Vor 30 Jahren gewann Klaus Goldammer jenen Lauf, aus dem ein Jahr später zunächst der Berliner Friedenslauf entstand und später dann – in einer Fusion mit dem West-Berliner Halbmarathon des SC Charlottenburg – der heutige Vattenfall BERLINER HALBMARATHON. Der ursprünglich aus Leipzig stammende Berliner siegte damals beim Lichtenberg-Marathon in 2:29:22 Stunden. 1982 war er bei der Premiere des Ost-Berliner Friedenslaufes erneut vorne (2:23:57) und drei Jahre später siegte er nochmals beim größten Volkslauf der DDR, dieses Mal in 2:24:52.
Noch heute ist Klaus Goldammer im Alter von 58 Jahren leistungssportlich aktiv. Drei Goldmedaillen bei Weltmeisterschaften, eine Reihe von EM-Titeln, Siege bei den Weltspielen der Senioren und etliche weitere Erfolge in den diversen Seniorenklassen hat er über die Mittel- und Langstrecken errungen. Normalerweise wäre er zu dieser Zeit Anfang April in einem Höhentrainingslager in Flagstaff (USA). Doch in diesem Jahr lässt es Klaus Goldammer etwas ruhiger angehen, um dann 2012, wenn er erstmals in der Alterklasse der 60-Jährigen startberechtigt ist, wieder „anzugreifen“. Somit kann er am Sonntag auch beim Vattenfall BERLINER HALBBMARATHON starten.
Ein Spätzünder startet durch
Vor 30 Jahren steckte der Laufsport noch in den Kinderschuhen – im Osten mehr noch als im Westen. „Bei uns fanden die Marathonläufe in Parkanlagen wie dem Plänterwald statt. Langstreckenlaufen war ohnehin etwas Exotisches. Das kannte fast keiner und ich kann mich erinnern, dass mich Passanten, die mich beim Training sahen, als „Waldläufer“ bezeichneten“, erzählt Klaus Goldammer. Auf Landstraßen war er zuvor schon bei Wettkämpfen gelaufen, doch das Rennen 1981 in Lichtenberg war für ihn der erste Lauf auf den Straßen einer großen Stadt. „Das war etwas Besonderes, denn Marathon hatte zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.“
Dass der Laufsport praktisch nicht wahrgenommen wurde, war der Hauptgrund dafür, dass Klaus Goldammer erst sehr spät, mit Ende 20, zu diesem Sport kam. Als Schüler hat er Fußball gespielt und sich auch im Tennis versucht. Als er in Leipzig einen Dolmetscher-Studiengang in Englisch und Spanisch begann, spielte er in der Uni-Fußballmannschaft im rechten Mittelfeld. Einer seiner Mitspieler fehlte jeweils an einem Wochenende im Mai, weil er beim Rennsteiglauf startete. Das war damals das erste Mal, dass Klaus Goldammer etwas von einem breitensportlichen Lauf gehört hatte.
Wettkampfpremiere im Plänterwald
Nach Beendigung seines Studiums wurde er als Dolmetscher nach Berlin delegiert. Dadurch fehlte ihm die sportliche Betätigung und ein Ausgleich zum damals wenig zufrieden stellenden Berufsleben. „Ich bin dann von ganz alleine auf die Idee gekommen, zu laufen. Zunächst rannte ich um den Häuserblock.“ Das war 1978. Eine Joggingbewegung gab es da noch lange nicht. Wer nicht irgendwie Anschluss gefunden hatte an die kleine Laufsportszene, der hatte keine Ahnung von irgendwelchen Läufen. Marathon oder die 5.000- und 10.000-Meter-Läufe kannte man nur von den Olympischen Spielen. Klaus Goldammer fand den Anschluss an die DDR-Laufszene durch Zufall. Als er auf der 400-m-Bahn eines Stadions trainierte, wurde er angesprochen. So erfuhr er vom Silvesterlauf im Plänterwald, bei dem er 1979 startete. „Ich war nach 36 Minuten im Ziel des 10-km-Laufes. Das war schnell für jemanden, der in der Szene nicht bekannt war. Es gab dann sogar Aussagen, ich hätte wohl abgekürzt“, erinnert sich Klaus Goldammer, der die Distanz ein Jahr später bereits in 30 Minuten absolvierte. Da zweifelte niemand mehr.
