Die Laufszene ist in der Schweiz schon oftmals totgesagt worden. Triathlon,
Duathlon, Inline-Skating und andere neue Sportarten würden dem
"langweiligen Laufen" den Rang ablaufen, hiess es. Doch davon ist
wenig bis gar nichts zu spüren. Die Jungen fühlen sich zwar von den
trendigen Sportarten mehr angezogen, aber das ist nicht neu.
In der Schweiz gibt es pro Jahr rund 600 vom nationalen
Leichtathletikverband SLV registrierte und seit 1984 im "Lauf-Guide"
zusammengefasste "Veranstaltungen ausser Bahn": Strassen-,
Gelände- und Bergläufe. Vor 10 Jahren waren es noch mehr. Das war die
Zeit, als mancher Dorfverein glaubte, mit der Organisation eines Volkslaufs
komme man schnell und leicht zu Geld. Diese "Trittbrettfahrer" sind
inzwischen wieder vom Zug gefallen. Kleine sind verschwunden und die Grossen
wachsen weiter: Der Grand Prix von Bern, der Schweizer Frauenlauf, der Course
de lEscalade in Genf, der Greifenseelauf und der Jungfrau-Marathon warten
praktisch jedes Jahr mit neuen Rekordzahlen auf.
Anders als zum Beispiel in Deutschland, wo die Marathons die grössten
Teilnehmerzahlen verzeichnen, sind es in der Schweiz die kürzeren
Strassenläufe. Grösster Marathon ist der über 42,195 km
führende Berglauf von Interlaken auf die Kleine Scheidegg
(Höhendifferenz 1803 m), der im "Der Marathonreiseführer"
(ISBN 3-935254-00-8) 1998 zum "schönsten Marathon der Welt"
erkoren wurde. Der Berlin-Marathon belegt in der Gesamtbeurteilung unter den
100 von den Autoren getesteten Marathons hinter Stockholm, aber vor New York
gemeinsam mit London den zweiten Platz.
Der Grand Prix von Bern findet am 12. Mai zum 20. Mal statt. Die
Anfänge waren bescheiden: 3139 wagten sich bei der Premiere auf die
stimmungsvollen 10 Meilen durch die fahnen- und blumengeschmückte
Bundesstadt. 1986 war man dann bereits bei 9000 angelangt und letztes Jahr -
inzwischen sind ein 5,5 km langer Altstadt-GP und verschiedene Kinderstrecken
dazu gekommen - wurde mit 13 578 Klassierten ein neuer Rekord gefeiert. Eine
ähnliche Erfolgsgeschichte liegt hinter dem Schweizer Frauenlauf, der am
10. Juni zum 15. Mal durchgeführt wird und längst zu einem Happening
geworden ist. 1987 waren 2330 Frauen am Start, letztes Jahr über 12 000.
Zu Beginn noch belächelt, gehört der Frauenlauf heute zu den drei
grössten Laufveranstaltungen im Land.
In der Schweiz sind aber auch sanfte Sportarten wie Aqua-Fit
(Wassergymnastik mit Ausdauertraining, dem sogenannten Deep Water Running),
Walking und Nordic Walking stark im Aufwind. Dabei geht es ohne Leistungsdruck
primär um die Gesundheit und die Freude an der Bewegung - und um die
Steigerung der Lebensqualität. Zwischen 3000 und 4000 Aqua-Fit-Kurse
finden pro Jahr statt, und beim Frauenlauf konnte die Zahl der Walkerinnen
übers Jahr von 600 auf 1200 verdoppelt werden.
Was für den Jogger die Laufveranstaltung ist für den Aqua-Fitter
die gemeinsame Seedurchquerung. Als letzten August rund 2700 Männer und
Frauen mit einer "Wet Vest" ausgerüstet in den Greifensee
stiegen, war kein Wettschwimmen angesagt, sondern die 5.
Aqua-Fit-Seedurchquerung. Nach 1,3 km und 50 bis 110 Minuten erreichten die
Finisher auf der anderen Seeseite das Ufer. Dieses Ereignis wurde sogar als
Weltrekord ins Guiness-Buch der Rekorde aufgenommen; noch nie zuvor waren so
viele Leute quer durch einen See "gejoggt".
Seit letztem Jahr haben in der Schweiz auch die Walker ihre eigene
Veranstaltung. Nicht weniger als 1700 kamen zum 1. Swiss Walking Event nach
Solothurn, 86 Prozent waren Frauen. Die zweite Austragung ist für den xxx
September geplant. Ich denke, dass der Trend weiter in Richtung dieser
gesundheitsorientierten Plauschveranstaltungen gehen wird. Aber daneben werden
auch die Laufveranstaltungen ihre Zukunft haben - wenn sie gut organisiert sind
und das Umfeld stimmt.
Markus Ryffel
Der Kolumnist ist Schweizer Rekordler, gewann bei den Olympischen Spielen
1984 in Los Angeles die Silbermedaille über 5000 Meter und ist
erfolgreicher Veranstalter von Laufveranstaltungen in der Schweiz (u.a.
Frauenlauf, Halbmarathon WM 1998 in Uster, Greifenseelauf).