In Kooperation mit RUNNER’S WORLD erscheint hier jeden Monat ein Thema aus dem aktuellen Heft.
Der Marathon ein Theaterstück, die Läufer als Schauspieler - wer je an einem der großen Stadtläufe teilgenommen hat und sozusagen auf der Bühne einer Großstadt mit dicht gedrängten Zuschauerreihen eine Vorstellung gegeben hat, weiß, wie sich dies anfühlt. Stimmungsschwankungen zwischen Glück und Verzweiflung, zwischen Hochgefühl und Schmerz, die Sehnsucht nicht zu vergessen: das Ziel so fern, der Schmerz so nah. Körpereigene Hormone, Endorphine genannt, sorgen dafür, dass die schlimmsten Schmerzen wenigstens so lange unterdrückt werden, bis man zum Stillstand gekommen ist.
Glückshormone?
Von wegen, wer das behauptet, hat solche Zustände nie erlebt. Danach verzücktes Hinken, in Alufolie gehüllt und eine Blechmedaille um den Hals lässt man sich von Anverwandten versorgen und bewundern. Das Leben, ein Marathon.
Den Marathon ins Theater bringt in Berlin der Schauspieler und Läufer Joachim Meyerhoff. Nach seiner Privatvorstellung beim BERLIN-MARATHON letztes Jahr entschloss er sich, das Thema auf die Bühne eines klassischen Theaters zu hieven. Meyerhoff, der am Wiener Burgtheater fest engagiert ist, also sozusagen in der Champion’s League des deutschsprachigen Theaters spielt, nennt sein Stück im Berliner Maxim Gorki Theater »Marathon: 2:04:55«, was Insider unschwer als den Marathon-Weltrekord erkennen, gelaufen in Berlin vor einigen Jahren (2003), übrigens in unmittelbarer Nähe des Maxim Gorki Theaters, das ja am Boulevard Unter den Linden liegt, also quasi an der dramatischen letzten Meile der Marathonstrecke. Genauso lange wie der Weltrekord dauert das Stück, das sich aus verschiedenen Episoden zusammensetzt. Meyerhoff, der außerdem am Hamburger Schauspielhaus in der Erfolgsaufführung des »Faust« (mit Edgar Selge) den Mephisto gibt, ist ein begeisterter Läufer. Ihn fasziniere das innere Erlebnis einer solchen intensiven Beschäftigung mit sich selbst, wie es das Laufen repräsentiere, vor allem im Extrembereich, dem Marathon also. Dem hängt ja auch ein Mythos an, schließlich leitet sich der Begriff ja von einem Drama ab, an dessen Ende einer tot umfiel.
Das Stück ist nicht das erste Theaterstück, das sich mit dem Thema beschäftigt. Der Einakter »Marathon« eines britischen Autoren-Trios wird seit einigen Jahren in deutschen Großstädten im zeitlichen Umfeld großer Stadtmarathonläufe gespielt. Meyerhoffs Stück unterscheidet sich schon dadurch, dass es auf einer größeren Bühne aufgeführt wird und einen vergleichsweise bedeutenderen Rahmen erhält, quasi Bundesliga-Niveau, um beim sportlichen Vergleich zu bleiben.
Die Intellektuellen und der Sport, die sogenannte Hochkultur und der profane Schweiß, erschienen lange als klassische Antipoden. Eines der jüngeren Beispiele ist Elfriede Jelineks »Sportstück«, das erst vor einigen Jahren Premiere hatte und unter anderem die Assoziation Sport und Militarismus bzw. Körperkult und Faschismus vor Augen führen will. Nun mögen sich die Geister an Frau Jelinek streiten – für die Polarisierung muss man ihr dankbar sein. Klarer lässt sich das Thema kaum herausarbeiten.
Die ausgesprochen individualistische sportliche Bewegungsform des Laufens zeigt mit ihrer Spannweite vom meditativen Charakter des Trainings- bzw. Wohlfühllaufs bis hin zur Wettkampfform des Marathons geradezu existentialistische Züge. Momente arroganter Selbstüberschätzung, Runner’s High genannt, wandeln sich im Wettkampf zu Augenblicken höchsten Selbstzweifels und bilden eine Dramatik, die eben nur nachvollziehen kann, wer es am eigenen Leib, an der eigenen Seele erlebt hat. (Frau Jelinek vermutlich nicht.)
Laufende Schriftsteller, Schauspieler und Autoren sorgen zunehmend dafür, dass das Thema langsam wegdriftet vom Turnhallenmief und der disziplinierten Aufstellung vor der Sportstunde, die so mancher noch im Hinterkopf haben mag.
Die Premiere des Marathon-Stücks ist übrigens am 13. April.
von Thomas Steffens | Chefredakteur