In Kooperation mit RUNNER’S WORLD erscheint hier jeden Monat ein Thema aus dem aktuellen Heft.
Früher war vielleicht vieles besser. Laufschuhe waren es ganz sicher
nicht. Die Geschichte des modernen Laufschuhs ist noch nicht sehr alt
und hängt in erster Linie mit dem Entstehen eines Massenmarktes
zusammen, der sich nach Beginn des ersten Laufbooms in den USA Mitte
der siebziger Jahre abzeichnete. Erst in den späten sechziger und
frühen siebziger Jahren kann daher von deutlichen Entwicklungssprüngen
die Rede sein. Wer seit 25 Jahren und mehr läuft, kann sich noch gut an
die ersten Modelle erinnern.
Natürlich gab es schon vorher Sportschuhe, die auch zum Laufen genutzt
wurden. Spezielle Schuhe für Langstreckenläufer waren in der Zeit vor
und nach dem Zweiten Weltkrieg oft Einzelanfertigungen. In den Anfängen
stammten Laufschuhe vor allem von deutschen Schuhmachermeistern, die
sich dem Sport verschrieben hatten.
Eugen Brütting und die Dassler-Brüder waren die Pioniere
Eugen Brütting und die Dassler-Brüder Adi und Horst sind hier zu
erwähnen. Nach gemeinsamem Beginn und späterem Streit gründete der eine
später das Unternehmen Adidas, der andere Puma. Beide blieben in der
fränkischen Kleinstadt Herzogenaurach. Weiter östlich, im fernen Japan,
war es Kihachiro Onitsuka, der bereits in den fünfziger und sechziger
Jahren Laufschuhe entwickelte. Seine Marke hieß zunächst Onitsuka
Tiger, später Asics Tiger und schließlich Asics. Onitsuka und die
Dassler-Brüder kannten sich übrigens sehr gut.
Impulse aus den USA gab es ebenfalls, aber sie kamen vergleichsweise
spät, erst in den siebziger und vor allem in den achtziger Jahren. An
erster Stelle steht hier natürlich Nike, hervorgegangen aus der Firma
Blue Ribbon Sports, die in den sechziger Jahren als US-Importeur von
Asics-Tiger-Schuhen begann. Die Nike-Gründer waren Lauftrainer Bill
Bowerman und sein ehemaliger Läufer-Schützling Phil Knight, ein
ehemaliger Mittelstreckler, dessen Abschlussarbeit am College sich mit
dem Thema beschäftigte, wie ein Sporartikelunternehmen die
Weltmarktführerschaft von Adidas und Puma ablösen könne. Die
Entwicklung des Laufschuhs war immer eng gekoppelt an die Fortschritte
in den Zuliefererindustrien. Durch moderne Ölverarbeitung und die
Chemieindustrie, die immer neue Plastik- und Schaumverbindungen
produzierte, wurde der Grundstein gelegt für moderne Laufschuhe mit
Kunststoff-Mittelsohle. Eine gedämpfte Mittelsohle, Kennzeichen und
Qualitätsmerkmal eines jeden Laufschuhs, wurde erstmals in den
sechziger Jahren eingesetzt. Eines der ersten Modelle mit einer
dämpfenden Schicht in der Zwischensohle war 1970 der Roadrunner von
Brütting. Der Schuhmacher Eugen Brütting ist Namensgeber dieser noch
heute existenten Schuhmarke, die übrigens das Modell Roadrunner nach
wie vor mit nur geringen Modifikationen zur Urform herstellt. Die
Leistenform ist gebogen, die Ferse ausgespart. Die Sprengung tendiert
gegen Null (Vor- und Rückfuß befinden sich auf einer Ebene, ohne
Absatz).
Obermaterial aus Wildleder, ein richtiger Fortschritt
Die Zehenbox war damals deutlich größer als bei bisherigen
Sportschuhen. Vor allem lief sie nicht spitz zu, sondern gab dem großen
Zeh mehr Raum, was etwas ganz Besonderes war. Das Obermaterial bestand
aus weichem Wildleder. Bis dahin wurde festes, mit der Zeit immer
härter werdendes Glattleder eingesetzt. Für die
Mittelsohlenkonstruktion wäre nach heutigen Maßstäben das Wort Dämpfung
sicherlich unangebracht, aber Eugen Brütting hatte derartiges schon im
Sinn. Ähnlich wie Adi Dassler, der als genialer Schuhmacher gilt und
dem unter anderem die Erfindung des Schraubstollens bei Fußballschuhen
zugeschrieben wird; eine Erfindung, die zur Erringung des
Weltmeisterschaftstitels 1954 in Bern wohl auch ihren Beitrag leistete.
Viel später erst widmete sich Dassler auch Schuhen für
Langstreckenläufer.
Der Franke erkannte, dass für den Abrollvorgang beim Laufen ein anderer
Schuh-Leisten nötig war als für Fußballer oder Feld-Handballer, die
noch in den sechziger Jahren verbreitetsten Breiten-Sportarten neben
dem Turnen. 1968, lange vor der ersten Jogging-Welle in Mitteleuropa,
stellte Adidas das Modell Achill vor, einen Meilenstein der frühen
Laufschuhentwicklung. Bis dahin waren Läufer meist in Modellen wie dem
Rom (1960) oder dem Gazelle gelaufen, normalen Sportschuhen. Der Achill
verfügte dagegen über eine vergleichsweise weiche, gedämpfte
Zwischensohle. Das Obermaterial bestand aus Gazellen-Leder, und er
besaß bereits eine Ghilly-Schnürung sowie eine Sägeprofil-Laufsohle.
1969 wurde beim Achill der Fersenkeil eingeführt, wodurch er eine
größere Sprengung bekam: zur Verringerung des Aufprallschocks war das
Material unter der Ferse dicker, die Ferse stand deutlich höher als der
Vorfuß. In puncto Dämpfung war der Achill ein bedeutender Fortschritt,
auch wenn die Konstruktion vielen Läufern Achillessehnen-Beschwerden
einbrachte. Bereits 1968 kamen auch die Modelle Formel 1 und TRX, beide
mit einer spoilerartigen Sohlenkonstruktion: Die Außensohle war
exponiert wie ein Spoiler und reichte hinten bis über die Ferse hinaus.
Bereits in größeren Stückzahlen wurden in den siebziger Jahren Modelle
wie SL72, SL74 oder SL76 (das Jahr anzeigend, in dem sie auf den Markt
kamen) gefertigt. Die Adidas-Modelle hatten damals den
durchschlagendsten Markenerfolg.
Urs Weber
Mehr zu diesem Thema sowie Schuhmodelle aus dem „Laufmuseum“ lesen Sie in der September-Ausgabe von RUNNER’S WORLD.