Paulo Guerra ist Europas bester Crossläufer. Nicht nur, daß der
30jährige bei den 7. Cross-Europameisterschaften in Malmö nach 1994,
1995 und 1999 bereits zum vierten Titel laufen konnte, er ist im
Querfeldeingelände der einzige Europäer, der der afrikanischen
Übermacht einigermaßen Paroli bieten kann. Im Erholungspark
Bulltofta vor den Toren Malmös jedenfalls ließ er einmal mehr keinen
Zweifel daran, wer in Europa die Nummer eins ist - auch wenn er ein
Großteil der olympischen Saison wegen einer Sehnenverletzung ausgefallen
war. Sergey Lebed, der 1998 im italienischen Ferrara das Europachampionat
gewinnen konnte, hatte gegen den kampfstarken Portugiesen keine Chance ebenso
die in breiter Phalanx agierenden Franzosen mit Driss El Himer Lyes Ramoul und
Mustapha El Ahmadi. "Ich habe mich drei Monate lang auf diese
Titelkämpfe vorbereitet und in einer mental starken Verfassung"
kommentierte Guerra seinen neuerlichen Erfolg. "Jetzt möchte ich auch
gegen die Afrikaner bei der Cross-WM in Dublin gut aussehen!"
Die Männer sorgten zweifellos für den Höhepunkt der 7.
Cross-Europameisterschaften in der südschwedischen Hafenstadt, die einmal
mehr im Schnittpunkt des Leichtathletik-Interesses stand. Allerdings wurde das
frühere Flughafengelände eher zu einem familiären Treffen der
Läufer aus 32 Nationen, für die junge Tradition der europäischen
Cross-Country-Meisterschaften eine Rekordbeteiligung. Selbst die eher
frühlingshafen Witterungsbedigungen mit teilweise Sonnenschein konnten die
sportbegeisterten Schweden der Öresundregion nicht zum Zuschauen bewegen,
so blieb einmal mehr ein interessantes, kurzweiliges Ereignis den absoluten
Insidern vorbehalten. Nicht nur durch den vierten Sieg von Paulo Guerra sollte
der zweite Adventssonntag zu einem Festtag für die Portugiesen werden,
sondern das Mannschaftsgold des Frauenteams und erst die Nachwuchssiege durch
die Juniorin Jessica Augusto und das Juniorenteam dürften den Fortbestand
der Cross-Tradition sichern. Nicht zuletzt durch diese exzellente
Medaillensammlung konnte Paulo Guerra von einem "großen Tag für
Portugal" sprechen. Interessanterweise sah dies auch Katalin Szentgyorgyi
nach dem Gewinn des Frauentitels. "Bei uns hat Cross im besonderen und
Langstreckenlaufen im allgemeinen keinen besonderen Stellenwert!" klagte
die 21jährige Ungarin, die das Duell der jungen Generation an der Spitze
des Frauenwettbewerbs mit einem couragierten Antritt in der Schlußrunde
vor der 24jährigen Analidia Torre und der bereits zum vierten Male auf
Rang drei einlaufenden 23jährigen Olivera Jevtic gewinnen konnte.
Mit erhobenem Haupt können aber auch die deutschen Crossläufer den
Weg zurück über den Öresund antreten, denn nur 1997 im
portugiesischen Oeiras war ein deutsches Team mit zwei Medaillen ähnlich
erfolgreich, ansonsten herrschte in den Bilanzen der Verantwortlichen stets das
Prinzip Hoffnung vor. Nicht nur, daß der wie Paulo Guerra kühl
berechnend auftretende Juniorensieger Wolfram Müller das deutsche Lager
jubeln ließ, sondern die unverhoffte Bronzemedaille der deutschen
Langstrecklerinnen war zweifellos die (größere) Überraschung.
Mit Engagement und kämpferischem Elan schafften Michaela Möller,
Sabrina Mockenhaupt und Susanne Ritter einen Erfolg, der die auf der Kippe
stehende Nominierung der deutschen Langstrecklerinnen hundertprozentig
rechtfertigte. "Das Auftreten unserer Frauen hat mich positiv
überrascht", staunte Teamchef Lothar Hirsch über Bronze, auch
wenn er nach einem Gerangel mit einer nicht nachvollziehbaren Reaktion einer
Ordnungskraft und erheblichen Quetschungen der linken Hand andere Sorgen hatte.
"Dafür habe ich die Männer stärker eingeschätzt!"
Wobei er keineswegs Wolfram Müller gemeint haben konnte, der ganz im Stile
eines (erfahrenen) Klassemannes einen nachhaltigen Beweis seines großen
Talentes ablegte, falls es dieses noch nach dem 5000 m-EM-Titel in Riga und der
1500 m-WM-Silbermedaille in Santiago de Chile überhaupt noch bedurfte.
