Passend zum 21. AVON Frauenlauf - und unserem Anliegen seit
Jahrzehnten den Laufsport der Frauen und Mädchen zu fördern und zu
unterstützen - veröffentlichen wir einen Beitrag von Prof. Dr. Gertrud
Pfister über die Beteiligung von Frauen am Sport, hier bei den
Olympischen Spielen.
Gertrud Pfister hat schon an vielen Läufen von SCC-RUNNING aktiv
teilgenommen. Sie war von 1981 bis 2000 Professorin an der Freien
Universität Berlin, seit 2001 Professorin am Institut für
Sportwissenschaft der Universität Kopenhagen. Vizepräsidentin des
Deutschen Turnerbundes und der Internationalen Gesellschaft für
Sportgeschichte, seit 2004 Präsidentin der Internationalen Gesellschaft
für Sportsoziologie.
Einleitung / Fragestellung
Der Weg der Frauen nach Olympia war mit zahlreichen Stolpersteinen
gepflastert. Der Widerstand richtete sich dabei nicht nur gegen die
Beteiligung von Frauen am Sport, sondern auch gegen die "Emanzipation"
und die als bedrohlich imaginierte Veränderung der Geschlechterordnung
an sich. In einer Zeit, in der Modernisierungsprozesse die
Geschlechterrollen im Alltag zu verändern drohten, sollten Sport und
Olympische Spiele dazu beitragen, den Mythos männlicher Stärke aufrecht
zu erhalten.
An den Auseinandersetzungen über die Beteiligung der Frauen an
Olympischen Spielen waren Gruppen mit divergierenden Interessen, u.a.
das IOC, die internationalen Fachverbände und der Internationale
Frauensportverband, beteiligt. Im folgenden Beitrag sollen die
Forderungen, Strategien und Ideologien dieser Interessengruppen
rekonstruiert werden. Dabei wird deutlich gemacht werden, dass auch
unter den am Diskurs beteiligten Frauen die Integration in die von
Männern dominierten Olympischen Spielen umstritten war. Abschließend
wird nach der Bedeutung der "olympischen Emanzipation" für die
Bewegungskultur der Frauen und Mädchen sowie nach den gegenwärtigen
Problemen und den Perspektiven der Frauen in der Olympischen Bewegung
gefragt.
Außenseiterinnen bei Olympischen Spielen
Die Olympischen Spiele der Neuzeit waren von Männern für Männer
erfunden worden. Frauen hatten in der olympischen Arena nichts zu
suchen und in der olympischen Bewegung nichts zu melden. Wäre es nach
dem Willen Baron de Coubertins, dem "Macher" der Spiele, gegangen, dann
hätten Frauen überhaupt nur die Aufgabe gehabt, die Athleten von den
Zuschauerrängen aus zu bewundern und die Sieger zu bekränzen. Deshalb
durfte auch keine einzige Athletin bei den Wettkämpfen der ersten
Olympischen Spiele der Neuzeit in Athen 1896 antreten. Ironie des
Schicksals: Zwei Frauen liefen "inoffiziell" die Marathonstrecke, eine
vor und die andere nach den offiziellen Wettkämpfen (Pfister 2002).
Allerdings waren die Verantwortlichkeiten für die Organisation der
Spiele zunächst nicht eindeutig festgelegt. Da die Olympischen Spiele
1900 und 1904 im Rahmen einer Weltausstellung stattfanden und die
Entscheidung über das Programm weitgehend in den Händen des jeweiligen
Organisationskomitees lag, wurde in vieler Hinsicht gegen Ideal des
Olympismus verstoßen. Zu den von Coubertin beklagten negativen
Entwicklungen zählte die Zulassung von Frauen zu einem Fest, das er als
zeremonielle Feier männlichen Athletentums beschreibt. Bereits bei den
zweiten Olympischen Spiele in Paris 1900 treten 17 Frauen zu
Wettkämpfen in den Oberschichtsportarten Golf und Tennis an, freilich
"ohne offizielle Zustimmung von Seiten des IOC“.
Erste Olympiasiegerin Helen de Portalès
Außerdem konnten Frauen an einigen der sogenannten gemischten
Wettkämpfe teilnehmen. Die erste Olympiasiegerin war Helen de
Pourtalès, die im Mai 1900 gemeinsam mit drei Männern in einem der elf
Segelwettbewerbe siegte. Und es gab noch weitere "gemischte"
Wettkämpfe, u.a. im Ballonfahren, im Drachensteigen und im
Dressurreiten, bei denen sich allerdings die Wissenschaftler streiten,
ob sie "olympisch“ waren oder nicht. Wenn sie berücksichtigt werden,
dann beteiligten sich wesentlich mehr Frauen an den Spielen von 1900,
als bisher von der Sportgeschichte an- und wahrgenommen wurde.
Nachdem 1904 in St. Louis nur acht amerikanische Bogenschützinnen an
den Spielen teilgenommen hatten, stieg die Zahl der
Olympiateilnehmerinnen 1908 und 1912 langsam an. Gleichwohl blieb das
Programm für Frauen auch bei diesen Spielen auf wenige Sportarten mit
hohem Sozialprestige und hohem Gesundheitswert beschränkt. 1908 standen
Bogenschiessen, Tennis und Eiskunstlauf auf dem Programm der Frauen,
außerdem beteiligte sich jeweils eine Frau am Segeln und am
Motorbootfahren. 1912 durften Frauen im Schwimmen und Tennis antreten.
