Im Schloßpark Charlottenburg am Spandauer Damm – ganz hinten auf einer der großen Wiesenfläche – hört man eine Stimme, die Hinweise für Gymnastikübungen gibt. Inmitten einer Gruppe von Frauen sieht man dann auch diese „Stimme“, die hier das Sagen hat und kurz und knapp vorgibt, was zu machen ist. Ingrid Drewnicki, Jahrgang 1933, verheiratet, zwei Söhne, ist die „Chefin“ im Ring von Sport treibenden Frauen – und das seit 1987.
Die Frauenlaufgruppe im Schlosspark ist einzigartig , ebenso wie das Schicksal von Ingrid Drewnicki außergewöhnlich ist, dass sie zu meistern hatte.
Für Frauen "über 50" gibt es nichts ...
Am 17. Februar 1986 begann der SCC mit einer Werbekampagne, die Frauen das Laufen näher bringen sollte. An zwölf verschiedenen Punkten der Stadt wurden Treffpunkte mit Übungsleiterinnen eingerichtet, um Mädchen und Frauen das Laufen „schmackhafter“ zu machen, denn viel zu wenig Frauen beteiligten sich bisher an Laufveranstaltungen. Diese Initiative war sehr erfolgreich, aber bei einem der traditionellen „Läuferforen“ im April 1987 in der FU Berlin beklagten sich dann Zuhörerinnen, dass es für Frauen „über 50“ keine Chance gab, daran teilzunehmen.
Eine der Zuhörerinnen war Ingrid Drewnicki – sie wurde beiläufig von den Organisatoren gefragt, ob sie Dienstag und Donnerstag vormittags eigentlich immer etwas zu tun hätte. Eh' sie sich versah, war vereinbart, dass an diesen beiden Tagen im Schlosspark Charlottenburg ein neuer Frauenlaufkurs das Licht der Welt erblicken sollte: ... aber nur „für Frauen über 50“ ...
Premiere im Mai 1987 mit 12 Frauen
Am 5. Mai 1987 war die Premiere. Es standen 12 Frauen vor dem Schloß Charlottenburg und „scharten mit den Füßen“ und wollten bewegt werden. Es waren tatsächlich fast alles Frauen, die über 50 Jahre waren – einige 40-jährige ließ man zu, aber sie durften nur pure Anfängerinnen sein.
Diese Frauenlaufgruppe entwickelte sich über die Jahre – aus den 12 Läuferinnen wurden schnell neunzehn, auch bis zu 30 Frauen, maximal 50 Frauen liefen im herrlichen und weitläufigen Schlosspark ihre Runden.
Heute "über 70" ... und älter - davon sind 20 zwischen 70 und 85 Jahre alt
Heute wird weniger gelaufen, als lieber gewalkt, denn aus den „über 50“ sind teilweise „über 70“ geworden und sie sind immer noch rüstig dabei. Aber die etwas Jüngeren laufen noch immer ihre Runden. 20 von den teilnehmenden 50 Frauen sind zwischen 70 und 85 Jahren alt – das ist eine zu bewundernde Bilanz Nur einmal passierte etwas in den vielen Jahren – bei Glatteis rutschte eine Teilnehmerin aus und brach sich den Arm. Und immer hatte Ingrid Drewnicki die führende Position in dieser Lauf-Gruppe, viele verdanken ihr den ersten „Schritt zum Laufen“ – aus Anfängerinnen machte sie tatsächlich Marathonläuferinnen – und die Frauen sind der „Ingrid sehr dankbar" dafür.
Frauen-Laufreisen
Selbst gemeinsame Laufreisen unternahm die Laufgruppe, so z.B. zum Stockholm Marathon mit etwa 25 - 30 Frauen und zum Göteburger Frauenlauf. Manchmal, aber selten, wird sie beim Training vertreten von ihrer Schwester Martha (sie ist übrigens 83 Jahre alt) oder von ihrem Mann Richard, wenn Urlaub oder sie kränklich ist.
Durch ihren Mann kam sie überhaupt selber zum Laufen – sie schaute am Rande zu, wenn er in Berlin Marathon lief. Nach 2 Jahren Zuschauen „hat sie die Wut gekriegt“ und fing an, selber im Wald mit ihm zu trainieren. 1983 lief sie zum ersten Mal beim BERLIN-MARATHON mit und erreichte 3:57:00 – inzwischen wurden es insgesamt 20 Marathonläufe – ihre Bestzeit steht bei schnellen 3:27:00.
Krebs
So wie sie großartige Leistungen im Laufen erbrachte, so meisterte sie auch ihr Schicksal, dass es nicht gut mit ihr meinte. Sie hat 3 Krebsoperationen (Brust- und Unterleibskrebs) hinter sich, die erste überwand sie mit Bestrahlungen, nach der zweiten Operation gesundete sie mit der Chemotherapie. Danach hatte sie 11 Jahre „Ruhe“. Aber nach einem Autounfall (sie wurde von einem Auto angefahren) und nach 4 Operationen lag sie sechs Wochen im Krankenhaus und war danach noch ein halbes Jahr an den Rollstuhl gefesselt. Danach fing wieder der Krebs von neuem an und erneut wurde sie operiert. 1991 begann sie auf einer Finnbahn mit Walking sich ganz langsam sich wieder zu bewegen – mit Erfolg.
Durch ihre Beständigkeit und ihren starken Willen behauptete sie sich gegen die Krankheit und bewundernswert ergab sie sich nicht tatenlos dem Schicksal. Tatsächlich half ihr ihre Energie wieder zu genesen und der Sport gab ihr den Lebensmut sich nicht unterkriegen zu lassen. Nicht mehr laufend, aber dafür walkend beteiligte sie sich danach noch zweimal am New York City Marathon und am BERLIN-MARATHON.
Teilnahme beim AVON-RUNNING Frauenlauf
Zuletzt war sie erfolgreich walkend beim 22. AVON RUNNING Berliner Frauenlauf am 21. Mai 2005 mit voller Freude, Einsatz und Energie dabei – „dass mache ich schon aus gesellschaftlichen Gründen – und auch um Vorbild für meine Frauengruppe zu sein“!
Ingrid Drewnicki und ihre Lauf- und Walkinggruppe der „über 50“ – oder auch jetzt der „über 70er – oder 80er“ im Schlosspark Charlottenburg – sind wohl auf ihre Art einmalig in der Laufszene und auch das lebende und motivierende Beispiel für Engagement und Begeisterungsfähigkeit, die bekanntlich Berge versetzen kann. Mit Sport in der Gemeinschaft ist das Alter leichter zu ertragen und der Sport hilft beim Überwinden von Krankheiten.
Im übrigen wird nach dem Training immer gemütlich im Eosander Café noch zusammen gesessen – auch das gehört dazu.
Horst Milde
Frauen, die das besagte Alter haben "Fünfzig und ..." und Lust bekommen haben sich zu "aktivieren" sind herzlichst eingeladen sich zu beteiligen. Jeden Dienstag und Donnerstag um 10.00 Uhr im Schloßpark Charlottenburg, Spandauer Damm, Eingang ganz links des Seitenflügels des Schlosses, gegenüber Klausener Platz - Fußweg geradeaus bis zur letzten Wiese. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.