"Ich hätte nicht geglaubt, daß ich so rasch aus dieser
Gruppe herausfallen würde. Mir ging es bis zur vierten Runde wirklich
gut" faßte Sebastian Hallmann seine Eindrücke zusammen. Der
deutsche Langstreckenmeister hatte sich vom Start weg in erlesener Umgebung an
der Spitze des knapp einhundert Läufer großen Feldes festgesetzt -
aber nur bis zur Streckenhälfte. "Als dann aber ordentlich Druck
gemacht wurde, war ich schnell draußen!" Der vierwöchige
Unteroffizierslehrgang hatte dem Freisinger doch mehr zugesetzt, als ihm lieb
war. "Schon alleine deshalb mußte die Cross-EM für mich einen
anderen Stellenwert haben. Mit guter Substanz läßt sich in solch
einem Rennen etwas ausrichten!" ist sich Hallmann sicher. Als 26. befand
er sich freilich dennoch in bester Gesellschaft mit dem Russen Maximov (27.)
oder dem früheren Cross-Europameister Jörgensen (30.). Unter der
Rubrik Erfahrungen sammeln läßt sich der EM-Start für die Wolf,
Mintzlaff, Kröckert und Co. durchaus einordnen. Es wäre falsch, hier
schon den Stab brechen zu wollen, schließlich spiegelt das Abschneiden im
Mittelfeld die derzeitige Situation im deutschen Langstreckenlager wieder.
Während Sabrina Mockenhaupt und Susanne Ritter den unerwarteten dritten
Rang ausgelassen bejubelten, zeigte sich die eigentlich beste deutsche
Starterin Michaela Möller nachdenklich. "Mir war, als hätte ich
eine Blockade in den Beinen"" gestand die 26jährige Architektin.
"Wenn man weiß, was hätte sein können, bleibt eigentlich
nur der Frust. Aber zumindest haben wir Bronze in der Mannschaftswertung
geholt!" richtete sich Michaela Möller aber selbst wieder etwas auf.
Mit "großem Biß" holte sie noch in der Schlußrunde
die furios gestartete Sabrina Mockenhaupt ein, die zwischenzeitlich sogar
einmal auf Rang fünf (!) aufgetaucht war. "Ich glaube, das war doch
etwas zu forsch!" Aber - wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Trotz allem
Wenn und Aber, die DLV-Frauen waren in Malmö Gewinner.
Wilfried Raatz
Lutz Zauber: "Aufbau trägt Früchte" Lohn für
Sabrina Mockenhaupt und Susanne Ritter - Harte Erfahrungen für
DLV-Junioren in Malmö
Nachwuchstrainer Lutz Zauber weiß wovon er spricht, als er in der
Teambesprechung im Athletenhotel Scandic Hotel Triangeln für die Vielzahl
der Debütanten gebetsmühlenartig das Motto "Erfahrungen
sammeln" wiederholt. Gerne hätte schon zu diesem frühen
Zeitpunkt als Beispiele Sabrina Mockenhaupt und Susanne Ritter angeführt,
doch die sollten erst am Folgetag die Bestätigung abliefern. Zusammen mit
Michaela Möller lieferten die 20jährige Sabrina "Mocki"
Mockenhaupt und die 22jährige Susanne Ritter eine Klasseleistung ab, die
letztendlich mit der Bronzemedaille mit 54 Punkten hinter Portugal (18) und
Groß-Britannien (33) belohnt wurde. "Gück muß man
haben" freute sich die nur 1,54 m große Läuferin aus dem
Siegerland und blickte noch völlig aufgeregt auf die knappen
Punktabstände zu den nur hauchdünn folgenden Mannschaften aus Belgien
(55), Rumänien (60), Irland (60) und Frankreich (60). Schließlich
weiß der Bundestrainer die beiden Langstrecklerinnen seit 1997 in Turin
und Oeiras in der internationalen Cross-Konkurrenz. "Die beiden haben es
verstanden, sich den Anforderungen zu stellen" und meint dabei den
konsequenten Aufstieg über die Junioren- hinein in die Frauenklasse.
"Hier trägt unser langfristiger Aufbau erste Früchte!"
Davon sind freilich die DLV-Junioren noch weit entfernt. Sieht man einmal
von Wolfram Müller und dem bei der letztjährigen Cross-EM im
slowenischen Velenje schon eingesetzten Torben Everszumrode ab. "Bei den
Deutschen war mein bislang härtestes Rennen" gestand Antje Hoffmann.