Seinen ersten Marathon lief Klaus Goldammer ebenfalls im Plänterwald. „1980 bin ich dabei allerdings eingebrochen und war nach 3:09 Stunden im Ziel“, erzählt er. „Beim zweiten Versuch bin ich klüger an die Distanz herangegangen und war nach 2:47 im Ziel.“ 1981 steigerte er sich bereits auf 2:27 Stunden und gewann damit die „Kleinen Meisterschaften“ – das waren jene Titelkämpfe in der DDR, die ohne die Eliteathleten der Sportvereine stattfanden. In jenem Jahr gewann er dann auch den Lichtenberg-Marathon.
Friedlich Hand in Hand ins Ziel
Bei der Premiere des Friedenslaufes 1982 sorgte Klaus Goldammer gemeinsam mit Roland Winkler für einen „Eklat“. Hand in Hand liefen die beiden Athleten nach 2:23:57 Stunden ins Ziel. Damit hatte keiner gerechnet, das war nicht vorgesehen im Plan der DDR-Sportfunktionäre. „Zunächst wollte man uns disqualifizieren“, erinnert sich Klaus Goldammer. „Wir hatten Gegenwind und jeder von uns hat fünf oder sechs Mal versucht, den anderen abzuhängen. Doch das funktionierte bei diesem Wind einfach nicht. Wir kannten uns damals kaum. Zwei Kilometer vor dem Ziel habe ich ihm dann vorgeschlagen, dass wir gemeinsam ins Ziel laufen könnten. Roland sagte, genau das wollte er auch vorschlagen.“ Über die Argumentation mit dem Friedensgedanken gelang es den Läufern dann die Funktionäre umzustimmen, so dass sie nicht disqualifiziert wurden.
1990 war er letzter Marathonmeister der DDR
Obwohl Klaus Goldammer schnell Erfolg hatte, gehörte er nie zu den Kaderathleten des Hochleistungssportsystems der DDR. „Ich war zu alt für einen Olympiasieg. Und außerdem hatte ich auch eine Tante in Nürnberg“, erzählt er. So durfte er vor der Wende auch nie bei Rennen in westlichen Ländern starten. Nach Budapest und Sofia sowie nach Polen ist Klaus Goldammer damals auf eigene Kosten gereist, um Marathon zu laufen. In der ungarischen Hauptstadt erzielte er 1986 mit 2:16:59 Stunden seine Bestzeit. Über die 20-km-Distanz (damals spielte der Halbmarathon noch keine Rolle) lief er 62:22 Minuten, was einer Zeit von knapp unter 66 Minuten über die 21,0975 km gleichkommt.
1990 sicherte sich Klaus Goldammer noch einen „Titel auf Lebenszeit“. Denn er gewann in Leipzig die letzte Marathonmeisterschaft der DDR. Das war allerdings nicht geplant. „Eigentlich wollte ich für einen Freund bis zur 30-km-Marke Tempo machen, damit er eine Zeit unter 2:20 erreicht. Doch die Strecke war anspruchsvoll und es war sehr warm. Deswegen gab er auf und ich war plötzlich alleine an der Spitze. Da habe ich mir gedacht, jetzt gebe ich nicht auf’.“
Weltrekord als Seniorenläufer
In den Jahren nach der Wende lief Klaus Goldammer in den Seniorenklassen zu außerordentlichen Erfolgen. Beruflich weiterhin als inzwischen freiberuflicher Dolmetscher tätig (unter anderem auch für die Zeitschrift „Runner’s World“), organisierte er nebenher seine eigenen Höhentrainingslager und kam so unter anderem nach St. Moritz und Boulder (USA). Zu seinen größten Erfolgen zählt er die Silbermedaille bei den 25-km-Weltmeisterschaften 1992 in der M40 (der Masters-Klasse), die Goldmedaille bei der 25-km-WM 1997, den WM-Titel im 10-km-Straßenlauf 2004 und einen Fünffach-Triumph bei den Weltspielen der Senioren. In Melbourne gewann er dabei 2002 in der Klasse M50 den Crosslauf, die 1.500 m, die 5.000 m, die 10 km sowie den Halbmarathon. Doch noch mehr Wert als alle Medaillen hat für ihn der Weltrekord, den er über 3.000 m in der Alterklasse M45 aufstellte. 1999 lief er in der Berliner Harbighalle die 3.000 m in 8:36 Minuten. „Ein Weltrekord, das ist eine Leistung, die vor einem noch kein anderer geschafft hat“, erklärt Klaus Goldammer.
Jörg Wenig