Ausgerechnet beim Jubiläumslauf mußte Seriensieger Heinz Frei einem
Konkurrenten den Vortritt lassen, dennoch zeigte sich sich der 45jährige
Schweizer als Gentleman: „Joel ist ein großer Champion, er hat
schließlich in diesem Jahr schon viele wichtige Rennen gewonnen!“
Für Heinz Frei ging beim achtzehnten Start seit 1985 und fünfzehn
Siegen, darunter zwölf in Folge zwischen 1991 und 2002, zwar eine
großartige Serie zu Ende, doch Heinz Frei nahm’s gelassen.
Schließlich mußte er sich seinem französischen Konkurrenten
exakt mit jener Taktik beugen, die sonst seine eigene Stärke ist.
„Mich hat schon erstaunt“, kommentierte Dr. Reiner Piltz als
Koordinator des Rollstuhlfahrerfeldes, „dass Heinz Frei Mühe hatte,
den ständigen Attacken von Joel Jeannot zu folgen! Heute hat er ihn
praktisch mit seinen eigenen Waffen geschlagen!“ Für Heinz Frei, der
in seiner außergewöhnlichen Karriere zwölf Goldmedaillen bei
Olympischen Spielen und den Sweltmeisterschaften gewonnen hat, ist damit
freilich noch lange kein Karriereende in Sicht, denn er unterlag auf dem neuen
Berliner Kurs immerhin dem amtierenden Europameister, der im holländischen
Assen den Schweizer schon einmal geschlagen hatte. Für Heinz Frei bleibt
immerhin die Genugtuung, im direkten Vergleich den dreifachen Boston-Sieger
Ernst van Dyck aus Südafrika geschlagen zu haben, der nach einem
technischen Defekt kurz nach dem Start zwar zwischenzeitlich den Anschluss an
die beiden Spitzenfahrer gefunden hatte, aber den ständigen Tempowechseln
letztlich doch klar Tribut zollen mußte. Daß Rollstuhlrennen
keineswegs eine Sache der „Oldies“ ist, das unterstreicht der erst
23jährige Brite David Weir, der sich in diesem Weltklassefeld mit Rang
vier auf Anhieb in der Spitze behaupten konnte. Bei den Frauen hingegen gab es
einen unerwarteten Erfolg für eine Außenseiterin: Die 29jährige
Yvonne Sehmisch aus Herzberg in Brandenburg gewann den Sprint einer
dreiköpfigen Spitzengruppe, die bis auf die Zielgeraden zusammen geblieben
war. „Das ist mein erster großer Sieg in einem
Marathonrennen“, gestand Yvonne Sehmisch im Ziel,
„schließlich ist der Sprint eigentlich meine Stärke!“
Und hier zählt sie als zweifache Olympiadritte über 100 m und 200 m
zu den Besten weltweit. Kurios übrigens, dass die seit Geburt an
behinderte Brandenburgerin über die Langstrecke zum Sprint gewechselt ist
– und nun auf der 42,195 km-Distanz ebenfalls Erfolge feiern kann. Die
als Favoriten gehandelten Francesca Porellato (Italien) und die zweifache
Schweizer Gewinnerin Edith Hunkeler zogen im spannenden Duell den
Kürzeren. Wie problematisch die neue Strecke allerdings für die
Rollstuhlfahrer ist, das zeigt der Unfall der Kanadierin Chantal Petitclerc,
die bereits nach acht Kilometern nach einem Sturz in einer
Straßenbahnschiene mit schweren Schulterverletzungen ins Krankenhaus
gebracht werden mußte. „Das ist natürlich ein Problem, wenn
man mit derartigen Gefahrenquellen noch keine Erfahrung hat“, sagte Dr.
Reiner Piltz. Dagegen fanden die Fahrer durchweg lobende Worte über das
Berliner Marathon-Publikum. „Ich habe noch nie ein derartiges Publikum
gesehen wie heute“, war Ernst van Dyck bass erstaunt über die
Begeisterung an der Strecke. „Die Leute haben dich immer wieder gewaltig
angefeuert. Da konntest Du Dir keine Pause gönnen!“