Henning von Papen hat keinen leichten Job. Vor allem dann, wenn es gilt, aus
einer wenig überzeugenden Bilanz Positives abzugewinnen. Die Rede ist von
einem der größten Sorgenkinder der deutschen Leichtathletik, dem
Mittel- und Langstreckenlauf. Sparte männlich wie weiblich. Olympiasieger
Dieter Baumann steht derzeit (noch) nicht zur Disposition, Irina Mikitenko hat
ausgerechnet im WM-Jahr verletzungsbedingt ihre Medaillenhoffnung zeitig
begraben müssen. Die Mehr-Runden-Distanzen auf der Bahn wissen zwar um ein
Talent namens Wolfram Müller, doch der 20jährige aus Pirna braucht
selbst als Junioren-Europameister und Junioren-WM-Zweiter noch geraume Zeit, um
international auch bei den Männern einen starken Part zu spielen. Doch es
ist nicht alles Müller. Wo sind sie, die jungen Hoffnungsträger an
der Schwelle des 21. Jahrhunderts? Wie sieht es um die Stärke unseres
laufenden Nachwuchses aus? Henning von Papen winkt mit leichter Resignation ab.
Er hat schon viele Kommen und Gehen sehen. Vor allem Gehen, denn der
Kölner ist schon nahezu zwei Jahrzehnte in der Verantwortung beim DLV und
hat schon viele hoffnungsvolle Läufertypen auf- aber leider auch wieder
absteigen sehen!
„Mit Wolfram Müller und René Herms haben wir zwei, die als
U 23- bzw. U 20-Europameister nahtlos den Sprung schaffen konnten. Dies gilt
einmal international in ihrer jeweiligen Altersklasse, aber auch national bei
den Aktiven. Aber dahinter ist es sehr dünn, vor allem auf der Langstrecke
tut sich praktisch nichts!“ Die Sorgenfalten bei Henning von Papen sind
unverkennbar, die Sprache ist deutlich.
Aber von Papen wäre nicht die rheinische Frohnatur, die selbst in
ziemlich trister Lage noch einen Hoffnungsschimmer am Horizont sieht. Und
diesen nicht zu knapp. Schließlich liefen bei der U 20-EM in Grosseto
noch Kerstin Werner (800 m) und Antje Hoffmann (2000 m Hindernis) auf
Medaillenränge. In Amsterdam wurde Melanie Schulz (3000 m Hindernis)
U23-Europameisterin, außerdem gab es Bronze für Sabrina Mockenhaupt
über 10 000 m. Andere wie André Pollmächer (5000 m) und Jan
Förster (3000 m Hindernis) machten in Grosseto zumindest auf sich
aufmerksam, ebenso wie übrigens auch Christian Köhler (800 m), Franek
Haschke (1500 m) oder Alexander Lubina (10 000 m) in der U23-Kategorie.
Insgesamt läßt dies doch hoffen. „Betrachten wir einmal Jirka
Arndt, der hat praktisch zehn Jahre gebraucht, um als früherer
Junioren-EM-Starter (1991, Anm. der Redaktion) seine beste internationale
Plazierung in Sydney als Olympiaachter zu erreichen!“ Der
Nachwuchs-Bundestrainer möchte dies nicht zur Regel gemacht wissen, doch
das Beispiel Arndt zeigt auf, dass Erfolg oftmals lange Wege bedarf. Es sei
denn, man heißt Müller und könnte als ausgewiesenes Talent
diese lange Wegstrecke rasch und aufsehenerregend verkürzen.
