„Warum sitzen Sie nicht in der Mitte“, fragt ein Journalist
Gabriela Szabo nach dem 3000-m-Rennen. „Ich kann doch nicht jedes Mal
gewinnen“, entgegnet die rumänische 5000-m-Olympiasiegerin von
Sydney. Die erst 25-Jährige hat in den vergangenen Jahren so ziemlich
alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt: unter anderem bei Olympia, bei der WM,
der Hallen-EM, in der Golden League und im Grand Prix. Viermal war die
Rumänin Hallen-Weltmeisterin, jetzt hat sie zum ersten Mal eine
Silbermedaille bei diesen Titelkämpfen gewonnen – oder doch eher
Gold verloren? „Ich bin ehrlich weder überrascht noch
enttäuscht von diesem Resultat“, sagt Gabriela Szabo, deren 8:39,65
Minuten im Finale der Hallen-WM dieses Mal nur zum zweiten Rang reichten, denn
die Landesrekord laufende Russin Olga Jegorowa (8:37,48) hatte dieses Mal den
besseren Spurt.
„Ich wollte eine Medaille, aber mir war es egal, ob ich Zweite oder
Dritte werde“, erklärt Jegorowa und Szabo unterbricht sie, um zu
vermelden: „Aber sie hat gewonnen.“ Dann spricht Jegorowa weiter:
„Ich dachte, Szabo gewinnt, denn sie ist besser ...“ Wieder
unterbricht Szabo: „Aber nicht heute!“ Und dann sagt die
Rumänin auch noch: „Manchmal ist es schön zu verlieren. Ich
habe wieder etwas gelernt, und ich weiß, was ich im Trainingslager machen
muss, um im Sommer wieder zu gewinnen.“
Noch ein anderer Lauf-Olympiasieger ging in Lissabon an den Start und gewann
nicht: Kenias neuer Held Noah Ngeny trug mit seinem dritten Platz über
1500 m (3:51,63 Minuten) immerhin dazu bei, dass die Gastgeber ein Volksfest
feiern durften. Denn der Portugiese Rui Silva gewann das taktische Rennen in
3:51,06 Minuten vor dem Spanier Reyes Estevez (3:51,25). „Die engen
Hallenrunden liegen mir nicht. Ich brauche das Gefühl der Freiheit beim
Laufen, das man draußen hat. Die WM in Edmonton im August ist mein
großes Ziel“, erklärte Noah Ngeny.
Weil ihn Noah Ngeny im Olympiafinale über 1500 m geschlagen hatte, war
für Hicham El Guerrouj (Marokko) eine Welt zusammengebrochen. Doch in
Lissabon meldete er sich zurück und gewann souverän seine erste
Goldmedaille über 3000 m. In 7:37,74 Minuten siegte er vor seinem
früheren Landsmann Mohammed Mourhit (Belgien/7:38,94). Über
800-m-wurde Juri Borsakowski ein Jahr nach seinem Sieg bei der Hallen-EM nun
auch Weltmeister. Der Russe degradierte die Konkurrenz in 1:44,49 Minuten zu
Statisten und hatte fast zwei Sekunden Vorsprung vor Johan Bota
(Südafrika). Olympiasieger Nils Schumann (LG Nike Berlin) hatte auf die
komplette Hallensaison verzichtet.
„Ich sehe sie regelmäßig im Training, sie hat eine
große Zukunft“, sagt Hicham El Guerrouj üner seine Landsfrau
Hasna Benhassi. Zm ersten Mal startete die Marokkanerin bei einer großen
Meisterschaft über 1500 m und gewann prompt in 4:10,83 Minuten vor der
Rumänin Violeta Szekely (4:11,17). Die einzige Läuferin, die ihre
Strecke sowohl in Sydney als auch in Lissabon gewann, istz Maria Mutola
(Mosambique). Die 800-m-Läuferin setzte sich in der Halle hauchdünn
in 1:59,74 Minuten vor Stephanie Graf (Österreich/1:59,78) durch. Der
Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hatte nur eine Läuferin am Start.
Yvonne Teichmann (SC Magdeburg) blieb im 800-m-Halbfinale hängen.
Der 3000-m-Läufer Jan Fitschen (TV Wattenscheid) war zwar nominiert,
doch wenige Stunden vor seinem Vorlauf bestätigte der Weltverband IAAF die
Sperre gegen Fitschen. Der Wattenscheider war bei den Deutschen Meisterschaften
in Dortmund zwei Wochen zuvor gegen den national freigesprochenen, aber
international gesperrten Dieter Baumann (Tübingen) angetreten. Die IAAF
hatte hart durchgegriffen und alle Baumann-Gegner gesperrt. Erst nach der
Hallen-WM wurde die Sperre aufgehoben. Dagegen ist Dieter Baumann nunmehr
regelkonform gut ein Jahr länger gesperrt, bis zum 25. Februar 2003. Bei
einem Start während der Dopingsperre beginnt die Sperrzeit von neuem.