LONDON. Drei Wochen zuvor gewann sie den Berliner Halbmarathon und
verdiente sich dabei das bescheidene Sieggeld von 2000 DM, nun triumphierte
Joyce Chepchumba beim London-Marathon und kassierte die höchste
Prämie ihres Lebens. Daß die 28jährige mit 230.000 Dollar
belohnt wird, hängt allerdings mit einem Novum zusammen. Denn die
Veranstalter des London-Marathons sehen die Siegzeit der Kenianerin, die
2:23:22 Stunden lief, als neue Weltbestleistung an. Hintergrund dieser Rechnung
ist, daß die Briten lediglich Ergebnisse anerkennen, die in reinen
Frauenrennen erzielt wurden. Davon gibt es allerdings, abgesehen von den
großen internationalen Meisterschaften, nur eine handvoll. In Berlin oder
beispielsweise auch in Rotterdam, New York, Boston und Chicago starten Frauen
und Männer stets gemeinsam. In London beginnen die Eliteläuferinnen
währenddessen seit einigen Jahren ihr Rennen 30 Minuten früher.
Der Verdacht liegt nahe, daß dieser britische "Linksverkehr des
Marathonlaufes" nur eingeführt wurde, um leichter eine Weltbestzeit
zu erreichen. Schließlich führt auch der Internationale
Leichtathletik-Verband (IAAF) nur eine Bestenliste. Und die wird nach wie vor
angeführt von Tegla Loroupe (Kenia), die vor einem Jahr den
Rotterdam-Marathon in 2:20:47 Stunden gewonnen hatte. Pikanterweise waren es
die Londoner, die damals ihren Rekord verloren. 1985 hatte Ingrid Kristiansen
(Norwegen) an der Themse in einem gemischten Rennen in 2:21:06 Stunden
gewonnen. "Manchmal", antwortete Joyce Chepchumba etwas ausweichend
auf die Frage nach dem Weltrekord, "wäre es besser, die Frauen
wären ohne Männer - natürlich nur beim Laufen." Damit hatte
sie die Lacher auf ihrer Seite.
Bei den Männern kann es ein derartiges Rekord-Verwirrspiel
glücklicherweise nicht geben. Dafür gab es ein anderes Novum:
Abdelkader El Mouaziz, ein 30jähriger Marokkaner, der bereits im Vorjahr
mit Rang zwei überrascht hatte, lief zum Sieg in erstklassigen 2:07:57
Stunden. Dabei erzielte er auf die Sekunde genau jene Zeit, mit der 1998 Abel
Antón gewonnen hatte. Und wie der Spanier, verschenkte auch der
Marokkaner den Streckenrekord. Völlig erschöpft, jubelte er auf der
Zielgeraden, anstatt sich auf die letzten Meter zu konzentrieren. Um zwei
Sekunden verpaßte er dadurch den Streckenrekord des gestern
zweitplazierten António Pinto (Portugal) und damit eine zusätzliche
Prämie in Höhe von 25.000 Dollar. Dennoch blieben ihm insgesamt
80.000 Dollar. Der Berlin-Marathon-Sieger Ronaldo da Costa, der im September
mit 2:06:05 Stunden eine Weltbestzeit aufgestellt hatte, spielte in London
keine Rolle und erreichte das Ziel als 17. in 2:14:10 Stunden. Angeblich hatte
er in den letzten Monaten mehr mit Autogrammstunden und Interviews zu tun als
mit seinem Training.
Einen echten Rekord gab es auch noch: 31.582 Läufer starteten beim
London-Marathon, der gemeinsam mit New York der weltgrößte ist.
Erstmals erreichten über 30.000 Athleten das Ziel (30.750). Und für
Kuriosa ist das enorme Feld immer gut. Der älteste Läufer war 89, der
jüngste 18. Die Liste der Berufsgruppen führten die Lehrer mit 1760
Startern an. Bei den häufigsten Namen führten die Smiths mit 453
Läufern vor den Jones' mit 363. Gleich 1705 Läufer des Feldes
hießen David. Außerdem starteten drei Michael Jacksons. Für
ein weiteres Novum sorgten Mick Gambrill und Barbara Cole, die nach einigen
Kilometern einen Schlenker zum Standesamt machten, sich das Ja-Wort gaben und
verheiratet das Ziel am Buckingham Palast erreichten - den Ideen der
lauf-verrückten Briten sind in London keine Grenzen gesetzt.