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Eliud Kipchoge: «Jetzt will ich den Weltrekord»

Wer über Eliud Kipchoge schreibt, weiß kaum, wo er anfangen soll: Bei seinem Olympiasieg in Rio? Beim «Breaking2»-Projekt in Monza? Bei der überragenden Marathon-Bilanz mit sechs Siegen in Serie? Beim ersten WM-Titel vor 14 Jahren über 5000 Meter? Der 32-jährige Kenianer ist der König unter den Marathonläufern. Ein Platz unter den größten Langstreckenläufern aller Zeiten ist ihm bereits jetzt sicher. 

Eliud Kipchoge ist nicht nur als Läufer Extraklasse. Er ist einer, der sehr viel liest, sehr vielseitig interessiert ist, einer, der überlegt und artikuliert spricht, kein Mann der großen Worte. Er lässt lieber Taten sprechen. Zu Wilson Kipsangs Ankündigung, in Berlin zwischen 2:02:20 und 2:02:10 zu laufen, sagt er nur: «Wilson ist ein Politiker. Die sind gut im Reden. Er hatte sich ja sogar um einen Sitz im kenianischen Parlament beworben, wurde aber nicht gewählt. Abgerechnet wird am 24. September. Ich werde mich erst ganz zuletzt festlegen, wie schnell ich anlaufen möchte. Nur so viel: Ich will den Weltrekord.» Vorbereitet hat er sich mit dem gleichen Programm wie vor dem «Breaking2»-Versuch, zuammen mit Läufern wie Geoffrey Kamworor und Stephen Kiprotich im Camp von Global Sports in Kaptagat.

Sein Selbstvertrauen ist im Moment unerschütterlich. Wer sieben seiner acht Marathons gewonnen hat, darunter den olympischen in Rio mit mehr als einer Minute Vorsprung, braucht keine Motivationshilfen. Und dann das «Breaking2»-Projekt im Mai in Monza. Zwar verpasste er das große Ziel, als erster Mensch den Marathon unter zwei Stunden zu laufen, um 25 Sekunden – und natürlich hatte er Hilfen, die es bei regulären Bedingungen wie in Berlin nicht gibt – aber der lange unterschätzte Kenianer nimmt sehr viel Positives aus dieser Erfahrung: «Es zeigte mir, wozu der menschliche Körper fähig ist und dass wir die Grenzen verschieben können, wenn wir die mentalen Barrieren überwinden. Ich lief fast zwei Stunden lang in einem Tempo von 2:50 Minuten pro Kilometer. Das hilft mir auch in Berlin.»

Viele Fachleute haben sich den Kopf darüber zerbrochen, was die Zeit von Monza in einem Städtemarathon wert ist. Die Holländer Hans van Dijk und Ron van Megen rechneten aus, dass die 2:00:25 mit «normalen» Pacern, wie sie in einem Städtemarathon üblich sind, 2:02:18 Stunden entsprechen. Der renommierte Wissenschaftler Ross Tucker spricht sogar von 2:01:40. Und was denkt Eliud Kipchoge? «Ich kenne die Grundlagen für diese Berechnungen nicht. Ich will mich auch nicht an diesen Spekulationen beteiligen. Jeder, der schon einmal einen Marathon gelaufen ist, weiss, wie viele Faktoren eine Rolle spielen. Das ist auf dem Topniveau nicht anders.»                             

Ein Blick zurück. Als Eliud Kipchoge bei der WM 2003 in Paris triumphierte, vor Kenenisa Bekele und Hicham El Guerrouj, war er noch im Junioren-Alter. Es war der Beginn einer grandiosen Karriere. Bis 2012 lief er die 5000 Meter jedes Jahr unter 13 Minuten, zehnmal hintereinander. Alles lief wie geschmiert – bis zu den kenianischen Olympiaausscheidungen für London. Nach fünf Weltmeisterschaften und zwei Olympischen Spielen vermochte er sich erstmals nicht mehr für eine internationale Meisterschaft zu qualifizieren. Die Enttäuschung hielt sich in Grenzen. Er hatte vorgesorgt. «Ich war 2012 auf den 5000 Metern immer noch die Nummer acht auf der Welt. Es gab also keinen Grund, die Laufschuhe an den Nagel zu hängen», erzählt er. «Zusammen mit meinem Coach Patrick Sang hatte ich beschlossen, so oder so nach der Olympiasaison auf die Straße zu wechseln. Ich wollte etwas Neues.» Sang, der frühere Hindernisläufer, hat Eliuds Karriere von den ersten Schritten an als Trainer und Berater begleitet.

