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Eliud Kipchoge denkt an den Weltrekord – und an den Olympiasieg

Vor zwei Jahren war Eliud Kipchoge beim BMW BERLIN-MARATHON Zweiter, als sein Landsmann Wilson Kipsang Weltrekord lief. Jetzt will er ganz oben auf dem Siegerpodest stehen.

Andere kommen und gehen. Eliud Kipchoge war schon immer da. Vor mehr als zwölf Jahren schon gewann er bei der Cross-WM in der Schweiz das Rennen der Junioren, ein halbes Jahr später in Paris den WM-Titel über 5000 Meter.

Alle hatten damals ein Duell zwischen Kenenisa Bekele und Hicham El Guerrouj erwartet. Der Äthiopier war ein paar Tage zuvor Sieger über 10 000 Meter geworden, der Marokkaner zum vierten Mal in Serie über 1500 Meter. Auf der Zwischendistanz sollte der wahre Superstar gekürt werden. Doch dann war es Eliud Kipchoge, der das Rennen nach einem grandiosen Schlusskilometer von 2:24,33 in 12:52,79 Minuten für sich entschied, einen Hauch vor El Guerrouj und 0,33 Sekunden vor Bekele.

Als Eliud Kipchoge in Paris triumphierte, war er erst 18 Jahre und 298 Tage alt. Vielleicht war er auch ein wenig älter. So genau wei0ß man das in Ostafrika nie. Jedenfalls war das der Beginn einer grandiosen Karriere, die ihm in den folgenden Jahren eine weitere WM-Medaille und zwei Olympia-Medaillen einbrachte. Von 2003 bis 2012 lief er die 5000 Meter jedes Jahr unter 13 Minuten, zehn Mal hintereinander. Er hatte nie eine Verletzung, er war einer der Topadressen auf den Langstrecken. Alles lief wie geschmiert – bis zu den kenianischen Olympiaausscheidungen für London. Nach fünf Weltmeisterschaften und zwei Olympischen Spielen vermochte sich Eliud Kipchoge erstmals nicht mehr für einen internationalen Großanlass zu qualifizieren. 

Ein anderer hätte das als Zeichen von oben gedeutet, dass es nun Zeit ist aufzuhören. Aber nicht Dauerläufer Eliud Kipchoge. Er hatte für diesen Fall schon vorgesorgt. „Ich war 2012 auf den 5000 Metern immer noch die Nummer acht auf der Welt. Es gab also keinen Grund, die Laufschuhe an den Nagel zu hängen“, erzählt er, während wir auf dem Vorplatz seines Hauses in Eldoret sitzen – nicht auf bequemen Sesseln, sondern auf einfachen Plastikstühlen, die im Supermarkt für weniger als zehn Euro zu haben sind. Eliud Kipchoge ist keiner, der seinen Wohlstand zur Schau stellt. 

Der Plan stand fest: „Zusammen mit Patrick Sang hatte ich beschlossen, so oder so nach der Olympiasaison auf die Straße zu wechseln. Ich wollte etwas Neues.“ Sang, der auch das Marathontraining komponiert, hat seine Karriere von den ersten Schritten an als Trainer und Berater begleitet. „Er ist sogar mehr als das“, sagt Eliud Kipchoge, während ein Lächeln über sein Gesicht huscht. „Er ist ein Freund, mein großer Bruder.“

Sein Marathon-Debüt: Ein Sieg in Hamburg

Und so wurde 5000-Meter-Mann Kipchoge zwar nicht über Nacht, aber über den Winter 2012/13 zum Marathonläufer, indem er im Training statt bisher 25 Kilometer nun jede Woche abwechselnd 30 und 40 lief, ohne in den anderen Einheiten die Qualität zu vernachlässigen. Den Einstand als Marathonläufer feierte er standesgemäß mit einem Sieg in Hamburg. Inzwischen sind fünf Marathons zusammen gekommen. Geschlagen wurde er nur einmal, und zwar von Wilson Kipsang, als dieser in Berlin den Weltrekord auf 2:03:23 senkte.

Besonders eindrücklich war sein Auftritt im April in London. Da ließ er dem besten Feld, das sich je zu einem Marathon versammelt hatte, keine Chance und schien das Rennen jederzeit zu kontrollieren. War es so einfach, wie es von außen aussah? Eliud Kipchoge rutscht auf seinem Stuhl hin und her und verwirft die Hände. „Das Gegenteil war der Fall“, sagt er dann. „Es war mein schwierigster Marathon, vor allem mental. Man musste von A bis Z wachsam sein. Mit dem Druck und der ganzen Situation umzugehen, war ein großes Problem. Und nach 35 Kilometern wird jeder Marathon hart.“

Inzwischen hat er Marathon-Erfahrungen gesammelt

Seither sind fünf Monate ins Land gezogen. Eliud Kipchoge ist im Marathon kein Greenhorn mehr. Er ist, auch wenn seine Bestzeit noch mehr als eine Minute vom Weltrekord entfernt ist, „the man of the moment“. Er sagt denn auch: „Wenn in Berlin alles zusammenpasst, ist etwas ganz Spezielles möglich. Ich bin überzeugt, dass sich mein Trainingspartner Emmanuel Mutai und ich gemeinsam zu einem neuen Weltrekord treiben können. Geoffrey Mutai hatte zuletzt wohl zu viele Probleme; mit ihm rechne ich weniger.“ Und wenn es am Schluss Emmanuel ist, der sich den Rekord schnappt? Eliud Kipchoge überlegt nicht lange. „Ich liebe das Laufen, das ist es, was mich antreibt. Wir sind Trainingspartner. Wer an diesem Tag besser ist, wird gewinnen. So einfach ist das.“

Verständlich, dass er nicht sagen will, welche Zeit er sich zutraut. Er sagt nur: „Ich setze mir keine Grenze. Alles ist möglich. Ich bin auch überzeugt davon, dass bereits in den nächsten zehn Jahren einer unter zwei Stunden laufen wird. Zweimal ein Halbmarathon in 59:30 ergibt eine Stunde und 59 Minuten. Das ist nicht unrealistisch.“ Er selbst wird dann vielleicht ein Coach und ein TV-Kommentator sein. Doch über Berlin hinaus denkt Eliud Kipchoge trotzdem schon jetzt. Eine Olympiamedaille in Rio. Und zwar nicht irgendeine. Er werde alles dafür tun, die Medaille zu gewinnen, die ihm nach all den Jahren noch fehlt: die goldene. Dann würde der oft Unterschätzte definitiv als einer der größten Läufer aller Zeiten in die Geschichte eingehen.

Jürg Wirz
Der Autor und Journalist lebt seit 16 Jahren in Eldoret und Nairobi, Kenia

 

 

 

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