In Kooperation mit RUNNER’S WORLD erscheint hier jeden Monat ein Thema aus dem aktuellen Heft
Kimbia Athletics – der ungewöhnliche Name einer neuen Trainingsgruppe
in der internationalen Leichtathletik könnte passender nicht sein.
„Kimbia“ ist Suaheli, die Hauptsprache der Kenianer, das Wort steht für
„laufen“. Der deutsche Trainer Dieter Hogen und der US-Manager Tom
Ratcliffe gründeten vor einigen Monaten diese Management-Gruppe. Kimbia
konzentriert sich mit einer relativ kleinen Zahl von etwa 25 Athleten
ausschließlich auf den Langstreckenbereich. Im Mittelpunkt steht dabei
der Marathon, doch auch einige hochkarätige Bahn-Langstreckenläufer
gehören zu Kimbia Athletics.
Hervorgegangen ist die Gruppe aus dem früheren Management von Kim
McDonald (KIM). Der Londoner war einer der angesehensten Manager in der
Leichtathletik-Szene, bevor er im Jahr 2001 plötzlich verstarb. Kim
McDonald war einer der ersten, der Anfang der achtziger Jahre die
Notwendigkeit erkannte, dass internationale Leichtathleten ein
professionelles Management benötigen. Gleichzeitig erkannte er das
Potenzial der kenianischen Läufer. Kim McDonald konzentrierte sich
dabei fast ausschließlich auf den Laufbereich, wie heute Kimbia. „Sein
Name und seine Philosophie leben in Kimbia weiter“, sagt Tom Ratcliffe,
der über viele Jahre hinweg für das KIM-Management die US-Basis in
Boston leitete.
Nach dem Tod von Kim McDonald gab es innerhalb von KIM unterschiedliche
Interessen, die schließlich zu einem Bruch führten. Der Name KIM war
bereits im vergangenen Jahr verschwunden. Die Londoner Gruppe nannte
sich nun Pace-Management. Tom Ratcliffe und Dieter Hogen, der bereits
in den neunziger Jahren als Trainer mit einer Reihe von kenianischen
Marathonläufern McDonalds’ arbeitete, trennten sich Ende 2004 von Pace.
Zu den Athleten von Kimbia Athletics zählen profilierte Marathonläufer
wie die Kenianer Evans Rutto und Timothy Cherigat. Rutto hatte gleich
bei seinem Marathon-Debüt für eine Überraschung gesorgt. Er gewann 2003
den hochkarätigen Chicago-Marathon in 2:05:50 Stunden. Kein anderer
Läufer, auch nicht Haile Gebrselassie (Äthiopien), war bei seinem
Marathondebüt so schnell gelaufen. Anschließend gewann Evans Rutto in
2004 London (2:06:18 Stunden) und wiederum in Chicago (2:06:16). Es ist
einmalig, dass ein Läufer seine drei ersten Marathonrennen in derartig
hochkarätigen Zeiten gewann. Erst jetzt in London musste Evans Rutto
seine erste Marathon-Niederlage hinnehmen. Er landete auf Rang zehn.
Vor einem Jahr hatte auch Timothy Cherigat ein großes Rennen gewonnen,
den renommierten Boston-Marathon. Danach wurde er Dritter in New York
und nun Sechster in Boston.
Nicht nur Kenianer
Andere kenianische Topläufer,
die jetzt bei Dieter Hogen trainieren, sind zum Beispiel Paul Koech,
John Korir, Sammy Kipketer und Abraham Chebii. Paul Koech ist der
Halbmarathon-Weltmeister von 1998, der bei seinem Marathondebüt in
Chicago 2003 hinter Rutto Zweiter war in 2:07:07. John Korir ist einer
der stärksten Straßenläufer über kürzere Distanzen. Er rennt und
gewinnt meist in den USA. Sammy Kipketer hält den Weltrekord im
5-km-Straßenlauf mit 13:00 Minuten.
Abraham Chebii wurde im März Zweiter bei der Cross-WM. Die 5000 Meter
sind seine Spezialstrecke, über die er vor zwei Jahren mit enormer
Spurtkraft sogar die beiden Äthiopier Haile Gebrselassie und Kenenisa
Bekele schlagen konnte. Auch Daniel Komen arbeitet derzeit unter Dieter
Hogen. Einer der talentiertesten Langstreckler aller Zeiten, hatte er
Mitte der neunziger Jahre für Aufsehen gesorgt, als er zum Widersacher
von Haile Gebrselassie wurde. Noch heute hält er die Weltrekorde über
3000 Meter (7:20,67 Minuten) und 2 Meilen (7:58,61). Über viele Jahre
spielte Daniel Komen keine Rolle mehr. Es schien, als würde er sein
Talent verschenken. Jetzt versucht er ein Comeback, was allerdings
nicht einfach wird.
Doch nicht nur Kenianer gehören zu Dieter Hogens neuer Trainingsgruppe.
Der US-5000-m-Rekordler Bob Kennedy – der Dieter Baumann Amerikas –
wird ebenso vom ehemaligen Berliner betreut wie Elana Meyer (Südafrika)
oder Bob Tahri. Der Franzose ist der Europarekordler im Hindernislauf.
