Die Sportschuhforschung verfolgt insbesondere das Ziel der Prävention von sportartspezifischen Beschwerden und Verletzungen. Basierend auf aktuellen Studienergebnissen hat in den letzten Jahren ein Umdenken bei den Sportartikelherstellern stattgefunden, welches sich in der Konstruktion und dem Aufbau der neuen Modelle widerspiegelt. In der Vergangenheit waren das Dämpfen, Stützen und Führen die wesentlichen Aspekte eines Sportschuhs. Wie eine Vielzahl von Untersuchungen zeigte, konnten diese Funktionseigenschaften die Erwartungen an eine Verminderung von Verletzungshäufigkeiten allerdings nicht erfüllen. Der Idee den „idealen Sportschuh“ zu entwickeln, wirkt heute das Streben nach spezielleren bzw. individuelleren Schuhmodellen entgegen.
„Der Sportschuh im Wandel“
Bislang: | Aktuell: |
Dämpfen | Reduktion der Einflüsse des Schuhs auf den Bewegungsablauf |
Stützen | Stärkere Berücksichtigung individueller Faktoren |
Führen | Reduzierung biomechanisch ungüstiger Faktoren |
Individuelle Passform |
Dämpfung
Untersuchungen zeigen, dass die Beanspruchung von Knorpel, Bändern und Sehnen der unteren Extremitäten nicht bedeutsam von den Dämpfungseigenschaften der Sohle abhängig sind. Wichtiger scheinen in diesem Zusammenhang die aus der Gelenkgeometrie, muskulärer Stabilisierung sowie der Ermüdung resultierende Belastung zu sein. Stellt sich die Gretchenfrage: Welches ist nun das richtige Maß an Dämpfung? Im Laufe der Evolution bewegte sich der Mensch die längste Zeit barfuss auf Naturboden fort. Während der täglichen Jagd waren lange Wegstrecken von 40km nicht ungewöhnlich, wobei schnelles Laufen einen bedeutsamen Selektionsvorteil darstellte. Diese Kraftverhältnisse, auf die sich der menschliche Bewegungsapparat über tausende von Jahren eingestellt hat, ist Ausgangspunkt für aktuelle Überlegungen der Sportschuhentwicklung. So wird vermehrt versucht, die Differenz zwischen Natur- und Kunstboden auszugleichen. Die schützende Funktion des Schuhs für den Fuß einerseits und das Ermöglichen eines natürlich individuellen Abrollverhaltens anderseits, stellen die derzeit zentralen Herausforderungen für die Schuhbauer dar. Zuviel Dämpfung scheint deshalb ebenso problematisch, wie zu wenig.
Bewegungskontrolle
Moderne biomechanische Messverfahren ermöglichen die Berechnung der Belastungen innerer biologischer Strukturen. Im Rahmen der Ursachenforschung von Fehl- und Überlastungsschäden kommt den Gelenkmomenten eine wesentliche Bedeutung zu. So konnte aufgrund des engen Zusammenhangs von Pronation sowie Rotations- und Abduktionsmomenten im Schienbein das Shin-splint-Syndrom (Schienbeinkantensyndrom) erklärt werden. Das Tractus-iliotibialis-Syndrom (Läuferknie) und das Patellofemorale-Schmerzsyndrom (Kniescheibenschmerzen) konnten aufgrund der Pronationsfolge begründet werden. Aber nicht die maximale Pronation ist entscheidend, sondern vielmehr die Kraft, mit welcher der Fuß beim Fersenaufsatz in die Pronation gedrückt wird. Im Vergleich zum Barfußlaufen kann diese Kraft, je nach Konstruktion des Sportschuhs verdoppelt sein, weswegen weit ausladende Fersenpartien inzwischen als sehr kritisch gesehen werden. Dieser Aspekt wird bereits durch beispielsweise eingearbeitete Flexkerben in Verbindung mit einer hochgezogenen Ferse berücksichtigt.
Passform
Für den Sportler zählt die Passform – häufig mit dem Begriff „Komfort“ assoziiert - als eine der wichtigsten Schuheigenschaften. Die Passform ist im Gegensatz zur Dämpfung und der mechanischen Bewegungskontrolle keine rein objektiv bestimmbare Größe, sondern wird zu großen Teilen durch subjektives Empfinden des Sportlers beurteilt. Aus diesem Grund wird der Sportschuh nur als „angenehm“ in seiner Passform bewertet, wenn er individuell auf den Fuß des Athleten zugeschnitten ist. Derzeit ist eine Zunahme der Sportschuhvariationen, welche sich stärker an individuellen und zielgruppenspezifischen Bedürfnissen der Sportler orientieren, zu verzeichnen. Unklar ist bislang, inwiefern eine gute Passform im Fersenbereich mit einer Verminderung der Pronationswinkelgeschwindigkeit (Geschwindigkeit mit welcher der Fuß nach dem Aufsetzen nach innen klappt) einhergeht.