1908 zum ersten Mal deutsche Teilnehmerinnen
Die ersten Olympiateilnehmerinnen stammten überwiegend aus dem
jeweiligen Gastgeberland; relativ kontinuierlich beteiligten sich vor
dem 1. Weltkrieg nur Athletinnen aus Großbritannien, dem Land mit der
längsten Sporttradition. Sie fehlten nur 1904 bei den Olympischen
Spielen in St. Louis. Deutschland entsandte zum ersten Mal 1908
Sportlerinnen, zwei Eiskunstläuferinnen, zu den Olympischen Spielen
nach London. Elsa Rendschmidt wurde Zweite im Einzelwettbewerb, Anna
Hübler gewann mit ihrem Partner Heinrich Burger die Goldmedaille im
Paarlauf (Kamper/Mallon 1992, S. 295).
Aufschwung 1912 in Stockholm
Einen Aufschwung erlebte der olympische Frauensport 1912: Zum ersten
Mal kämpften Frauen bei den Olympischen Spielen in Stockholm um Meter
und Sekunden. Die "feministischen" Schweden - so das Protokoll der
Sitzung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) von 1911 -
hatten Frauen zu Schwimmwettbewerben zugelassen. Dagegen lehnte das
Schwedische Organisationskomitee den Antrag der Britischen Athletin
Helen Preece auf eine Beteiligung am Modernen Fünfkampf ab.
Die Aufnahme einer so populären Sportart wie Schwimmen in das
Frauenprogramm förderte die Beteiligung von Sportlerinnen aus
zahlreichen Ländern: 11 Nationen hatten Athletinnen zu den Spielen in
Stockholm entsandt (Odenkirchen 1993). Dem deutschen Team gehörten 5
Sportlerinnen an, die alle Medaillen erringen konnten.
Olympische Spiele und / oder "Frauenolympiaden"
Obwohl auch nach dem ersten Weltkrieg der Widerstand gegen die
Beteiligung des "schwachen Geschlechts" am Wettkampfsport nicht
überwunden war, wurden weitere Sportarten für Frauen olympisch: 1924
das Florettfechten, 1928 der Teamwettkampf im Turnen und die
Leichtathletik, die besonders umstritten war. Die Leichtathletik hatte
seit je her als die klassische Domäne der männlichen Athleten gegolten.
Noch in den 20er Jahren konnte Karl Ritter von Halt, ein bekannter
Leichtathlet und IOC-Mitglied von 1929 bis 1964, behaupten: "Der Kampf
gebührt dem Mann, der Natur des Weibes ist er wesensfremd. Darum weg
mit den Damenleichtathletikmeisterschaften ..." (zit. in Kühn 1926, S.
193). Das Eindringen von Frauen in das Zentrum der Olympischen
Bewegung, in das Stadion, stieß bei Coubertin und vielen
IOC-Mitgliedern auf energischen, lange anhaltenden, aber letztlich
vergeblichen Widerstand.
Integration den „Männersport“
Die Integration in den "Männersport" war eine, die Organisation eigener
Verbände und Veranstaltungen war eine andere Möglichkeit für Frauen,
Sport und Leistungssport zu betreiben. Zu den ersten internationalen
Wettbewerben für Frauen gehörten die "Frauenolympiaden", die 1921, 1922
und 1923 in Monte Carlo als Attraktion für die begüterten und
sportbegeisterten Gäste des Fürstentums Monaco ausgetragen wurden
(Meyer 1988). Der Erfolg dieser "Olympiaden", bei denen die
Leichtathletik im Mittelpunkt stand, erleichterte die Organisation
weiterer internationaler Begegnungen im Frauensport. U.a. fand am 30.
Oktober 1921 in Paris ein Länderkampf zwischen England und Frankreich
in der Leichtathletik und im Fußball statt, den der Französische
Frauensportverband (FSFSF) und seine Präsidentin Alice Milliat
initiiert hatten. Auf der dieser Begegnung folgenden internationalen
Konferenz wurde dann die Fédération Sportive Féminine Internationale
(FSFI) gegründet. Anlass war die Weigerung der International Amateur
Athletic Federation (IAAF), sich für die Frauenleichtathletik
einzusetzen. Begünstigt wurde diese Initiative durch die
sportpolitische Konstellation in Frankreich, u.a. durch die Konkurrenz
verschiedener eigenständiger Frauensportverbände.
“Olympische Frauenspiele“
Die wichtigste Aktivität der FSFI war die Durchführung "Olympischer
Frauenspiele“ - 1922 in Paris, 1926 in Göteburg, 1930 in Prag und 1934
in London -, die die Leistungsfähigkeit der Athletinnen dokumentierten
und in der Öffentlichkeit auf positive Resonanz stießen (Pfister 1994;
2001). Diese Frauenweltspiele waren die Trumpfkarte in den
Auseinandersetzungen um den olympischen Frauensport. Sie boten nicht
nur Athletinnen die Chance, durch ihre Beteiligung an internationalen
Wettkämpfen die Marginalisierung des Frauensports zu überwinden, sie
dienten der FSFI auch als wichtigstes Mittel, Druck auf das IOC und
insgesamt Einfluss auf die Entwicklung des Frauensports auszuüben.
Die Auseinandersetzungen zwischen der FSFI und seiner Präsidentin,
Alice Milliat, auf der einen, und dem IOC und dem IAAF auf der anderen
Seite können im Rahmen dieses Beitrags nicht im einzelnen dargestellt
werden. Sie endeten erst 1936 mit einem schleichenden Machtverlust und
der mehr oder weniger erzwungenen Auflösung der FSFI.