Tokio, Osaka, Beppu, Otsu, Fukuoka - allesamt Garanten für
Marathon-Weltklasseresultate. Die schnellen Marathonläufe,
ausschließlich für wenige hundert Eliteläufer konzipiert,
sorgen für internationale Schlagzeilen, gehen in die Weltbestenlisten mit
Glanz und Gloria ein. Fachjournalist Wilfried Raatz stellt jedoch mit dem
Ohme-Marathon vor den Toren Tokios einen "Marathon" vor, der zwar nur
dreißig Kilometer misst, aber als das Sprungbrett für die
künftigen japanischen Marathon-Asse gilt. In der japanischen Laufszene
gilt der traditionsreiche Ohme-Marathon als das Breitensportereignis, das heuer
seine 36. Auflage erfuhr. Dank der Partnerschaft mit dem Boston Marathon und
dem Frankfurt-Marathon rückt der als "Fun race" 1967 ins Leben
gerufene Ohme-Marathon auch außerhalb Japans ins Visier, zumal es die
Ohme-Organisatoren immer wieder verstanden, auch Weltklasseläufer wie
Ingrid Kristiansen, Rosa Mota, Bill Rodgers, Gerald Nijboer oder Waldemar
Cierpinski in die 130 000 Einwohner große Vorstadt Tokios einzuladen.
Die große japanische Sportzeitung "Sports Hochi" der
Mediengesellschaft Hochi Shinbun Newspapers fasste 1964 nach dem
Bronzemedaillengewinn von Kokichi Suburaya bei den Olympischen Spielen in Tokio
den Entschluss, eine Art Volkslauf ins Leben zu rufen - der Erfolg war
vorprogrammiert. Der Ohme-Marathon boomte nach bescheidenen Anfängen mit
337 Läufern derart, dass die Polizeibehörde die längst auf 25
000 Teilnehmer angewachsene Läuferschar auf 15 000 begrenzen mußte -
und dabei ist es trotz moderner Technik bis heute geblieben. Der vorgeschaltete
10 km-Lauf für Jugendliche und Mastersläufer bringt zudem 3000
Läufer auf die Beine, sodass stets Mitte Februar eine Stadt regelrecht im
(Läufer-)Ausnahmezustand lebt.
Viele Läufer kommen bereits am Vortage nach Ohme, einer beschaulichen
Wohnstadt am Eingang eines idyllisch gelegenen Tales. Das Sportzentrum wandelt
sich in der Nacht vor dem großen Laufereignis zu einem riesigen
Heerlager, andere lagern auf Matten am Straßenrand und Hofeinfahrten oder
campieren in der Nähe des Starts. Obligatorisch die feierliche
Eröffnungszeremonie mit einer eindrucksvollen Trommlergruppe, die am
Lauftag auf der stark profilierten Pendelstrecke im Ohme-Tal lautstarke
Unterstützung für die Läufer anbietet, oder international
übliche Pastaparty oder Marathonmesse, die letztlich auf das große
Laufereignis einstimmen.
Sorgte im Vorjahr die japanische Olympiasiegerin Naoko Takahashi bei ihrem
ersten Start nach dem Goldmedaillen-Gewinn von Sydney mit der Weltbestzeit von
1:41:57 Stunden für eine regelrechte Massenhysterie, war es heuer der
Baseballstar Shigeo Nagashima, der besondere Sicherheitsvorkehrungen
erforderlich machte. Dieser lief freilich nicht die 30 km-Distanz, sondern
bekam als Ehrenstarter mehr Beifall als die späteren Sieger Yuki Mori
(1:31:16) und Yukari Komatsu (1:45:16). Die 28jährige brachte dabei das
Kunststück fertig, die kenianische Olympiavierte Esther Wanjiro um mehr
als eine Minute zu distanzieren. Mit Routine und Charme genoss der inzwischen
sechzigjährige "Beckenbauer Japans" nicht nur das Bad in der
Menge, sondern zeigte sich auch von den Leistungen der Läuferschar
beeindruckt. Die breite Straße ins Ohmetal mit den ersten
Pflaumenblüten wird zur Laufbahn, auf der Hunderte von Polizisten und
Helfern im Abstand von zwanzig Metern penibel darauf achten, dass kein
Läufer auch nur einen Meter von der Ideallinie abweicht oder ein Zuschauer
die Straße betritt. Köchelnde Gastwirte bieten am Straßenrand
allerlei Leckereien oder Deftiges an, während die vielen Zuschauer am
Streckenrand, klischeegleich mit Fähnchen ausgerüstet den
Läufern eher schweigend zuwinken.
