Sebastian Coe (45 Jahre) war einer der größten Läufer. Er wurde
Olympiasieger und hielt gut 16 Jahre lang den 800-m-Weltrekord. Bei der EM in
München arbeitete der Engländer unter anderem als Co-Kommentator
für den Hörfunk der BBC. Sebastian Coe ist in London Mitglied des
House of Lords.
Glauben Sie, dass die Europameisterschaften von München der
europäischen Leichtathletik einen Aufschwung geben können?
Sebastian Coe: Es waren Europameisterschaften, die sehr gut besucht waren,
gut organisiert waren und Atmosphäre hatten. Einige Leistungen waren
stark, andere allerdings weniger gut. Wir müssen in Europa aufpassen, dass
wir im weltweiten Vergleich in manchen Disziplinen nicht den Anschluss
verlieren. Da habe ich ein bisschen Sorge.
An welche Disziplinen denken Sie da besonders?
Sebastian Coe: Der Standard bei einigen Laufwettbewerben ist
enttäuschend gewesen. Zum Beispiel die 5000 m, 10.000 m und der
3000-m-Hindernislauf haben gezeigt, dass der Abstand zur Weltspitze recht
groß ist. Das gilt natürlich nicht für die Frauen.
Was waren die besten Leistungen dieser Europameisterschaften?
Sebastian Coe: Sicherlich ist an erster Stelle der Europarekord über
10.000 m von Paula Radcliffe zu nennen, aber auch die Leistungen im Speerwurf,
eine traditionell starke europäische Disziplin, waren sehr gut. Weltklasse
bewiesen auch der französische 400-m-Hürdenläufer
Stéphane Diagana und der Grieche Konstantinos Kenteris über 200
m.
Die Griechen haben in München vier Goldmedaillen gewonnen –
hat sie dieser Erfolg überrascht?
Sebastian Coe: Nein, das hat mich nicht überrascht. Die Griechen
befinden sich in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2004 in Athen
– das hat man in München gemerkt. Es ist für sie daher sehr
wichtig, gute Athleten und Erfolge zu haben.
Die Deutschen gewannen nur zweimal Gold.
Sebastian Coe: Vielleicht fehlten der Mannschaft hier die Siegertypen. Die
Deutschen spielen in der europäischen Leichtathletik eine wichtige Rolle,
insofern ist es eigentlich gut, wenn sie Erfolg haben.
Sie haben bedauert, dass zu wenige Läufer in zwei Disziplinen an den
Start gehen – so wie Sie selbst früher über 800 und 1500
Meter.
Sebastian Coe: Ja, denn ich glaube, das wäre sehr gut für die
Zuschauer und den Sport – und natürlich auch für den Athleten.
Wer in zwei Laufdisziplinen sehr erfolgreich ist, kann sich als wirklich
herausragender Athlet etablieren. Und das wäre gut für die
Leichtathletik
Wie steht es um Ihre eigene Funktionärs-Karriere – es war
schon einiges in britischen Zeitungen zu lesen.
Sebastian Coe: Im nächsten Jahr wird aus dem Council des
internationalen Leichtathletik-Verbandes mein Landsmann Robert Stinson
ausscheiden. Ich werde mich um seine Nachfolge bewerben. Die Wahl findet im
August vor den Weltmeisterschaften in Paris statt. Ich möchte in der IAAF
die Interessen der britischen Leichtathletik vertreten. Es ist aber nicht
richtig, dass ich die Nachfolge von IAAF-Präsident Lamine Diack
anstrebe.