Beim „härtesten Marathon der Welt“ in der Graubündener Bergwelt triumphiert der Weltbeste: Jonathan Wyatt eine Klasse für sich – Zwölfeinhalb Minuten Vorsprung – Früheres Skiass Jasmine Nunige überrascht am Parpaner Rothorn in Lenzerheide –Graubünden-Marathon bislang noch eher ein Geheimtipp – Walker auf dem Vormarsch
Kein Pappenstiel
42 km sind schon kein Pappenstiel, aber als Sahnehäubchen obendrauf noch 2 727 Höhenmeter, das ist etwas Spezielles. Etwas für Spezialisten, wie dies zweifellos Jonathan Wyatt ist. Der weltbeste Bergläufer, der nicht nur nach Belieben die Kurzdistanzen wie in Mölten, Grabs, Susa, Zermatt und Bergen beherrscht, sondern auch auf den Langdistanzen wie bei Sierre-Zinal, beim Drei-Zinnen-Marathon, im Graubündener Land zwischen Chur und Lenzerheide oder im Schatten des majestätischen Dreigestirns Eiger, Mönch und Jungfrau, stets mit Streckenrekorden. Der 33jährige Neuseeländer ist das Nonplusultra der Berglaufszene, wo er jemals angetreten war, die Streckenrekorde sind im Gebirgsmassiv für die Ewigkeit eingemeißelt, es sei denn, der Meister selbst kehrt zurück und jagt seine eigene Hausmarke.
Dabei ist der Architekt und professionelle Läufer kein Schlechter auf der Straße, drei Olympiastarts in Atlanta, Sydney und Athen unterstreichen seine internationale Klasse wie auch die schnellen Resultate auf der Straße oder auf der Stadionrunde. 27:56 über 10 000 m sprechen eine klare Sprache wie auch die 2:13:00, die er vor Jahresfrist beim Hamburg-Marathon abgeliefert hatte. Drei Tage vor dem Marathontrail in Graubünden stand er noch gegen die Straßentingler Kiprono, Tandoi und Co. beim „Cup da Franco“ in Darmstadt bei einem der ältesten Stadtläufe der Szene an der Startlinie. „Speedwork“ nannte Jonathan Wyatt das Vorhaben bei seinem Ausflug auf das Fußgängerpflaster in Darmstadts City, musste dabei als Siebter erkennen, dass es alleine an der Tempohärte etwas mangelte, als in der Schlussphase vorweg die Kenianer wild entschlossen um die begehrten Preisgelder spurteten.
Drohende Gewitterwolken
Um es vorweg zu nehmen: Drei Tage später rannte kein Kenianer zwischen Chur und dem Rothorn weder bei der Zwischenwertung in Passug noch im Ziel in 2 865 m Höhe vorweg, den Triumph genoss der Neuseeländer alleine. Der starke äthiopische Asylbewerber Feyissa Mengesha, unter den zahlreichen Erfolgen auf Schweizer Terrain auch Vierter beim Jungfrau-Marathon 2004, hatte gegen die exzellente Vorstellung von Jonathan Wyatt nicht den Hauch einer Chance und musste mit vierzig (!) Minuten Rückstand auf den Weltbesten mit einem sicherlich enttäuschenden vierten Rang zufrieden sein. Ein glücklicher Karl Jöhl genoss angesichts der drohenden Gewitterwolken zwischen den Zacken der zerklüfteten Hochgebirgswelt im Graubündnerischen den Erfolg des Augenblicks, denn der 41jährige aus Amden hatte erst zwei Wochen zuvor den LGT-Marathon im Fürstentum Liechtenstein für sich entschieden. Sein 12-Minuten-Rückstand ist aller Ehren wert, schließlich waren es bereits bei der Mittelstation Scharmoin bereits elf Minuten, die ihn vom Spitzenmann trennten.
Das ist wirklich das schwerste Rennen ...
