Die größte Hoffnung endete mit der größten
Enttäuschung für die Gastgeber: Als Steffi Graf als Verliererin auf
die Ehrenrunde ging, passierte ein kleines Malheur. Bei der Fahne die sie
schwenkte löste sich das Tuch. Für kurze Zeit wedelte
Österreichs Leichtathletik-Idol nur noch mit einem Stock. Das war
bezeichnend für die Situation. Mit Fahnen und Fanfaren und allen nur
möglichen Anfeuerungsmethoden hatten die Zuschauer beim Höhepunkt der
Europameisterschaften die Wiener Halle in ein Tollhaus verwandelt. Dieses Mal
musste Steffi Graf über 800 Meter gewinnen. Zweite war sie schon bei den
Olympischen Spielen in Sydney 2000, bei der Hallen-WM in Lissabon vor einem
Jahr und bei der WM in Edmonton im vergangenen August. Das brachte ihr in
Österreich den Spitznamen „Silber-Steffi“ und trotzdem
derartige Sympathien, dass sie vor allen Skistars zur Sportlerin des Jahres
gewählt wurde.
An den Sympathien, die ihr entgegen gebracht werden, hat sich nichts
verändert, und auch sonst ist in Wien alles geblieben wie es war: Graf
bleibt „Silber-Steffi“. Die Lokalmatadorin hat wieder nicht
gewonnen, obwohl sie in 1:55,85 Minuten unter dem 14 Jahre alten Weltrekord der
Neubrandenburgerin Christine Wachtel geblieben war. Doch wieder war eine
schneller, obwohl ihre Dauer-Bezwingerin auf globaler Ebene, Maria Mutola
(Mosambique), dieses Mal nicht am Start sein konnte. Statt dessen übernahm
ausgerechnet Jolanda Ceplak die Rolle der Graf-Bezwingerin. In einem beherzten
Lauf hatte die Slowenin Tempo gemacht, sah dann wie die sichere Verliererin
aus, überholte aber zum Entsetzen des Publikums Steffi Graf auf den
letzten Metern und war in 1:55,82 Minuten als Erste im Ziel –
Weltrekord.
„Das Rennen war perfekt, wir blieben beide unter dem Weltrekord. Es
ist ein glücklicher Tag für mich“, erklärte Steffi Graf in
einer ersten Reaktion. Glücklich sah die 28-Jährige nicht aus. Und
dazu sagte sie später während der Pressekonferenz: „Vom Rennen
her bin ich nicht enttäuscht, es ist das erste Mal, dass mir ein zweiter
Platz nicht weh tut. Ansonsten bin ich natürlich sehr enttäuscht. Und
deswegen trenne ich mich mit sofortiger Wirkung von meinem Manager Robert
Wagner. Ich fühle mich hintergangen.“ Graf schien in Rätseln zu
sprechen, nur Insider wussten, was sie meinte. Denn ausgerechnet jener Robert
Wagner - Österreicher, Manager von Graf und auch Mitglied im
Orgnisationskomitee der Hallen-EM – hat einen gravierenden Anteil am
wundersamen Aufstieg der Jolanda Ceplak, die nun am Sonntag die große
rot-weiße Party verdarb. Seit einem Jahr betreut er auch die Slowenin.
Und gut informierte österreichische Journalisten erzählen, diese
Betreuung sei eine sehr persönliche und individuelle. Steffi Graf
müsse sich vorkommen wie das fünfte Rad am Wagen.
Die Initiativen des Managers alleine reichen aber wohl auch nicht aus, um zu
erklären, warum Jolanda Ceplak fast exakt vier Sekunden schneller ist als
noch vor einem Jahr und plötzlich Weltrekord rennt. Die 25-jährige
Slowenin, die vor zwei Jahren schon einmal Vierte war bei der Hallen-EM,
ansonsten aber noch nie bei großen Meisterschaften in Erscheinung trat,
erklärte: „1999 habe ich den Trainer gewechselt. Seitdem trainiere
ich ganz anders als früher. Ich mache jetzt Sprints und
Krafttraining.“ Als elfjährige habe sie angefangen mit der
Leichtathletik, mit 12 rannte sie die 800 Meter bereits in 2:10,15 Minuten.
„Dies ist heute noch ein Altersrekord für Slowenien.“
Ob sie denn nun im Sommer auch den Freiluft-Weltrekord brechen könnten,
wurden beide Läuferinnen gefragt. „Ich will mich zukünftig
stärker auf die 1500 Meter konzentrieren und dann über diese Strecke
vielleicht einmal den Weltrekord angreifen“, kündigte Jolanda Ceplak
an. Steffi Graf kam diese Frage durchaus gelegen. Denn sie antwortete nicht
ohne einen versteckten Seitenhieb auf die Slowenin: „Der
Freiluft-Weltrekord ist für mich wohl nicht möglich. Denn dann
müsste ich mich in einem Jahr um drei bis vier Sekunden steigern –
und das geht nicht.“ Damit war Teil eins der Pressekonferenz beendet,
Jolanda Ceplak verließ die Räumlichkeiten. Steffi Graf und die
meisten Journalisten blieben. Und wie erklärt sie sich die Steigerung der
Slowenin? Die Ironie ist nicht zu überhören: „Sie muss ein
wirklich sehr gutes Training machen“, sagt Steffi Graf und fügt noch
hinzu: „Irgendwie ist mein Trainer wohl nicht drauf gekommen. Und alle,
die sich über Jahre hinweg immer um ein paar Zehntelsekunden steigern,
müssen auch etwas falsch machen.“