Es war eine ganz neue Erfahrung, im langen, grauen Regenmantel und mit einem
Kopftuch einen Vortrag über Frauen und Sport zu halten. Ich sprach vor 200
von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllten Frauen und 5 Männern, die
ganz unauffällig, westlich gekleidet waren. Der "First Islamic
Countries Women´s Sport Scientific Congress" bot mir die
Möglichkeit, nach Teheran zu reisen, Land und Leute kennen zu lernen und
mit iranischen Frauen über ihre Situation im Sport und in der Gesellschaft
zu diskutieren. Selbstverständlich hatte ich meine Laufschuhe mitgenommen,
ich habe sie auch gebraucht, aber nicht zum Laufen, sondern zum Bergwandern,
und weil es ziemlich kalt war, war das Kopftuch ganz nützlich, der lange
Mantel allerdings störte etwas.
Der Frauensport hat im Iran eine im Vergleich zu anderen islamischen
Ländern eine lange Tradition. Bereits 1964 hatte das Iranische Olympische
Kommittee vier Athletinnen zu den Spielen nach Tokyo entsandt. Anfang der 70er
Jahre förderte die Bundesrepublik den Aufbau einer Sporthochschule in
Teheran. Die sportliche "Aufrüstung" wurde nicht zuletzt durch
die Ausrichtung der Asienspiele 1974 beschleunigt, für die in Teheran
Sportanlagen, auch ein Schwimmbad errichtet wurden. Die islamische Revolution
beendete dann erst einmal die deutsch-iranische Kooperation. Heute ist Sport im
Iran "in", die Sportbegeisterung schlägt hohe Wellen. Es ist vor
allem Fußball (der Männer), der die Massen begeistert und sogar
Frauen in die Stadien zieht, obwohl dies "offiziell" nicht
erwünscht ist, da sich die Fußballspieler ja nicht an die
islamischen Bedeckungsvorschriften halten und Männer in kurzen Hosen kein
angemessener Anblick für Frauen und junge Mädchen sind. In der
Verfassung des Iran ist "physical training" für alle (Art. 3/ 3)
verankert. Die Begeisterung für Sport hat aber da ihre Grenzen, wo sich
Sport nicht mit den für Frauen geltenden Vorschriften des islamischen
Rechts- und Staatssystems, der Sharia, in Einklang bringen läßt. Ein
absolutes Muß ist die "korrekte" Bekleidung, der Hijab, in der
Öffentlichkeit. Die sogenannte Uniform besteht aus einer
kapuzenähnlichen und über die Schultern reichenden Kopfbedeckung, und
einem langen und weiten Gewand. Oft tragen Frauen darüber noch den
Tschador, wörtlich das Zelt, d.h. ein langes schwarzes Tuch, das keinerlei
weibliche Kurven sichtbar werden läßt. Zu Hause sind die Iranerinnen
dann kaum wieder zu erkennen, viele sind sehr modebewußt und, vor allem
bei den jungen Frauen, sind Miniröcke und Jeans der letzte Schrei. Seit
Mitte der 80er Jahre setzte sich eine Allianz von Sportlehrerinnen, ehemaligen
Leistungssportlerinnen und religiös orientierten Frauengruppen für
die Wiederbelebung des Sports ein. Es war vor allem die Politikerin Faezeh
Hashemi, Tochter von Hashemi Rafsanjani und Vizepräsidentin im Iranischen
Olympischen Komitee, die den Willen, den politischen Rückhalt und auch die
richtigen Argumente hatte, um den Frauensport auf die Tagesordnung zu bringen.
Sie nutzte dabei die Worte des Propheten und die islamischen
Glaubenssätze, um der Frauensportinitiative Gewicht zu verleihen.