Ausgewählte Beispiele aktueller Sportschuhmodelle
Die genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse kommen in zwei großen Trends der Sportartikelindustrie zum Tragen: Individualisierung der Passform und Generierung von Kräften, ähnlich dem Barfußlaufen auf Naturboden. Verschiedene Firmen bieten mittlerweile Schuhe in unterschiedlichen Weiten an. Die Firma New Balance bietet beispielsweise ein System mit 4 verschiedenen Breiten je Schuhgröße an. Die Abstufung der Breite beschränkt sich allerdings auf den Vorfußbereich.
Nike kommt eine Vorreiterrolle bei der Einführung spezieller Frauensportschuhe zu. Mittlerweile bieten aber alle großen Hersteller geschlechtsspezifische Sportschuhe an. Zunehmende Berücksichtigung bei der Gestaltung der Sohlenflexibilität finden die frauentypischen Proportionen sowie das niedrigere Gewicht. Zukünftig will Nike auf die Problematik eingehen, dass kurze Damenfüße häufig breiter und längere meist schmaler und instabiler sind. Dafür sollen in einer Schuhserie unterschiedliche Leistenformen angeboten werden.
Das Programm „mi adidas“ steht für eine individuelle Sportschuhfertigung der Marke Adidas. Hierbei stehen unterschiedliche Leistenformen für einzelne Schuhmodelle zur Auswahl. Mit einem Fußmessgerät wird der optimal passende Schuh und anschließend mittels kinematischer Messungen, die richtige Mittelsohle bestimmt. Diese Schuhtechnologie wird mittlerweile für den Lauf-, Fußball-, Tennis-, Basketball- und Handballsport angeboten.
Eine Reduktion von Hebelarmen im Rückfußbereich wird häufig durch speziell abgesetzte und leichter deformierbare Zonen erreicht. Dadurch wird der Fuß beim Fersenaufsatz nicht in die Pronation gedrückt. Eine komplette Entkopplung zwischen Schuh und Fersenpartie erzielt Adidas mit dem „ForMotion-Konzept“ (siehe Foto). Hier gleitet die Außensohle auf einer Halbschale und reduziert den Hebelarm sowohl für Vertikal-, als auch für Rotationskräfte. Ziel ist das mit der Pronation verbundene Drehmoment, welches in Zusammenhang mit zahlreichen laufassoziierten Verletzungen gesehen wird, zu reduzieren. Beim Nike Free, welcher nach dem Barfußlaufen konzipiert ist, fehlen sämtliche stabilisierende Elemente. Somit werden beim Tragen dieses Sportschuhs wesentlich höhere Anforderungen an die muskuläre Stabilisierung des Fußes gestellt, als bei herkömmlichen Sportschuhen. Das Modell wird inzwischen stärker als Trainingsgerät, denn als Laufschuh vermarktet.
Die Firma Ecco ist derzeit mit ihrem Biom-Projekt auf dem Markt vertreten. Ein geringes Maß an Dämpfung und keine Bewegungskontrolle charakterisieren diesen Schuh und sollen einen natürlichen Abrollkomfort ermöglichen. Auch hierbei sind Extra-Modelle für Frauen, aber auch für spezifische Zielgruppen (leistungsorientierter Läufer, Fitnessläufer) erhältlich.
Die Auswahl an neutralen Sportschuhen ist zweifelsohne größer geworden. Dennoch sind stabile Modelle, insbesondere mit Pronationsstütze momentan noch die meistverkauften Sportschuhe. Nicht in jedem Fall muss diesbezüglich eine Korrektur bzw. Kontrolle durch den Schuh erfolgen. Grundsätzlich sollte die Pronationsbewegung individuell betrachtet werden. Sportmedizinische Gang- und Laufanalysen bieten hierbei eine wesentliche Hilfestellung bei der Suche nach dem richtigen Sportschuhtyp.
Matthias Jaworski, Sabine Kowalski, SMS- Sports Medicine Science Berlin