Am 6. August werden in Helsinki die 10. Weltmeisterschaften der
Leichtathleten eröffnet. 22 Jahre nach der ersten Weltmeisterschaft in
Helsinki gehört wieder ein sächsischer Läufer zum WM-Aufgebot. Der
Pirnaer René Herms, deutscher Abonnementsmeister über 800 m der letzten
Jahre, will dort ein großes Ziel erreichen, die Finalteilnahme bei
einer großen internationalen Meisterschaft. Wir sprachen mit ihm vor
seiner Abreise.
Hallo René,
vor wenigen Wochen bist Du zum fünften Mal in Folge Deutscher
Meister geworden. Dazu nochmals herzlichen Glückwunsch! Im eigenen Land
gibt es also kaum ein Ziel, um sich Jahr für Jahr neu zu motivieren.
Ist der deutsche Methusalem-Rekord über 800 m von Willi Wülbeck
(1:43,65 min), der 1983 in Helsinki mit dieser Zeit den
Weltmeistertitel holte, so ein Ziel? Immerhin läufst Du ja nächste
Woche im Olympiastadion an gleicher Stätte und aus selben Anlass?!
René Herms
Das Ziel, diesen Rekord irgendwann anzugreifen, besteht sicherlich.
Willi Wülbeck war 27 Jahre, als er diesen Rekord aufgestellt hat. Ich
habe also noch ein paar Jahre Zeit. Ich denke, im Alleingang diese
Zeiten zu laufen, ist ein schwieriges Unterfangen. In Helsinki ist
vieles möglich, man kann mit einer Topzeit gewinnen oder vielleicht mit
einer in Anführungszeichen weniger guten Zeit. Das ist alles eine Frage
der Rennentwicklung. Am Ende fragt keiner mehr nach der erzielten Zeit
bei einer Weltmeisterschaft, da zählt nur die Platzierung.
Du bist einer der wenigen jungen Leichtathleten, die in den
letzten Jahren immer den Sprung zum Saisonhöhepunkt geschafft haben.
Gleichzeitig kommst Du aus einem kleinen sächsischen Verein, dem Du
seit Beginn Deiner sportlichen Karriere die Treue gehalten hast. Was
ist aus Deiner Sicht das Besondere an Deinem Training und Deinem Umfeld?
René Herms
Wir trainieren sicherlich genauso viel wie andere Leute auch. Ich
meine, wir trainieren qualitativ hochwertiger. Unser Motto lautet
deshalb ja auch: „Qualität statt Quantität!“. Das Positive an unserem
Umfeld sind vor allem die kurzen Wege. Physiotherapie, ärztliche
Betreuung, Entspannungsbecken und alles was zum Hochleistungssport dazu
gehört, liegen in unmittelbarer Nähe unserer Trainingsstätten. Die
Laufstrecken im Wald und an der Elbe beginnen fast am Stadion. Ich
denke, das Gesamtpaket ist einfach leistungsfördernd. Das Institut für
angewandte Trainingswissenschaften aus Leipzig begleitet uns oft ins
Trainingslager oder ist hier vor Ort. Die Leipziger Wissenschafter
bieten uns beste Möglichkeiten, um unser Training aus medizinischer und
trainingsmethodischer Sicht zu analysieren. Ohne diese Zusammenarbeit
wären wir sicher nicht so weit gekommen.
Auf Deiner Homepage steht, ich zitiere: „Ein guter Läufer muss nicht
nur ehrgeizig sein, sondern auch ein wenig Egoismus besitzen.“ Was
meinst Du damit?
René Herms
Na gut, als erfolgreicher Sportler besteht schnell die Gefahr,
arrogant zu wirken. Man gerät in den Blickpunkt der Öffentlichkeit,
gibt Interviews und manchmal werden dann Äußerungen als Prahlerei
abgetan. Aber ich laufe natürlich, um auch Titel zu gewinnen. Und wenn
man erfolgreich ist, steht man auch schnell im Medieninteresse. Warum
sollte man das Erreichte nicht auch in den Vordergrund stellen? Ein
gewisses Ego und der nötige Ehrgeiz gehören einfach dazu.