Zentrales Argument war - und ist - die Förderung der Gesundheit von
Mädchen und Frauen, die Gesundheit und Glück ihrer Familien
garantieren sollen. Frauen haben prinzipiell zwei Möglichkeiten Sport zu
treiben, entweder in der Öffentlichkeit mit entsprechender Bekleidung oder
in geschlossenen Räumen, zu denen Männer keinen Zutritt haben. Das
bedeutet, daß Frauen beispielsweise Skifahren, Wandern und Bergsteigen
können. Dazu laden besonders die zahlreichen Wanderwege und die Skipisten
im nördlich von Teheran gelegenen Alborzgebirge ein. An Feiertagen ist die
Serpentinenstraße auf den Tocalberg, auf den auch eine Seilbahn
führt, schwarz von Menschen, die Frauen in langen Mänteln und mit
Schals oder Tüchern um den Kopf. Junge Leute können - ebenfalls
"anständig" gekleidet - in Parks Federball, Tischtennis oder
Volleyball spielen. Allerdings kann es passieren, daß Mädchen von
streng blickenden, in Tschadors gehüllten Frauen ermahnt werden, sich
richtig zu bedecken, oder daß junge Männer abgeführt werden,
weil sie Musik aus Kofferradios oder Walkmen hören. Meine Bekannten
meinten dazu, daß sich heute vieles gelockert habe, die schwarz
gekleideten "Wächterinnen" habe ich aber selbst beobachten
können. Weitere in der Öffentlichkeit möglichen Sportarten sind
Kajak fahren und Laufen, dies ist im Hijab zwar nicht einfach, aber
möglich. Das Werbeblatt der iranischen Frauensportorganisation wird von
Läuferinnen im Tschador geschmückt. Und obwohl ich in den Parks von
Teheran keine Läuferinnen, übrigens auch keine Läufer, sichtete,
versicherten mir meine iranischen Bekannten, daß ich durchaus eine
Trainingsrunde drehen könne, wenn ich "korrekt" bekleidet sei.
Freier und ohne störende Umhänge und Kopftücher können sich
Frauen bewegen, wenn sie unter sich bleiben. Sporthallen, Schwimmbäder
oder auch Fitnesstudios stehen zu bestimmten Zeiten Männern, zu anderen
Frauen zur Verfügung. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden,
daß die vorhandenen Sportanlagen oder auch die für
Freizeitaktivitäten geeigneten Parks nur einem kleinen Teil der
Bevölkerung zugute kommen können. Und die kommerziellen Fitness- und
Aerobic-Studios sind ohnehin nur den relativ wenigen wohlhabenden Iranerinnen
zugänglich. In den 80er Jahren entwickelte sich ein eigenständiges
für den Frauensport zuständiges Gremium, das als Dachorganisation
für die verschiedenen Frauensportverbände, aber auch für
Forschung und Planung zuständig ist. Heute gibt es im Frauensport 23
Fachverbände mit ca. 288 000 Mitgliedern, davon leben mehr als ein Viertel
in Teheran. Fast 40 % der im Sport engagierten Frauen betreiben Aerobic,
populär sind außerdem Schwimmen, Volleyball und Badminton. In
Relation zur Bevölkerungszahl (etwa 66 Millionen) ist die Zahl der
organisierten Sportlerinnen verschwindend gering. Zu den zentralen Motiven der
sportlich aktiven Frauen gehören Fitneß und vor allem Schlankheit.
So ist beispielsweise Jane Fondas Aerobic-Buch in Farsi erhältlich; die
Photos sind durch Zeichnungen ersetzt. Das Schlankheitsideal ist auch im Iran
verbreitet, viele meiner Gesprächspartnerinnen kamen auf die Bedeutung des
Sports für eine gute Figur zu sprechen. Immer wieder ist in
Gesprächen mit Frauen von Diäten die Rede, und das, obwohl unter dem
langen Mantel keine Körperformen erkennbar sind. Iranerinnen beteiligen
sich auch am Wettkampf- und Leistungssport. Eine der verbreitetsten, auch
leistungsorientiert betriebenen Sportarten ist das Schießen: Nicht nur,
weil Mohammed empfohlen hatte, Kinder im Schwimmen und Bogenschießen zu
unterrichten, sondern auch, weil Schießen in einem von Kriegen bedrohten
Land nützlich und - vor allem - im Tschador möglich ist. Seit Anfang
der 90er Jahre wurden zudem Rundenspiele in den verschiedenen Ballspielen
eingerichtet, 1992 im Volleyball, 1996 im Handball, 1997 im Basketball und 1998
im Tischtennis. Im Frühjahr 1998 wurde sogar Fußball für Frauen
- in "männerfreien" Umfeld - zugelassen. Hashemi und ihre
Mitstreiterinnen setzten sich auch für internationale Sportbegegnungen
ein, nicht zuletzt mit dem Hinweis, daß damit auch die Überlegenheit
des islamischen Systems bewiesen werden könne. Dieses Argument zog: 1990
konnten sechs Schützinnen an den Asienspielen in Peking teilnehmen. Lida
Fariman war die erste und bis jetzt einzige Iranerin, die nach der Revolution
an den Olympischen Spielen teilnehmen durfte. Die Athletin, die zu einem
Schießwettbewerb im Hijab antrat, trug bei der Eröffnungsfeier in
Atlanta die islamische Flagge. Iranische Athletinnen dürfen also seit
Anfang der 90er Jahre an internationalen Veranstaltungen teilnehmen, allerdings
prinzipiell nur in den Sportarten, in denen die Kleidungsvorschriften
eingehalten werden können. Dies sind Schach, Schießen, Reiten und
Kajak und, für Mädchen, auch Karate. Da Leistungssport in vielen
anderen Sportarten im Hijab unmöglich ist, wurde eine Alternative
entwickelt: die Islamischen Frauenspiele. Diese Sportveranstaltungen fanden
unter Ausschluß der männlichen Öffentlichkeit 1993 und 1997 in
Teheran statt. 1993 und 1997 zogen die Athletinnen im Hijab vor den Augen von
männlichen Zuschauern zur feierlichen Eröffnung der Spiele ins
Stadium ein. Später, zu den Wettkämpfen, traten die Frauen dann, den
Blicken von Männern entzogen, im üblichen Sportdress an.
