINER HALBMARATHON zu bieten. Dieses Mal schien die
Sonne, es war mild, und lediglich ein leichter Wind störte streckenweise
die Läufer. Die für die Kenianer wesentlich angenehmere Witterung mag
auch einen Anteil daran gehabt haben, dass vom Start weg deutlich schneller
gelaufen wurde als in den letzten Jahren. Allerdings war das Feld auch besser
besetzt als zuletzt. Neun Läufer bildeten die Spitzengruppe bei Kilometer
5, der nach 14:48 Minuten erreicht war: Vorjahressieger Benson Lokorwa, Simon
Lopuyet, James Tanui, Joseph Mareng, Samwel Kiplimo, Julius Maritim, Gabriel
Mutai (alle Kenia) sowie Francis Naali (Tansania) und Tijani Errahmouni
(Tansania). Dahinter lief eine Dreiergruppe mit Tahar Mansouri (Tunesien),
Krzysztof Przybyla (Polen) und Anatoly Zeruk (Ukraine). Dieses Trio war bis
Kilometer 3 noch vorne dabei gewesen, fiel dann aber immer weiter zurück.
Noch ein Stück weiter zurück folgte Jens Karraß (SCC Berlin),
der später als bester Deutscher den 12. Rang in 67:33 Minuten belegte.
Relativ konstant war das Tempo auch auf dem nächsten 5-km-Abschnitt.
Nach 29:40 Minuten war die 10-km-Marke erreicht. Nur noch acht Läufer
waren zu diesem Zeitpunkt dabei, denn Simon Lopuyet, der vor fünf Jahren
in Lissabon schon einmal 60:26 Minuten gelaufen war und damit die schnellste
Zeit im Feld aufwies, musste aufgrund eines Muskelproblems im Oberschenkel
aufgeben. Während er in den Begleitbus stieg, fiel auf den nächsten
Kilometern eine erste Vorentscheidung: Da Naali und Errahmouni
zurückgefallen waren, musste es zum dritten Mal in Folge einen
kenianischen Sieg geben. Bis zum Kilometer 15 hatte sich die Spitzengrupe auf
drei Läufer verkleinert: Mareng, Lokorwa und Maritim erreichten diesen
Punkt nach 44:20 Minuten. Angesichts des etwas schnelleren Tempos wuchs die
Hoffnung auf eine Zeit unter 62 Minuten. 2000 Meter später war das Rennen
entschieden, Mareng hatte sich abgesetzt. Der Vorjahressieger Lokorwa, der
zuletzt gemeinsam mit Mareng in Kenia trainiert hatte, wurde Zweiter und
Maritim Dritter.
Erst am Donnerstag aus Kenia nach Deutschland gekommen, gelang Joseph Mareng
in Berlin ein perfektes Saisondebüt. "Etwa bei Kilometer 15 wusste
ich, dass ich gewinne. Ich bin kurz ein höheres Tempo gelaufen und merkte,
dass die anderen Schwierigkeiten bekamen", erzählte der
29-Jährige, der vor fünf Landsleuten ins Ziel lief. "Die Zeit
unter 62 Minuten ist für mich wichtiger als der Sieg. Denn nach diesem
Ergebnis hoffe ich, dass ich beim Rotterdam-Marathon in zwei Wochen meine
Bestzeit von 2:09:36 Stunden unterbieten kann", sagte Mareng, der für
seinen Sieg 2000 DM erhielt.
Einen Doppelerfolg gab es zum zweiten Mal in Folge für Volker Wagner.
Denn sowohl Joseph Mareng als auch Joyce Chepchumba werden von ihm betreut. Sie
leben und trainieren zeitweise bei ihrem Manager in Detmold. Chepchumba lief
dabei zu einem ungefährdeten Start-Ziel-Sieg. Gefährlich wurde es
eher für andere: Als sich Jens Karraß nach rund sechs Kilometern
umschaute, um zu sehen, wer hinter ihm lief, dachte er im ersten Augenblick, da
käme irgendein Kenianer. Doch eigentlich konnte das nicht sein, denn die
starken Afrikaner rannten alle ein gutes Stück vor dem besten Berliner.