Für die deutschen Starter, auf Initiative des früheren
München-Marathon-Chefs Ali Schneider einst ins Spiel gebracht, ist der
Ohme-Marathon längst ein Erlebnis der besonderen Art. Während
Olympiastarterin Petra Wassiluk und Mastersläufer Günter Mielke auf
der 10 km-Strecke bereits zu Siegen kamen, hängen die Trauben auf der 30
km-Distanz ungleich höher. Alleine Steffen Dittmann und heuer Romy
Spitzmüller schafften den Sprung unter die top ten eines
außergewöhnlichen Laufereignisses.
Übrigens: Großflächig wurden auf großen Plakaten des
real.-Berlin-Marathon die insgesamt 18 000 japanischen Starter im Bereich der
großen Sporthalle begrüßt. Schließlich zeigte das Poster
ihre jubelnde Landsfrau Naoko Takahashi bei ihrem Zieleinlauf auf dem
Kurfürstendamm, just als in dem Moment, als sie die neue Weltbestzeit
realisierte. Dank der weltumspannenden Kontakte der
Berlin-Marathon-Organisatoren lagen bei der Startnummern-Ausgabe natürlich
auch druckfrische (englischsprachige) Ausschreibungen des real,-
BERLIN-MARATHON 2002 aus. Einen besseren Werbepartner als die auf den
Straßen der deutschen Hauptstadt Weltbestzeit laufende
Marathon-Olympiasiegerin konnten die Berliner für das Land der aufgehenden
Sonne mit ihrer großen Begeisterung für den Marathonlauf freilich
nicht gewinnen.
36. Ohme-Marathon (30 km): Ergebnisse: Männer: 1. Mori 1:31:16, 2.
Isomatsu 1:31:19, 3. Hayata 1:31:38, 4. Nara 1:32:06, 5. Kiniwa 1:32:22, 6.
Kimura 1:32:43, 7. Sugaya (alle JPN) 1:33:34, 8. Tegenu (ETH) 1:33:40 ... 16.
Wagner (De/ LG Braunschweig) 1:36:00. Frauen: 1. Komatsu 1:45:16, 2. Wanjiro
(KEN) 1:46:58, 3. Kumagai 1:48:16, 4. Hoshino 1:49:48, 5. Tabashi (alle JPN)
1:49:53, 6. Beck (USA) 1:50:01, 7. Nomura (JPN) 1:51:06, 8. Spitzmüller
(De/ LAZ Leipzig) 1:52:24.
Die besten Resultate deutscher Starter
30 km
1:32:27 Steffen Dittmann (1993/ 10.)
1:32:59 Steffen Dittmann (1991/ 8.)
1:35:24 Michael Scheytt (1994/ 10.)
1:35:38 Christian Fischer (1999/ 11.)
1:36:00 Jörn Wagner (2002/ 16.)
1:37:33 Franz Hornberger (1988/ 20.)
1:38:24 Eike Loch (1993/ 47.)
1:38:52 Robert Langfeld (1998/ 28.)
1:39:06 Helmut Stenzel (1987/ 21.)
1:39:23 Heinz-Bernd Bürger (2000/ 35.)
1:41:52 Udo Reeh (1990/ 36.)
10 km
33:19 Michaela Möller (2000/ 2.)
33:20 Petra Wassiluk (1999/ 1.)
34:29 Maren Östringer (1998/ 4.)