Nach dem Rennen wurde Josephat Kiprono gefragt, warum er denn kurz vor seinem
entscheidenden Vorstoß bei Kilometer 28 zeitweilig Schlangenlinien
gelaufen sei. "Ich wußte, dass die Konkurrenz sehr stark ist.
Deswegen wollte ich mir die anderen Läufer erst einmal angucken, um zu
sehen, was sie noch drauf haben, bevor ich den Vorstoss startete",
erklärte der Sieger, der für den zweiten Erfolg seines italienischen
Fila-Teams beim Alberto BERLIN-MARATHON nach 1997 gesorgt hatte. Mit jenen
2:06:44 Stunden wurde er zum drittschnellsten Marathonläufer aller Zeiten
und zum schnellsten der Trainingsgruppe von Dr. Gabriele Rosa, zu der immerhin
auch der zweifache kenianische Boston-Marathon-Sieger Moses Tanui zählt.
Der 25-jährige Josephat Kiprono ist aufgewachsen im Great Rift Valley,
aus dem so gut wie alle kenianischen Weltklasseläufer kommen. Noch heute
trainiert er hauptsächlich in der Höhenlage von Kaptagat, in der
Nähe seines Geburtsortes. Unter seinen drei Schwestern und sechs
Brüdern sind noch zwei Läufer, die ebenfalls zum Rosa-Team
gehören: Isaac Kiprono und Lucas Kibet. Zu Dr. Rosa kam Josephat Kiprono
1994. Seine ersten internationalen Erfolge feierte er über die
Halbmarathondistanz. Als sein Landsmann Paul Tergat 1996 in Mailand beim
Stramilano in 58:51 Minuten gewann, war Josephat Kiprono Zweiter in 59:46.
Tergats Zeit konnte jedoch nicht als Weltbestzeit gewertet werden, weil die
Strecke damals um 49 Meter zu kurz war. Doch das sind nicht einmal zehn
Sekunden. Kipronos Leistung schmälert dieses Missgeschick nicht. Im selben
Jahr bestätigte er seine Klasse: Er wurde Zweiter bei der Halbmarathon-WM.
"Es war nicht leicht, Josephat zu überzeugen, es dann einmal mit
einem Marathonstart zu versuchen", erzählt der Sohn von Dr. Rosa,
Frederico, der im Athletenmanagement für seinen Vater arbeitet. "Er
wollte lieber beim Halbmarathon bleiben, denn er hatte großen Respekt vor
der Distanz." 1997 setzte ihn Dr. Rosa als Tempomacher beim
Amsterdam-Marathon ein. Dort lief er bis Kilometer 24. Das machte ihm Mut
für ein Marathondebüt. Im April 1998 lief er dann in Rotterdam
2:09:11 Stunden, ein halbes Jahr später steigerte er sich in Berlin als
Zweiter auf 2:07:27.
Dass er in Berlin nun mit deutlichen Tempowechseln zum Erfolg lief,
erklärte er später so: "Ich mache in Kenia viel
Intervalltraining. Deswegen laufe ich dann auch im Rennen unterschiedlich
schnell - das bin ich so gewohnt." Ein Drittel des Alberto
BERLIN-MARATHONS lief er nach einem Vorstoß bei Kilometer 28 alleine.
Eigentlich hätte zu diesem Zeitpunkt noch sein Trainingspartner Erick
Kimaiyo dabei sein sollen, doch der war auf Grund einer Malaria-Erkrankung in
Kenia geblieben. "Wenn die beiden zusammen gewesen wären, hätten
sie eine sehr gute Chancen gehabt, den Weltrekord zu brechen", sagt Dr.
Rosa, der mit seinen Läufern im nächsten Jahr in Berlin einen neuen
Anlauf nehmen will.
Josephat Kiprono ist ein reiner Straßenläufer. Vom parallelen
Crosslaufen hält Dr. Rosa nicht viel: "Es ist besser, sich zu
spezialisieren", sagt der Italiener. Auch auf der Bahn trainiert Kiprono
nie. "Wenn wir schnelle Einheiten machen, dann suchen wir uns eine ebene
Straße", erklärt Frederico Rosa. In Eldoret, wo Kipronos Frau
mit seinen beiden Kindern wohnt, rennen sie dann zum Beispiel um den Flughafen
herum. Kiprono trainiert so gut wie ausschließlich in Kenia und ist nur
etwa zwei bis drei Wochen im Jahr im italienischen Trainingscamp in Brescia.
Kaptagat liegt etwa 2400 Meter hoch. "Es gibt aber auch Trainingsstrecken,
die 2700 bis 2800 Meter hoch sind", sagt Frederico Rosa. Die unmittelbare
Vorbereitung auf einen Marathon dauert etwas zwei bis drei Monate. "In der
Höhe sind sie wöchentlich maximal etwa 200 Kilometer gelaufen - wir
legen mehr Wert auf eine hohe Qualität des Trainings als auf die
Quantität", erklärt Dr. Rosa. Zu den Trainigspartnern Kipronos,
der im nächsten Jahr nach einem Frühjahrsmarathon gerne bei den
Olympischen Spielen starten würde ("Aber das hängt
natürlich davon ab, ob der Verband mich nominiert"), gehören
neben den Brüdern und einer Reihe von Nachwuchsathleten beispielsweise
auch Rotterdam-Marathon-Sieger Japhet Kosgei, Moses Tanui sowie der
Berlin-Sieger von 1997, Elijah Lagat.