Die beiden verbindet weit mehr als ein Arbeitsverhältnis.  Beide wuchsen im gleichen Nandi-Nest Kapsisiywa auf. Eliuds Mutter war Sangs Lehrerin im Kindergarten. Eliud Kipchoge über Patrick Sang: «Er ist ein hervorragender Trainer. Er ist aber auch mein Freund, mein großer Bruder. Er ist sehr klug und bescheiden. Von ihm habe ich auch als Mensch sehr viel gelernt.» Und Sang über seinen Musterschüler: «Es gibt andere Athleten mit mindestens genauso guten körperlichen Voraussetzungen. Was Eliud von anderen abhebt, ist die mentale Stärke. Ich traue ihm einen Marathon unter 2 Stunden und 2 Minuten zu.»

Die faszinierende, immer wiederkehrende Frage nach den Grenzen. Einige Experten glauben, dass die Zwei-Stunden-Grenzen im Marathon erst in 50 oder 60 Jahren unterboten wird. Eliud Kipchoge denkt, dass das wesentlich früher geschehen wird. «Aber», sagt er, «ich will mich nicht auf ein Jahr festlegen. Wenn ich das tue, bremse ich die Entwicklung, auch meine eigene. Was ich voraussage: 2:01 oder 2:01:30 Stunden werden in einem oder zwei Jahren Realität sein.» Die erste Etappe auf dem Weg dazu: am Sonntag in Berlin.

Und wenn er offizieller Weltrekordhalter ist – was bleibt dann noch? Die Antwort kommt schnell: «Wenn ich etwas erreicht habe, blicke ich nach vorne und konzentriere mich auf das nächste Ziel. Von den Marathon-Majors fehlen mir noch Tokio, Boston und New York, und ich möchte auch nochmals einen Anlauf auf die Zwei-Stunden-Grenze nehmen. Ich habe in Monza viel gelernt. Ich bin jetzt erst recht überzeugt, dass es möglich ist, den Marathon unter optimalen Verhältnissen unter zwei Stunden zu laufen. Beim nächsten Mal weiß ich, wie der Körper reagiert. Das wird mir helfen.»

Jürg Wirz

 

Die Koordinaten von Eliud Kipchoge:

Geboren:                        
5. November 1984 in Kapsisiywa (Kenia)

Größe/Gewicht:             
1,67 m/52 kg

Wohnort:           
Eldoret, zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern

Coach: 
Patrick Sang

Größte Erfolge:

Olympische Spiele: 1. Marathon 2016, 2. 5000 m 2008, 3. 5000m 2004. – WM: 1. 5000 m 2003, 2. 5000 m 2007. – Cross-WM: 1. Junioren 2003. – Hallen-WM: 3. 3000 m 2006. – Marathon: 1. Hamburg und 2. Berlin 2013, 1. Rotterdam und Chicago 2014, 1. London und Berlin 2015, 1. London und OS Rio 2016, 1. Breaking2 Monza 2017 (8 Siege in 9 offiziellen Marathons). – Sieger Marathon-Majors-Serie 2015/16. – Weltrekorde: Junioren-WR 2003 5000 m (12:52,61), 30 km Strasse 2016 (1:27:13).

Bestzeiten:

1500 m 3:33,20 (2004), 3000 m 7:27,66 (2011), 5000 m 12:46,53 (2004), 10 000 m 26:49,02 (2007), 10 km Strasse 26:55 (2006 Madrid, 55 m abfallend)/27:34 (2005), Halbmarathon: 59:25 (2012), inoffiziell 59:17 («Breaking2»-Testlauf 2017 Monza), Marathon:  2:03:05 (2016 London SR), inoffiziell 2:00:25 («Breaking2» 2017 Monza).

SR = Streckenrkord

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