Das Potenzial von Kimbia Athletics ist groß, doch die Gruppe wird
bewusst relativ klein gehalten. Dieter Hogen und Tom Ratcliffe wollen
ihre Athleten so individuell wie möglich betreuen. Zum Team gehören
unter anderen auch Godfrey Kiprotich und Jane Howarth. Kiprotich war
Mitte der neunziger Jahre einer der ersten Kenianer, die bei Dieter
Hogen trainierten. Die Londonerin Howarth arbeitete früher bereits für
Kim McDonald. Trainiert wird wechselnd in Boulder (Colorado) und in
Iten (Kenia), wo Kimbia ein Trainingscamp errichtet hat.
Dieter Hogen kann auf über 25 Jahre Erfahrung als Trainer
zurückgreifen. 1973 kam er einst als Läufer zum ASK Potsdam, wo er beim
bekannten Laufcoach Bernd Dießner trainierte. Doch bereits im Alter von
22 Jahren war 1975 die Karriere des Läufers Dieter Hogen beendet. Nach
einer Operation am rechten Bein war das Thema Leistungssport erledigt.
Dieter Hogen konzentrierte sich stattdessen auf sein Studium an der
Pädagogischen Hochschule Potsdam. Noch vor seinem Abschluss als
Diplom-Lehrer 1978 hatte er vom ASK Potsdam ein Angebot, als Trainer zu
arbeiten. „Da mich der Leistungssport mehr interessierte als der
Schuldienst, übernahm ich eine Gruppe 13- bis 15-jähriger Läufer“,
erzählt Dieter Hogen, der dann ab 1986 den Erwachsenenbereich
Langstrecke/ Marathon übernahm. Dabei betreute er eine Trainingsgruppe,
der auch Uta Pippig angehörte.
Mit Uta Pippig ins Rampenlicht
Noch zu DDR-Zeiten führte
er Uta Pippig, mit der er lange Zeit auch privat liiert war, in ein
internationales Leistungsniveau. Höhepunkt war dabei der dritte Platz
im Marathon-Weltcup 1989. Doch im zentralistischen DDR-Sportsystem
fühlte sich Dieter Hogen nicht wohl, denn er kam nicht dazu, sein
Potenzial umzusetzen. Internationale Startwünsche für seine Athleten
wurden weitgehend verweigert. So setzte er sich mit Uta Pippig kurz
nach der Wende zunächst nach Stuttgart ab, um aber bald darauf, unter
neuen politischen Verhältnissen, wieder nach Berlin zurückzukehren.
Danach gewann Uta Pippig jeweils dreimal den Boston- und den
Berlin-Marathon. Sie hält noch immer den deutschen Rekord im Marathon
(2:21:45 Stunden) und ist bis heute die einzige Deutsche, die den
New-York-Marathon gewinnen konnte.
Trotz negativer Erfahrungen spricht Dieter Hogen längst nicht nur
schlecht über die Vergangenheit in der DDR: „Gelernt hat man in der
DDR, was bedingungslose Unterordnung unter ein Ziel bedeutet, was es
bedeutet, nur höchste Maßstäbe zu akzeptieren. Das vermisse ich bei
einigen Athleten heute. Sie investieren weit weniger als notwendige 100
Prozent, und durchschnittliche Leistungen gelten zu schnell als gut –
in Deutschland und Amerika. Wenn man in Weltklasse-Leistungsbereiche
hineinkommen möchte, muss man sehr viel bedingungsloser und härter
trainieren als es sich viele vorstellen können“, sagt er und fährt
fort: „Man muss sich professionell vorbereiten. Die DDR hat viele
Profis gehabt, und das hat den Erfolg gebracht. Leider ist aber die
Drangsalierung in politischer wie auch persönlicher Hinsicht in der DDR
so stark gewesen, dass das Gute damit kaputtgemacht wurde.“
Inspiriert haben ihn einst die Erfolge und die Ideen von Waldemar
Cierpinski und seinem Trainer Walter Schmidt. „Das waren ganz andere
Programme als die damaligen Vorgaben, die vom Verband kamen. Sie wurden
zur Basis meines heutigen Marathon-Trainingsprogramms“, erklärt Dieter
Hogen. Der wichtigste Schritt auf dem Weg, Weltklasseresultate zu
erzielen, ist für ihn der Aufbau eines bis ins Detail organisierten
professionellen Umfeldes. Dazu gehören für den Coach unter anderem die
Bereiche Trainingsberatung und -betreuung, Gesamt-Organisation,
Physiotherapie, Ernährung, Erholung sowie eine motivierende Umgebung
und ein freundliches Umfeld.
Mitte der neunziger Jahre arbeitete Dieter Hogen erstmals mit den
Kenianern zusammen, nachdem Kim McDonald die Verbindung hergestellt
hatte. Darunter war zum Beispiel auch Sammy Lelei. Lelei gewann 1995
den Berlin-Marathon und erzielte mit 2:07:02 Stunden die
zweitschnellste Zeit aller Zeiten. Über sieben Jahre lang war niemand
mehr so schnell gelaufen. Und es war der Beginn einer neuen Ära im
Marathonlauf der Männer. „Irgendwann“, prophezeite Dieter Hogen damals,
„läuft ein Kenianer im Marathon 2:05 Stunden.“ Was damals unglaublich
klang, ist im Jahr 2003 eingetroffen: Paul Tergat lief in Berlin
2:04:55. Diesen Weltrekord zu brechen, ist heute ein Ziel von Dieter
Hogen.
Jörg Wenig