Also guckte Karraß, der 1991 als Deutscher Meister über 10.000 m
seinen größten Erfolg feierte, noch einmal etwas genauer - und bekam
einen kleinen Schock: Hinter ihm lief am Brandenburger Tor bereits die erste
Frau, Joyce Chepchumba. "Die erste Frau hinter mir zu sehen, das war
frustrierend. Da habe ich sogar überlegt, ob ich aufgebe",
erzählt Karraß, der sich am Ende knapp eine Minute vor der
Kenianerin ins Ziel "rettete". Dicht waren sie zusammen, doch weit
auseinander gehen gerade in diesem Jahr die Ziele der beiden Athleten.
Karraß stellt seinen Studiumabschluss in den Vordergrund, Chepchumba
hofft in knapp zwei Wochen auf ihren dritten Triumpf beim London-Marathon und
dürfte bei den Olympischen Spielen Medaillenchancen haben.
Jens Karraß kann sich trösten: einem erging es gestern noch
schlechter als ihm. Denn den vom Veranstalter zur Verfügung gestellten
Tempomacher hatte Joyce Chepchumba schon auf den ersten Kilometern hinter sich
gelassen. Der Hase machte schlapp, die Kenianerin hingegen lief anfangs noch
etwas schneller als geplant. "Ich wollte meine persönliche
Halbmarathon-Bestzeit von 69:07 Minuten unterbieten", sagte die
29-Jährige Siegerin, der dieses Vorhaben eindrucksvoll gelang. Bereits bei
der 5-km-Marke hatte sie mit sehr schnellen 16:00 Minuten eine Minute Vorsprung
vor der Schweizerin Daria Nauer und der Dänin Annemitte Jensen. Kurz
dahinter folgte Esther Barmasai, eine Trainingspartnerin von Joyce Chepchumba.
Den 10-km-Punkt hatte die London- und Chicago-Marathon-Siegerin des vergangenen
Jahres in 32:13 Minuten erreicht, Nauer folgte mit 34:04. Joyce Chepchumba
hielt, in einer Gruppe laufend, ihr Tempo: Den 15-km-Punkt erreichte sie nach
48:32 Minuten, das Ziel dann als souveräne Siegerin mit neuem
Streckenrekord.
Vor einem Jahr hatte sich Joyce Chepchumba beim BERLINER HALBMARATHON noch
in 70:26 Minuten ins Ziel "gezittert". Zu kalt war es damals für
die Afrikanerin, um einen Streckenrekord aufzustellen. Dennoch war der Sieg
1999 ein gutes Omen. "Am liebsten möchte ich es machen wie vor einem
Jahr: erst in Berlin gewinnen und dann in London", sagte Joyce Chepchumba,
um deren achtjährigen Sohn sich in Kenia ihr Mann und ihre Kusine
kümmern, während sie auf den Straßen Europas und Amerikas
großes Geld verdient. Wiederum war der BERLINER HALBMARATHON für
Joyce Chepchumba der letzte Test für den lukrativen London-Marathon am 16.
April. Dort kommt es zu einem der besten Duelle, die es derzeit im
Frauen-Marathon geben kann: Joyce Chepchumba trifft auf Tegla Loroupe. Die
beiden Kenianerinnen leben und trainieren zeitweise zusammen in Detmold bei
ihrem Manager Volker Wagner, beide haben ihre letzten zwei großen
Marathonrennen gewonnen, beide sind aber über die klassische Strecke noch
nie gegeneinander gelaufen. Tegla Loroupe hatte den Alberto BERLIN-MARATHON
1999 in der Weltrekordzeit von 2:20:43 Stunden gewonnen.