Für Hicham El Guerrouj ist eine Welt zusammengebrochen. Nachdem der
Marokkaner in Brüssel zum Abschluss des Golden-League-Meetings am Freitag
die 1500 m gewonnen hatte, wurde er zum neuesten Dopingfall befragt: Brahim
Boulami. Sein Landsmann hatte in Zürich 14 Tage zuvor einen Weltrekord
über 3000 m Hindernis aufgestellt. Schon dort kam der Verdacht auf, dass
Boulami das Blutdopingmittel Epo benutzt hat. Denn die Tempomacher standen ihm
mehr im Weg, als dass sie ihn führen konnten, und wenn das Rennen noch
eine Runde länger gewesen wäre – für Brahim Boulami
wäre wohl auch das kein Problem gewesen.
Patrick Sang, früherer kenianischer Weltklasse-Hindernisläufer und
heute als Trainer tätig, hatte nach Zürich prophezeit, dass jener
Boulami in Brüssel den Weltrekord auf unter 7:50 Minuten drücken
könnte – außer Reichweite für alle Kenianer. Dazu kam es
zum Glück nicht, weil Brahim Boulami nach dem positiven Epo-Test nicht
mehr dabei war. Hicham El Guerrouj schlug zeitweise die Hände vor das
Gesicht, als er antwortete. Er fürchtet um den Ruf der marokkanischen
Läufer insgesamt. Auch er wäre dann betroffen. Der
1500-m-Weltrekordler fängt an zu erzählen von Marokkos großen
Läufern vergangener Tage: Said Aouita oder Khalid Skah. „Wir haben
eine gute Reputation aufgebaut. Jetzt habe ich Angst, dass Schatten auf
Marokkos Leichtathletik fallen.“
Schließlich ist es erst gut einen Monat her, dass ein anderer
prominenter marokkanischer Langstreckler mit Epo im Blut erwischt worden war:
Mohammed Mourhit, der allerdings seit 1997 die belgische
Staatsbürgerschaft besitzt und daher Europarekorde über 3000 m, 5000
m und 10.000 m aufstellen konnte. Noch am vergangenen Mittwoch war Hicham El
Guerrouj in Brüssel dazu befragt worden. „Mourhit war ein guter
Freund, wir haben uns geachtet. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen
soll“, erklärte Hicham El Guerrouj, der sagte: „Ich lehne
jedes Doping ab. Ich will nicht gegen ein Laboratorium rennen, wenn ich auf die
Bahn gehe.“ Sollte er jemals positiv getestet werden, so soll El Guerrouj
zudem erklärt haben, würde er das gesamte Geld zurückzahlen, das
er im Sport verdient habe.
Als ihn dann noch am Mittwochabend die neue Doping-Nachricht erreichte,
„konnte ich mir das einfach nicht vorstellen“. „Ich habe zwei
Tage lang schlecht geschlafen und nur an Boulami gedacht und daran, was mit
Marokkos Leichtathletik passieren wird.“ Der Fall Boulami stoppte sogar
El Guerrouj in Brüssel. Einen Weltrekordversuch über 1500 m brach der
27-Jährige am Freitag nach einer Runde ab. Er konzentrierte sich nur noch
auf den Sieg.
Weltrekorde, die in der Leichtathletik mit Epo in Verbindung gebracht
werden, sind vor allen Dingen die Bestmarken der Chinesinnen, die über
1500 m, 3000 m und 10.000 m schon 1993 Fabelzeiten liefen. Nun zählt auch
jener Hindernis-Weltrekord von Brahim Boulami dazu, den dieser vor einem Jahr
in Brüssel gelaufen war (7:55,28 Minuten).
Im Kampf gegen Epo tappten die Dopingfahnder lange Zeit im Dunkeln. Erst
seit rund zwei Jahren gibt es die Möglichkeit, das Mittel nachzuweisen.
Nun zeigen die Kontrollen Erfolge. Brahim Boulami wird nicht der letzte
Epo-Fall gewesen sein. Auf den ersten Blick schaden diese Fälle
natürlich dem Image der Leichtathletik, doch gleichzeitig steigt die
Chance, dass es den Betrügern bald zu riskant wird, mit Epo im Blut zu
laufen.