Zuschauerinnen, Kampfrichterinnen, Journalistinnen, Ärztinnen und
Trainerinnen bewiesen, daß es auch ohne Männer im Stadium geht. An
den ersten Frauenspielen nahmen Athletinnen aus neun oder zehn Ländern
teil; allerdings konnten gerade Länder wie Saudi Arabien oder die Golf
Staaten, deren Athletinnen von einem "männerfreien" Sport
profitiert hätten, kein Team entsenden, da es dort keinen organisierten
Frauensport gibt. Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen kam aus Ländern der
ehemaligen Sowjetunion., sie hatten in ihrer Mehrzahl bereits internationale
Wettkämpfe bestritten und sie stellten die Mehrzahl der Siegerinnen.
Für alle Mitglieder des aus 122 Frauen bestehenden iranischen Teams - mit
Ausnahme der Schützinnen - war dies die erste internationale Begegnung,
und sie genossen es, sich mit den Athletinnen aus anderen Ländern zu
messen und im Rampenlicht zu stehen. Im Dezember 1997 fanden dann die zweiten
Islamischen Frauenspiele nach dem gleichen Muster statt. Dieses Mal nahmen
Athletinnen aus 16 Ländern teil.
Der Frauensport im Iran erlebt derzeit einen Aufschwung. Auch der
Frauensportkongreß in Teheran stieß auf großes
öffentliches Interesse, in allen Kanälen des Fernsehens wurde
darüber berichtet, und ich als "Exotin" durfte im Fernsehen,
selbstverständlich mit Kopftuch, über die positiven Wirkungen des
Sports berichten. Trotz der ganz unterschiedlichen Themen der Vorträge war
es Konsens unter den Anwesenden, daß Frauen ein Recht auf sportlichen
Aktivitäten haben und daß die Möglichkeiten von Mädchen
und Frauen, Sport zu treiben, verbessert werden sollten. Aus dem Publikum, in
dem viele Studentinnen saßen, kamen durchaus kritische Fragen und
Forderungen. So wurde die Ansicht vertreten, daß Frauensport
größere öffentliche Beachtung finden solle. Nur so könnten
Athletinnen Vorbilder sein, nur so könnten sie Anerkennung und
Unterstützung finden. "Es ist nicht nur aus Spaß," meinte
die Kanutin Silva Hanbarchian, 23 in eine Interview. "Die Welt soll
wissen, daß die Iranerinnen alles machen können was andere Frauen
tun, nur eben in dieser Uniform, und daß wir etwas leisten können,
wenn man uns nur die Möglichkeit dazu gibt."
Die Hoffnung zahlreicher iranischer Frauen, daß sich einige
Verhaltensregeln lockern und die Bewegungsfreiheit von Frauen in Sport und
Gesellschaft erweitern würden, ist sicher nicht einfach zu realisieren,
weil die Aufgabe des Hijabs an den Grundfesten der islamischen Gesellschaft
rütteln würde. Trotzdem sind viele Iranerinnen, vor allem nach dem
Wahlsieg der Reformisten, davon überzeugt, daß sie sich auf dem
richtigen Weg befinden. Und wenn ich das nächste mal nach Teheran komme,
werde ich hoffentlich mit einer Gruppe von Läuferinnen in Teheran joggen
können.
Prof. Dr. Gertrud Pfister, Institut für Sportwissenschaft, Freie
Universität Berlin