Die 18jährige Langstreckenmeisterin mußte auf dem
kräftezehrenden Geläuf in Bulltofta erkennen, daß international
ein anderer Wind weht. Anfangs tauchte die junge Magdeburgerin noch mutig in
der Spitze neben der inzwischen mit türkischem Paß versehenen Elvan
Can (für Äthiopierin unter ihrem Namen Hewan Abeye gestartet), den
Potter-Zwillingen, Jessica Augusto oder der Schweizer
Triathlon-Junioren-Weltmeisterin Nicola Spirig auf, um schlußendlich als
53. bitteres Debütanten-Lehrgeld zu bezahlen. "Ich mußte immer
am Limit laufen, am Berg ging nichts mehr!" Sie wird gewiß
wiederkommen wie auch die noch am Freitag ins Team gerückte Katja
Rosenplänter, die als Triathletin erst drei Läufe hinter sich hat und
als bestplacierte DLV-Starterin 37. wurde. Sie sollte sich vielleicht als
Vorbild Nicola Spirig nehmen, die als Triathletin und Duathletin weltbeste
Nachwuchsathletin ist und nach Velenje nun auch in Malmö in der
Leichtathletik auf Erfolgskurs läuft. Als Fünfzehnte laufen die
DLV-Juniorinnen als Team in der Punkteaddition der europäischen Klasse
derzeit noch hinterher. "Bis auf Katja sind alle im kommenden Jahr noch
startberechtigt" macht Lutz Zaber allen kräftig Mut. Anders ist die
Situation freilich bei den Junioren, wo Jan Förster (als zweitbester
DLV-Starter hinter Wolfram Müller) allein zurückbleiben wird und ein
Neuaufbau zwingend wird. Dank Müllers Platzziffer eins und dem soliden
Auftritt von Jan Förster und Florian Neuschwander gab es hier mit Rang
fünf übrigens wie 1999 eine standesgemäße Placierung.
-wira
Wolfram Müller wird Cross-Junioren-Europameister "Nun alles
erreicht, was erreichbar war!" - Zum rechten Zeitpunkt die richtige
(Renn)Entscheidung
Lobeshymnen sind auf Wolfram Müller schon einige gesungen worden. Eine
weitere dürfte landauf landab für das "größte Talent
seit Dieter Baumann" (so eine frühere Einschätzung von Teamchef
Lothar Hirsch) nach dem Gewinn der Junioren-Cross-Europameisterschaft auf
Malmös "Bulltofta" fällig sein. "Das war doch ein
guter Abschluß der Jugendklasse" fragt Wolfram Müller im
Umkleidezelt hinter dem Zieleinlauf die Umstehenden und gibt sich selbst die
Antwort: "Ich habe mit den beiden Junioren-EM-Titel in Riga über 5000
m und im Cross hier in Malmö und der Vizeweltmeisterschaft in Santiago de
Chile über 1500 m alles erreicht, was erreichbar war!" An
Selbstbewußtsein mangelt es dem hochaufgeschossenen jungen Mann aus Pirna
keineswegs, schließlich ist er festentschlossen, seinen Weg zum
Professionalismus zu gehen. Erst vor einigen Tagen hat er den Entschluß
gefaßt, der 12. Jahrgangsstufe ade zu sagen, um sich vollends dem
Leistungssport zuzuwenden. "Das kann doch nicht aufgehen: Zwölf
Trainingseinheiten in der Woche, Physiotherapie und in der Schule nicht nur
mithalten, sondern auch noch das Versäumte nachzuholen!" Er setzt
klare Prioritäten, wenngleich er zugibt, daß sich die Schule
"richtig Mühe" gegeben habe. Die neue Trainings- und
Wohngemeinschaft mit Franek Haschke soll nun erst richtig in Fahrt kommen.
Richtig in Fahrt war Wolfram Müller vom Start weg auf dem früheren
Flugplatz vor den Toren Malmös. "Das Tempo war nicht hoch, ich hatte
nie Probleme" versichert er im Brustton der Überzeugung, alles
richtig gemacht zu haben. Zusammen mit den Briten Mohamed Farah und Chris
Thompson, dem Russen Aleksandr Sekletov, dem Portugiesen Rui Petro Silva und
dem starken Österreicher Markus Pröll kontrollierte Wolfram
Müller selbst dann in ausgebuffter Manier das Feld, als der Schwede Henrik
Ahnström selbst schon fünfzig Meter Vorsprung vor den Verfolgern
herausgelaufen hatte. "Ich wußte, der Schwede hält das nicht
durch!" Als dann Müller und Co. in der Schlußrunde das Tempo
etwas anzogen, war es um den tapferen Schweden allerdings rasch geschehen. Mit
dem rechten Blick für die Situation machte Wolfram Müller mit einem
konsequenten Antritt bergauf innerhalb von nur wenigen Metern alles klar - zum
Erfolg. "Obwohl ich eigentlich nicht hierher wollte, habe ich es dann doch
gemacht, dem Henning und der Mannschaft zuliebe", bekannte der neue
Vorzeigeläufer der Nation und dankte damit auf seine Weise
"seinem" Bundestrainer Henning von Papen. Nervenkitzel und etwas
Streß, das ist es, was das die große Nachwuchshoffnung stets auf
Trab hält. Im wahrsten Sinne des Wortes. Eine sich hinziehende
Dopingkontrolle vor Ort, ein aus dem Mannschaftszelt abhanden gekommener
Rucksack mit den Autoschlüsseln des in Dresden stehenden Autos von Kumpel
Haschke, die in letzter Minute erreichte Maschine im Kopenhagener Flughafen -
kein Wunder, wenn sich Wolfram Müller zum Weihnachtsfest auf zwei Wochen
zum Relaxen in der warmen Sonne Lateinamerikas freut....
Wilfried Raatz