„Das ist wirklich das schwerste Rennen, das ich bislang gelaufen bin“, gestand der Neuseeländer ein. Im Vorjahr hatte er mit 3:18:56 Stunden eine Rekordmarke aufgestellt, die nicht nur 19 Minuten besser als die seitherige, die der Brite Martin Cox aufgestellt hatte. Bei der dritten Auflage des Graubünden-Marathons standen bei Jonathan Wyatt die Zeichen längst nicht auf (An-)Sturm seines eigenen Rekordes, sondern angesichts der Steigungen im Schlussdrittel ließ es der weltbeste Bergläufer bei seinem Alleingang „ruhig“ angehen. „Die Zeit spielte keine Rolle. Wenn du keinen Druck spürst, läufst du nach Wohlbefinden!“ Er tat es auf seine Weise, die Abstände wuchsen stetig, zuerst vier Minuten, dann sieben und elf, letztlich zwölfeinhalb. Wohl dem, der diese gewaltige Rampe ruhig angehen kann. Jonathan Wyatt konnte es. Und dennoch „stand“ auch der Neuseeländer einen Kilometer vor dem Ziel förmlich im Berg. Ein Rhythmus, den der Kiwi so gut wie niemals einschlagen muss. 400, 500 Meter, dann ging es scheinbar leichtfüßig dem Ziel entgegen. „Meine Prioritäten sind in diesem Jahr anders gesetzt, für mich hat der WM-Start in Helsinki Priorität“, plauderte Jonathan Wyatt eine Stunde nach dem Zieleinlauf völlig entspannt über seine Saisonausrichtung. „Der Großglocknerlauf wird voraussichtlich vor dem WM-Marathon mein letzter Berglauf sein. In der Vorbereitung möchte ich noch einen Halbmarathonlauf in Köln laufen!“ verhehlt aber nicht, dass er heuer auch bei der World Trophy in seiner Heimat am Start sein wird, auch wenn es auf der ungeliebten Berglauf-bergab-Strecke eher crossig zugehen wird. „Wir haben eine sehr gute Mannschaft, die durchaus Siegchancen gegen Italien haben dürfte!“
Local heroes
Doch zurück zum Graubünden-Marathon. Karl Jöhls zweiter Rang war ebenso wenig gefährdet wie letztlich auch der dritte Rang von Ueli Horisberger, der damit erstmals auf das Siegerpodest steigen konnte, mit 37 Jahren allerdings auch im besten Marathonalter ist. Carlos Lopez lässt grüßen! Hinter dem völlig ausgepumpten Feyissa Mengesha kamen sie, die Hansruedis, Remos, Gregors, Daniels und Martins. Local heroes, die die Szene an allen Orten bestimmen. Und sie alle waren Sieger, auch die, die wegen des am Nachmittag einsetzenden Gewitters im Anstieg „evakuiert“ werden mussten.
Überlegener Sieg von Jasmin Nunige
Damit hatten die schnellsten Frauen natürlich ebenso wenig zu tun. Bereits in Passug setzte sich die frühere Skilangläuferin Jasmin Nunige an die Spitze. Wer allerdings geglaubt hatte, die Davoserin wolle sich nur die Sprintwertung sichern, der sollte sich kräftig irren. Die Mutter zweier Kinder, das jüngste ist gerade einmal 14 Monate alt, legte mehr und mehr Wegstrecke zwischen sich und den vermeindlichen Favoritinnen mit der LGT-Siegerin Carolina Reiber und Emebet Abossa, der Vorjahressiegerin und Erste bei den Schweizer „Hochkarätern“ wie Jungfrau-Marathon (2004), Swiss Alpine Marathon (K 42/ 2004) und Lausanne-Marathon (2003). „Ich habe bei meinem Sieg beim Planoiras-Skirennen im Winter den Entschluss gefasst, den Graubünden-Marathon zu laufen“ gestand die frühere Nationalmannschaftsläuferin, übrigens verheiratet mit dem französischen Langstreckler Guy Nunige. Ein weiser Entschluss, denn die 32jährige lief konzentriert und entspannt zugleich zu einem überlegenen Sieg Wyattscher Qualität, denn erst zwölf Minuten später erreichte Carolina Reiber als Zweite das Ziel. Weitere dreizehn Minuten zurück überraschte die 44jährige „Flachländerin“ Ulrike Hoeltz aus Karlsruhe mit einem unerwarteten dritten Rang, die Premierensiegerin Katrin Kläsi folgte aus Fünfte, die Äthiopierin Emebet Abossa gab nach d30 km entkräftet vorzeitig auf.
Schwerster Marathon der Welt
Die dritte Auflage des Graubünden-Marathon hat eines gezeigt, dass dieser Marathon zu recht den Zusatz „schwerster Marathon der Welt“ trägt, denn mit nur 382 Finishern ist angesichts der Experimentierfreudigkeit der landschaftsorientierten Langstreckler das Entwicklungspotential der Macher um die neue OK-Präsidentin Anja Baselgia-Camichel groß, die Konkurrenz unter den Landschaftslauf-Angeboten allerdings nicht minder. Zwei Wochen nach dem ebenso unter dem Konkurrenzdruck leidenden LGT-Marathon im benachbarten Fürstentum Liechtenstein, eine Woche nach dem traditionsreichen 100 km-Lauf in Biel – und im Vorfeld von dem Berglauf-Klassiker Swiss Alpine Marathon in Davos wird es schwer sein, ein weiteres Highlight zu platzieren. Da helfen natürlich die Nebenwettbewerbe wie der Rothorn-Run von Lenzerheide hinauf auf’s Rothorn (144 Finisher) und die Walking-Wettbewerbe, die völlig im Trend mit unter schiedlichen Streckenlängen wie „Top“, „Medium“ und „Short“ unter dem Strich über 330 Walker am Folgetag bei dann wiederum Bilderbuchwetter auf die Beine brachten.
Wilfried Raatz