Dieser Geist wäre willkommen, denn die deutsche Leichtathletik könnte
ihn gut gebrauchen. Vor 30 Jahren fanden in München die Olympischen Spiele
statt. Es war das bedeutendste Sportereignis in Deutschland in der
Nachkriegszeit. Und es war ein großer Erfolg, trotz des
fürchterlichen Terroraktes der blutig endete, nachdem ein
Palästinenser-Kommando israelische Sportler als Geiseln genommen hatte.
„Irgendwie trennt man das. Die Sache mit dem Terroranschlag behält
man in einer anderen Ecke in Erinnerung“, erzählt Heide
Ecker-Rosendahl, die damals im bundesdeutschen Trikot Gold im Weitsprung und
mit der 4x100-m-Staffel gewann sowie Silber im Fünfkampf. „Meine
Erinnerungen sind alle positiv, wir waren erfolgreich, und es gab tolle
Wettkämpfe.“ Bevor am Dienstag im Münchener Olympiastadion die
Leichtathletik-Europameisterschaften beginnen, ist nicht so sehr von den
erfolgreichen, jüngeren Veranstaltungen in Deutschland die Rede. Die
Weltmeisterschaften 1993 und die Europameisterschaften 1986, jeweils in
Stuttgart, galten als herausragend. Doch erinnert wird in diesen Tagen an den
Geist von München.
„Olympische Spiele, das ist natürlich noch eine andere
Dimension“, erklärt Heide Ecker-Rosendahl. „Und hinzu kommt
noch, dass es für uns Leichtathleten vor 30 Jahren an echten
Höhepunkten nur die Olympischen Spiele und die Europameisterschaften gab
– es gab weder Weltmeisterschaften noch eine Golden League.“
Für Heide Ecker-Rosendahl, die bis vor rund eineinhalb Jahren
Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) war und sich
jetzt für die Olympiabewerbung 2012 des Verbundes
Düsseldorf/Rhein-Ruhr engagiert, ist der Erfolg von München 1972
für die deutsche Leichtathletik ein langfristiger gewesen. „Ich
glaube, wir haben bis heute davon profitiert. Viele gute Athleten wurden lange
Zeit noch von den Spielen von München beeinflusst.“
Vor allen Dingen „als großen Bruder- und Schwesternkampf“
hat Armin Baumert die Olympia 1972 in Erinnerung. Der frühere
Weitspringer, der seine Karriere verletzungsbedingt im Winter 1972 beendet
hatte, erlebte die Spiele von der Tribüne. „Die eigentlich
unschlagbare DDR in der Sprintstaffel zu besiegen, das war wertvoller als die
Einzelmedaillen“, erinnert sich Armin Baumert an das 4x100-m-Rennen, als
Heide Rosendahl als Schlussläuferin vor Renate Stecher ins Ziel sprintete.
Baumert, heute als Leistungssportchef beim Deutschen Sportbund (DSB)
tätig, arbeitete damals als Lehrer an einem Gymnasium in Mayen
(Rheinland-Pfalz). „Mayen war eine fußballverrückte Stadt,
aber die Leichtathletik-Erfolge von München haben ausgestrahlt. Mit der
Leichtathletik hatte ich als Sportlehrer damals auch dort Rückenwind. Die
Siege von München haben im nationalen Konkurrenzkampf mit anderen
Sportarten geholfen“, erzählt Armin Baumert. „Der Aufschwung
hielt bis zu den Spielen 1976 in Montreal, dann kehrte wieder Realismus
zurück.“
War München 1972 auch ein Brüder- und Schwesternkampf, so wird
München 2002 als Überlebenskampf für die deutsche Leichtathletik
beschrieben. Das ist sicher etwas übertrieben. Aber richtungsweisend
werden diese zweiten Europameisterschaften auf deutschem Boden für die
olympische Kernsportart sein. In Zeiten, da große Meetings verschwinden,
eine Fernsehpräsenz immer schwieriger wird, Sponsoren verloren gehen und
es neuer Persönlichkeiten in der Leichtathletik bedarf, kann München
wie vor 30 Jahren wieder ein Signal geben.
„München ist eine entscheidende Chance für die deutsche
Leichtathletik bezüglich des Medieninteresses und der Begeisterung
für den Nachwuchs“, sagt Heide Ecker-Rosendahl, deren Sohn Danny
verletzungsbedingt auf seinen Start im Stabhochsprung verzichten muss.
„Ich denke, es werden stimmungsvolle Europameisterschaften, die
sicherlich auch eine Euphorie auslösen werden. Es kann einen Aufwind
für die Leichtathletik geben, denn es ist ja auch eine einfach zu
betreibende Sportart. Entscheidend ist, was der Verband aus der EM machen kann.
Ich hoffe, die Vereine sind darauf vorbereitet.“ „Die EM ist
für die deutsche Leichtathletik die große Chance, in einem Heimspiel
Stärke zu zeigen“, sagt Armin Baumert und fügt hinzu:
„München müsste das ideale Pflaster sein.“ Für die
Kernsportarten Leichtathletik, Schwimmen und Turnen sei Rückenwind
dringend nötig, um gegen die erdrückende Macht des Fußballs
antreten zu können. Die Schwimmer hatten in Berlin bei der EM den Aufwind,
den die Leichtathleten nun aus München mitnehmen sollen. „Es darf
nicht passieren“, so Armin Baumert, „dass man in Deutschland
beginnt, die Leichtathletik als eine Randsportart zu bezeichnen.“ Der
DSB-Leistungssportchef, der lange Jahre als Leichtathletiktrainer gearbeitet
hat, hofft deswegen vor allen Dingen auf eines: „Wir brauchen Idole. Und
die Möglichkeit ist da, denn es gibt vier bis fünf
Goldchancen.“