Als sich der BERLIN-MARATHON 1981 zum Stadtmarathon entwickelt hatte, fanden
sich im Starterfeld die ersten Rollstuhlfahrer ein. Es war die Pionierzeit der
rollenden Marathonis, denn erst sieben Jahre zuvor, 1974, bewältigte der
Amerikaner Bob Hall diese Distanz im herkömmlichen Rollstuhl. Er war einer
der Starter in Berlin 1981 zusammen mit Georg Freund aus Österreich, der
bereits einen spezialisierten Stuhl zur Verfügung hatte und mit einer
Etappentour quer durch Europa bekannt wurde. Ein weiterer Pionier war Errol
Marklein aus Heidelberg, der eigentliche Initiator für den ersten Auftritt
in Berlin, aktiver Teilnehmer und Konstrukteur für Schnellfahrstühle
in einer Person.
Noch nichts war üblich für die ungehorsamen Patienten, denn die
Medizin stand diesen Leistungen sehr skeptisch gegenüber. Vorherrschend
war die bange Frage nach den Auswirkungen dieser enormen Belastungen für
die Behinderten, kannte man doch die Probleme bei der physiotherapeutischen
Rehabilitation. Aber ein paar junge Patienten wollten mehr, wollten gerade auf
diesem Gebiet körperlicher Leistung zeigen, da, wo ihr Defizit
offensichtlich wurde, was außerhalb alltäglicher Normalität
möglich ist. Herausgefordert durch die Grenzen, die ihre Mobilität in
einem Rollstuhl neu gesetzt hatte, das Unmögliche versuchen. Der
Zimmer-Rollstuhl taugte da wenig, und ebenso wie sich der Laufschuh
entwickelte, tüftelten die Rollis an der Verbesserung ihrer fahrbaren
Untersätze. Errol Marklein, der 1980 die Firma SOPUR gegründet hatte,
um diese technische Entwicklung voran zu treiben, wusste solche Anlässe zu
nutzen. Der BERLIN-MARATHON bot sich geradezu an, den jeweiligen
Entwicklungsstand der Aktiven und ihrer Rennstühle zu demonstrieren, Ideen
auszutauschen und Mitstreiter zu finden.
Waren es gerade einmal acht Fahrer, die 1981 den Marathon beendeten,
entwickelte sich die Teilnehmerzahl in Berlin stetig. Eine Rekordbeteiligung
gab es im Jahr 1993 mit 201 Fahrerinnen und Fahrern im Ziel. Aktive aus allen
Erdteilen fanden sich ein, statistisch sind zwei Drittel der Rollis Starter aus
dem Ausland. Aber eben für die Europäer hat sich der BERLIN-MARATHON
zu einer Tradition entwickelt. Gibt es zwar reine Rollstuhl-Marathons alle 2
Jahre in Sempach in der Schweiz und alternierend in Heidelberg sowie seit 3
Jahren Mitte September in Rotterdam, so ist der jährliche Marathon in
Berlin für Rennstuhlfahrer eine feste Größe geworden.
Integriert in einen der größten und erfolgreichste Stadtmarathons
der Welt, finden die Rollis seit Jahren speziell auf ihre Bedingungen
abgestimmte Organisationsformen, mit zeitabhängiger Startaufstellung,
elektronischer Zeitmessung bis zum mehrspurigen Zieleinlauf mit
Spurtmöglichkeit, mit Wertung und Prämierung der Funktionsklassen,
technischem Start und Unterwegsservice sowie der Darstellung im Programm- und
Ergebnisheft. Das ist wichtig für alle, aber für diejenigen, die den
Einstieg versuchen, die ihre Leistungsfähigkeit das erste Mal bei einem
Marathon testen wollen, sind das unabdingbare Voraussetzungen. Gerade die
Funktionsklassen T1 und T2 scheuen bei den reinen Rollstuhlmarathons die
vorgegebenen Einschränkungen im Zeitlimit. Drei Stunden sind oft eine zu
harte Nuss für den Anfang. Beim BERLIN-MARATHON haben sie mindestens die
doppelte Zeit, und das wird honoriert. Etwa 5% der Starter sind das erste Mal
bei einem Rollstuhlmarathon dabei.
Aber was wäre ein Marathon ohne die sportliche Seite, ohne den Reiz,
eine persönliche Bestzeit oder gar eine Weltbestzeit zu fahren. Davon lebt
nun einmal der Wettkampfsport. Warum sollte es bei den Rollis anders sein?
Weltmeister, Weltrekordhalter, Paralympic-Sieger seit nun zwei Generationen
sind regelmäßig am Start und versuchen sich an der Zeitverbesserung
bzw. einer möglichst vorderen Platzierung. Auch dazu sind die Bedingungen
wie geschaffen. Breite Straßen mit überwiegend weitläufigen
Kurven, eigenem Führungsfahrzeug für die Spitze, lassen den
BERLIN-MARATHON zu einem Rekordmarathon werden. 21,4m beträgt der maximale
Höhenunterschied auf allgemein ebenen Straßen ohne Steilanstiege.
Seit 1986 wurden 8 Weltbestzeiten gefahren, von denen 2 aktuell sind (siehe
Kasten), nur der Rollstuhlmarathon im japanischen Oita präsentiert durch
die Frauenkonkurrenz 3 aktuelle Weltbestzeiten.
1994 wurde der BERLIN-MARATHON zum Weltmeisterschaftslauf des
Internationalen Paralympischen Komitees, 1995 zur Internationalen Deutschen
Straßenmeisterschaft.
Und herausragende Athleten sind es, die Berliner Marathongeschichte
geschrieben haben. Neben den Pionieren Bob Hall (USA), Georg Freund (AUT),
Errol Marklein (GER), sind es die besten ihrer Funktionsklasse, T1 - Heinrich
Köberle (GER), T2 - Christoph Etzlstorfer. Doch besonders ein Name steht
für den BERLIN-MARATHON im Rennstuhl. Es ist schwer, sich nicht in
Superlativen zu vergreifen, wenn vom Schnellsten der Schnellen in der
Königsklasse, der T3/4 die Rede ist. In Berlin bereits 13 Mal gewonnen,
fast 100 Siege im Marathon sind es jetzt in aller Welt, von Kapstadt bis
London, von Los Angeles, Boston, Montreal bis Osaka, Oita, Monza, Hamburg,
Lausanne, Heidelberg, Schenkon (Schweiz), Salzburg, um nur einige zu nennen.
Diese Bilanz gehört dem Schweizer Ausnahmeathleten, Heinz Frei.
Marathonbestzeiten:
Frauen:
T1: vakant
T2: Yohda Miki JPN, 2:31:36, Oita JPN, 2.11.97
T3/4: Hatanaka Kazu JPN, 1:39:40, Oita JPN, 2.11.97
Männer:
T1: Heinrich Köberle GER, 2:23:08, Berlin, 1995
T2: Christoph Etzlstorfer AUT, 1:52:27, Berlin, 2000
T3/4: Heinz Frei SUI, 1:20:14,Oita JPN, 31.10.99
Weltrekorde in Berlin:
T1, 1995, Heinrich Köberle, GER, 2:23:08
T2, 1986, Jan-Owe Mattson, SWE, 2:08:24
T2, 1998, Christoph Etzlstorfer, AUT, 1:53:56
T2, 2000, Christoph Etzlstorfer, AUT, 1:52:27
T3/4, 1991, Heinz Frei, SUI, 1:27:53
T3/4, 1993, Heinz Frei, SUI, 1:27:16
T3/4, 1994, Heinz Frei, SUI, 1:22:12
T3/4, 1997, Heinz Frei, SUI, 1:21:39