LONDON. Was sie mit dem ganzen Geld machen wird, das war eine der ersten
Fragen an Joyce Chepchumba. Mit 230.000 Dollar hatte die Kenianerin als
Siegerin in London die höchste Prämie erlaufen, die jemals bei einem
Marathonrennen ausgezahlt wurde. Zusammen mit dem Antrittsgeld dürfte eine
gute halbe Million DM zusammenkommen. "Vielleicht kaufe ich mir ein
Kleid", antwortete Joyce Chepchumba. "Weiter habe ich mich noch nicht
entschieden. Auf jeden Fall wird meine Familie etwas erhalten."
Joyce Chepchumba stammt aus armen Verhältnisse, "daß ich
jemals so viel Geld verdienen würde, hätte ich nie gedacht". Die
Eltern der 28jährigen sind Farmer im Eldoret-Valley, wo so gut wie alle
kenianischen Spitzenläufer herkommen. Dort zieht ihr Mann den Sohn auf,
während sie mit ihrem Sport das Geld verdient. Oft sieht die Läuferin
ihre Familie monatelang nicht, denn sie hat noch eine zweite Heimat: In der
Nähe von Detmold lebt und trainiert sie mit anderen kenianischen Athleten
bei ihrem Manager Volker Wagner. Der konnte nur rund eine Stunde nach dem
Triumph von Joyce Chepchumba noch einen zweiten großen Sieg feiern. Denn
das Aushängeschild der Gruppe, Tegla Loroupe, die vor einigen Jahren Joyce
Chepchumba mit nach Detmold brachte, gewann zum zweiten Mal in Folge den
Rotterdam-Marathon. Mit 2:22:50 Stunden verpaßte sie nach ihrer
Weltbestleistung vom vergangenen Jahr (2:20:47) allerdings das Ziel, als erste
Frau unter 2:20 zu laufen.
Gegeneinander werden Loroupe und Chepchumba über die Marathondistanz
allerdings in diesem Jahr nicht laufen. "Das wird automatisch im
nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen passieren", sagte Volker
Wagner. Für den Manager ist es zudem sicherlich finanziell attraktiver,
die Läuferinnen in zwei verschiedenen Rennen starten zu lassen. Wenn im
Herbst die nächsten großen City-Marathonläufe auf dem Programm
stehen, dann wird Joyce Chepchumba als Vorjahressiegerin in Chicago laufen. Wo
Tegla Loroupe startet, steht währenddessen noch nicht fest. "Da sie
die erste Zeit unter 2:20 Stunden verpaßt hat, wird sie es noch einmal
versuchen. Dazu braucht sie eine schnelle Strecke. Amsterdam oder Berlin stehen
zur Diskussion", erklärte Volker Wagner. Loroupe hatte bereits
mehrfach ihr Interesse an einem Start in Berlin kundgetan. Doch die finanzielle
Seite spielt eine Rolle - und da steht der Alberto BERLIN-MARATHON nicht in der
ersten Reihe.
Finanziell war der Marathon-Sonntag auch für Manager Volker Wagner ein
wohl einmaliger Erfolg, denn er ist natürlich am Gewinn beteiligt.
Daß bei einem derartigen Doppelsieg in Deutschland mancher Neider
böse Gerüchte streut, damit muß der Detmolder leben. Das gibt
es auch anderswo. Angesprochen auf den schon oft geäußerten
Blutdoping-Verdacht gegenüber spanischen Läufern, sagte der britische
Marathon-Hoffnungsträger Jon Brown, der in London als Vierter von 30.750
Läufern das Ziel erreichte: "Spekulation ist eine Krankheit, die
außer Kontrolle gerät. Sie könnte auch mich plötzlich
betreffen."