Vor kurzem bist Du 23 Jahre alt geworden. Im letzten Jahr gab es
sowohl sportlich mit Deiner ersten Olympiateilnahme als auch privat
(René heiratete im Herbst 2004 seine Freundin Steffi) nicht alltägliche
Erlebnisse für Dich. Hat dies den Menschen René Herms verändert?
René Herms
Eigentlich würde ich nicht sagen, dass ich ein anderer Mensch
geworden bin. Mit meiner Frau habe ich ja schon vor unserer Hochzeit
vier Jahre zusammengelebt. Ich glaube, ich bin jetzt etwas gefestigter
und ruhiger. Die Einstellung zu meinem Sport ist professioneller
geworden. Im Halbfinale bei den Olympischen Spielen ist eine Menge
schief gelaufen, woraus dann auch das Ausscheiden resultierte. Darüber
war ich schon verärgert. Aber ich habe die positiven Dinge daraus
mitgenommen und meine Lehren gezogen. Ich denke, dieses Jahr konnte ich
dies schon ganz gut umsetzen.
In den ersten sechs Rennen des Jahres bist Du an den verschärften
Normen des DLV (zweimalige Normerfüllung von 1:45,40 min) vorbei
gerannt. Danach platze dann der Knoten und Du konntest innerhalb
weniger Tage die Norm in Straßburg, Wattenscheid und Cuxhaven gleich
dreimal unterbieten. Seit Jahren stehen ja in der Öffentlichkeit
Vorwürfe im Raum, manche Athleten würden als Touristen zu
internationalen Meisterschaften fahren und sich dort nach den
Vorkämpfen verabschieden. War die Normerfüllung im Hinterkopf für Dich
eher belastend oder findest Du es richtig vom Verband, die Athleten auf
diesem Weg mehr zu fordern?
René Herms
Das ist schwierig zu beurteilen. An der gesunkenen Mannschaftsstärke
im Vergleich zum letzten Jahr sieht man die Auswirkungen der
verschärften Normen ja deutlich. Auf der einen Seite sind die Normen so
gesetzt, dass man auch international konkurrenzfähig ist. Auf der
anderen Seite vergisst man die jungen Athleten, die man ja eigentlich
fördern will. Diese sind oftmals noch nicht so weit in ihrer
Entwicklung, um solche Leistungen konstant abzuliefern. Wenn der
Verband da ein paar Abstriche machen würde, um den jungen Athleten die
Teilnahme an einem solchen Großereignis zu ermöglichen, wäre das sicher
in einigen Disziplinen besser für die Zukunft.
Für mich persönlich bedeutete die Normverschärfung Geduld zu haben. Das
Training ist ja auf den Saisonhöhepunkt ausgelegt und dieser ist nun
mal erst im August. Hinzu kam der kurze Zeitraum, um die Norm zweimal
zu laufen. Man hat ja gesehen, dass die Rennen umso schneller und
konstanter wurden, je länger die Saison lief. Das muss man sich im
Training alles erst einmal erarbeiten.
In diesem Sommer hast Du abweichend von Deiner bisherigen
Renntaktik, mit einem furiosen Endspurt das Feld von hinten
aufzurollen, öfters bereits früh das Heft des Handels in die Hand
genommen und bist von der Spitze weg gelaufen. Ist dies der Versuch,
Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und durch ein breiteres
taktisches Vermögen ein Rennen auch selbst gestalten zu können?
René Herms
Ja sicher, man lernt dazu. Es war ein Versuch, taktisch
interessantere Rennen abzuliefern. Nicht immer ist es klug, ganz von
vorn zu laufen, da sich die Konkurrenten dann an dir orientieren. Ich
kann mit meinem Endspurt auch noch von hinten einen Lauf gewinnen. Aber
wir wollten es dieses Jahr einfach versuchen. Früher im Jugendalter bin
ich oft so gelaufen. Auch jetzt lief es mit dieser Taktik ganz gut und
die Resultate geben mir Recht. Darüber bin ich eigentlich ganz froh.