„Unser Problem ist aber“, fasst Henning von Papen das
Grundproblem der deutschen Mittel- und Langstrecken auf, „wir haben nicht
so lange Zeit zu warten, denn unsere Athletendecke ist oben zu
dünn!“ Die Europameisterschaften in München werden
zwangsläufig zur Nagelprobe für die deutsche Leichtathletik. Der
Bonus „junge Jahrgänge“ könnte so manchem der
ausgemachten Talente den Weg zur EM-Teilnahme ebnen, auch wenn selbst diese
Limits einem gewissen internationalen Standard entsprechen. Konkret hieße
dies: Der nach einem hoffnungsvollen Ansatz praktisch die gesamte Saison
ausgefallene Sebastian Hallmann muss als Jahrgang 1977 eine 13:25 über
5000 m laufen, der ein Jahr jüngere Mario Kröckert wäre schon
mit einer 13:35 dabei. Die Achillesferse scheint in den Analysen weniger die
kürzeren Mittelstrecken zu sein, wo so manche Risikobereitschaft wie bei
Franek Haschke belohnt wurde, sondern vielmehr die 5000 m- und 10 000
m-Strecke. „Viele machen das klassische 1500 m-Training und glauben, dann
5000 m- und 10 000 m laufen zu können! Sabrina Mockenhaupt und Alexander
Lubina gehen da einen anderen Weg. Und beide sind in der Lage, auch eine
ordentliche 1500 m-Zeit zu laufen. Thomas Wessinghage und Dieter Baumann haben
dies gezeigt!“
Der Nachwuchs-Bundestrainer sieht durchaus für einige
Nachwuchsläufer eine gute Chance, schon in München im Nationaltrikot
zu laufen. „Natürlich kommt es nicht von alleine. Die EM im eigenen
Land muß Motivation genug sein, sich einmal richtig
‚reinzuhängen‘!“ Für ihn scheitern manche der
sogenannten Talente an ihrer persönlichen Einstellung. „Es fehlen
die Zockertypen. Dies aber im positiven Sinne! Einem, der versucht, ein richtig
dickes Ding zu machen, dem reißen wir bestimmt nicht gleich den Kopf ab,
wenn es dann doch nicht klappen sollte. Bei vielen hat man den Eindruck, die
deutsche Leichtathletik ruhe komplett auf ihren Schultern! Ein Wolfram
Müller nimmt die Beine in die Hand – und läuft eine
Weltklassezeit. Auch über 800 m!“
Henning von Papen ist für manchen Spaß da, für manch
lockeren Spruch. Aber wenn es ernst wird, dann kennt er kein Pardon und fordert
Leistung. Und diese führt nach seiner Auffassung nach nur über
„qualitativ gute Rennen“, wie der Kölner die Herausforderung
formuliert. Deshalb wird man sich bei der DLV-Junioren-Gala in Mannheim auch
von der 5000 m-Strecke verabschieden und stärker auf Rennen in Kassel,
Koblenz oder Essen setzen. Aber auch im Verbund mit Athlet und Heimtrainer
rechtzeitig prüfen, ob das angestrebte vermeindlich schnelle Rennen im
Ausland auch tatsächlich diese Voraussetzungen erfüllt. „Was
haben unsere Leute, wenn vorne in Richtung 12:50 angelaufen wird und der Rest
im Bereich um 13:10 läuft. Wir sollten lieber auf heimische Rennen setzten
und diese so gestalten, dass irgendwann jeder sagen wird: Da muß ich
hin!“ Siehe Koblenzer Oberwerth oder Kasseler Auestadion, bei dem unsere
„jungen Wilden“ Müller, Lubina und May die Akzente setzten.
„Bei den Frauen ist dies ungleich schwerer“, blickt Henning von
Papen auf die weibliche Fraktion, „Hier ist unsere Decke derart
dünn, dass es nur mit einem gemeinsamen Termin mit den Frauen
funktioniert, aber angesichts der Termingestaltung sehr kompliziert!“
Eine feste Größe im Nachwuchs-Förderkonzept bleibt aber der
Crosslauf, wo zumindest auf europäischer Ebene mit kompletten
Juniorenteams Flagge gezeigt werden soll. So wie Mitte Dezember im
schweizerischen Thun. Und hoffen, dass aus einem glanzvollen EM-Auftritt
zumindest eine wie Sabrina Mockenhaupt durchkommen kann, die 1997 in Oeiras ihr
Schlüsselerlebnis hatte.
Wilfried Raatz (aus LA 46/01)