International reicht es einfach nicht, auf den eigenen Endspurt zu
vertrauen. Ich weiß jetzt, dass die Großen der Szene zu schlagen sind.
Die müssen auch erstmal das Stehvermögen zeigen, um an mir vorbei zu
laufen. Bei der Weltmeisterschaft werden wir sehen, was passiert.
Zurzeit trainierst Du bis zur Abreise nach Helsinki am Montag in
deiner Heimatstadt Pirna. Wie wirst Du die Zeit bis zu Deinem ersten
Start am Donnerstag verbringen? Wie lenkst Du Dich neben dem Training
von der steigenden Nervosität ab und hast Du ein Geheimrezept für die
unmittelbare Wettkampfvorbereitung?
René Herms
Es wird ganz normal weiter trainiert, allerdings mit etwas
geringerer Intensität, um die nötige Regeneration zu gewährleisten.
Ansonsten werden wir uns an den zeitlichen Tagesablauf gewöhnen, wir er
an den Wettkampftagen sein wird. Das beginnt bei den Mahlzeiten und
geht bis hin zum Training. Der Tag des eigentlichen Wettkampfs ist von
der Anspannung her sicher der Schlimmste, aber wenn der Startschuss
ertönt, ist diese Anspannung eigentlich wie weggeblasen. Eine
Geheimrezept habe ich nicht, ich versuche mich einfach auf meine Läufe
zu konzentrieren und bestmöglich vorzubereiten.
Nach der Europameisterschaft 2002 in München, den
Weltmeisterschaften 2003 in Paris und den Olympischen Spielen 2004 in
Athen wird Helsinki Deine vierte internationale Meisterschaft bei den
Senioren sein. Abgesehen vom 7. Platz in München war jeweils im
Halbfinale Schluss. Welche Lehren hast Du daraus gezogen und mit
welchen persönlichen Erwartungen reist Du zur Weltmeisterschaft?
René Herms
Ich möchte auf jeden Fall hinterher von mir sagen können, das ich
mein Bestes gegeben habe. Ich werde versuchen, mich nicht nur im Feld
zu verstecken. In der Vergangenheit stand in der Presse teilweise der
Vorwurf, ich hätte mich nicht gezeigt. Daher will ich lieber offensiv
agieren. Wenn dann andere an diesem Tag besser sind, habe ich
wenigstens alles probiert. Für meinen Verein, meinen Trainer und mich
ist die Nominierung für die Großereignisse bereits ein wichtiger Erfolg
und die Würdigung unserer Trainingsarbeit. Bei der Leistungsdichte in
der Weltspitze wird es harte Rennen in Helsinki geben, aber mein Ziel
ist schon der Endlauf. Favoriten sind für mich der Titelverteidiger
Djabir Saïd-Guerni, der diese Saison wenige Rennen gemacht hat und
sicher gut vorbereitet an den Start gehen wird, der Jahresweltbeste
Mbulaeni Mulaudzi und der Olympiasieger Yuriy Borzakovskiy. Auch einen
Wilfried Bungei muss man immer beachten.
Wo möchtest Du gern am 14. August um 19.30 Uhr sein und was sind Deine Pläne für die Zeit nach der Weltmeisterschaft?
René Herms
Ich hoffe mal, auf der Bahn im Olympiastadion. Dann wird der Endlauf
in Helsinki gestartet und die Karten werden neu gemischt. Dann ist
alles möglich.
Nach der WM stehen noch einige Meetings an, u.a. beim ISTAF in
Berlin. Danach folgt ein Übungsleiterlehrgang bei der Bundeswehr. Im
Oktober beginnt dann bereits die Vorbereitung auf die Saison 2006 mit
einem Grundlagen-Trainingslager.
Wir wünschen Dir Gesundheit und viel Erfolg und bedanken uns für das Gespräch.
Das Gespräch führte Olaf Böhme