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Warum Stephan Freigang in Athen starten muss

Laufen boomt in Deutschland wie kaum eine andere Sportart: Über 16

Millionen Jogger sorgen für immer neue Teilnehmerrekorde bei den

großen Rennen, und zugleich entstehen mehr und mehr Laufveranstaltungen.

Ende März hatte zum Beispiel der Freiburg-Marathon eine Premiere mit rund

9.000 Teilnehmern. Für den spektakulärsten deutschen

Straßenlauf, den 31. real,- BERLIN-MARATHON am 26. September, liegen

bereits jetzt über 20.000 Anmeldungen vor. Das Limit legt bei 35.000. Doch

der Laufboom beschränkt sich in Deutschland auf die Breite, die deutschen

Topläufer können schon lange nicht mehr Schritt halten.

Im internationalen Vergleich sind die Männer im Marathon nicht einmal

mehr zweitklassig. 2003 schafften es nur zwei Deutsche, einige Sekunden

schneller zu laufen als die beste Frau der Welt: Die Engländerin Paula

Radcliffe hatte beim London-Marathon mit 2:15:25 Stunden einen Weltrekord

aufgestellt. So ist es kein Wunder, dass nun auch kein deutscher Läufer

die Marathonnorm für die Olympischen Spiele unterboten hat. Wer in Athen

dabei sein wollte, musste mindestens 2:11:00 Stunden rennen. In

Großbritannien ist u.a. die Qualifikationszeit der britischen Männer

für Athen 2:15:00.

Deutschen Läufern wird vorgehalten, zu wenig Bereitschaft für ein

hartes und umfangreiches Training zu haben, das auch mit einer entsprechenden

Lebensweise gekoppelt werden muss. Das ist wohl tatsächlich der Hauptgrund

für die schwachen Leistungen. Doch auch die Rahmenbedingungen für ein

derartiges Leben waren für deutsche Langstreckenläufer seit der Wende

selten optimal. Und hinzu kam, dass auch in der Saisongestaltung, in die auch

der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) Einfluss hat, Fehler gemacht wurden.

So spielt der Crosslauf, in vielen anderen Ländern eine unentbehrliche

Trainingskomponente, in Deutschland seit Jahren keine Rolle mehr. Initiativen

der früheren Bundestrainerin Isabelle Baumann sind längst im Sande

verlaufen. Bei der Cross-WM im März schickte der DLV gerade einmal eine

einzige Starterin ins Nachbarland nach Brüssel, wohin beispielsweise die

USA mit über 40 Läufern reiste. Das wurde schon von vielen heftig

kritisiert, auch an dieser Stelle: http://www.berlin-marathon.com/news/show/001874

Viele Aspekte spielen also eine Rolle, wenn es um die schwachen deutschen

Läufer geht. Und in einer Zeit der immer größer werdenden

Konkurrenz, vor allen durch afrikanische Läufer, wird man auf absehbare

Zeit von Erfolgen wie von Stephan Freigang vor zwölf Jahren nur

träumen können. Der damalige Cottbuser wurde 1992 sensationell

Olympiadritter in Barcelona.

Es ist Stephan Freigang, der am 2. Mai beim Hannover-Marathon in 2:14:02

Stunden bei schlechten Wetterbedingungen Deutscher Marathon-Meister wurde.

Für den früheren Cottbuser, der inzwischen für den SC DHfK

Leipzig startet, war dies ein klarer Aufwärtstrend, denn eine solche Zeit

hatte der 36-Jährige seit 1999 nicht mehr erreicht. Obwohl klar ist, dass

Freigang in Athen keine Chance hätte auf eine vordere Platzierung, hofft

er dennoch auf eine Nominierung und erhält dabei Unterstützung.

Der Marathon-Bundestrainer Wolfgang Heinig erklärte vor kurzem, er

würde den besten Deutschen nach Athen schicken. Sein Vorgänger

Winfried Aufenanger, der auch 1992 im Amt war, verlangt dies sogar: „Der

Laufsport hat in den letzten Jahren enorm zugenommen – armes Deutschland,

wenn man dann den besten Deutschen nicht nach Athen schickt“,

erklärte er gegenüber dem Fachblatt „Leichtathletik“.

Doch Rüdiger Nickel, beim DLV als Vizepräsident für

Leistungssport zuständig, macht Freigang wenig Hoffnung: "Was

zählt, ist die erweiterte Endkampfchance, also eine Platzierung unter den

ersten 16. Danach richtet sich die Norm. Wir werden sicherlich alle Fälle

diskutieren, aber es wird andere Athleten in anderen Disziplinen geben, die

dichter dran sind", erklärte Nickel, der den Laufboom und die

Symbolik einer solchen Nominierung nicht gelten lassen will.

Darüber wiederum ärgern sich andere. Horst Milde spricht für

die Basis des Laufsports in Deutschland. Der jahrzehntelange Race-Director des

BERLIN-MARATHON ist zweiter Sprecher der German Road Races (GRR) und sitzt im

Direktorium des internationalen Straßenlaufverbandes AIMS. „Ich

empfinde als beschämend, wenn wir Stephan Freigang im Marathon nicht

starten lassen. Das konterkariert die gesamte Laufentwicklung in Deutschland.

Wir brauchen Vorbilder, selbst wenn sie nicht ganz vorne rennen“,

erklärt Horst Milde.

Historisch wäre es fast schon ein Novum, wenn kein deutscher

Läufer beim olympischen Männer-Marathon an den Start ginge. In

Stockholm 1912 war das zum letzten Mal der Fall, sieht man von jenen Spielen

ab, bei denen aus politischen Gründen keine deutsche Mannschaft dabei

war.

Bei den Frauen sieht es zwar etwas besser aus, doch eine vordere Platzierung

erscheint in Athen ebenfalls ausgeschlossen. Die vergleichsweise zu den

Männern schwächere Norm von 2:30 Stunden hat Luminita Zaituc (LG

Braunschweig) erfüllt. Außerdem qualifizierte sich Ulrike Maisch

(LAV Rostock) mit ihrem 20. Platz beim WM-Marathon von Paris 2003. Sonja Oberem

(Bayer Leverkusen) hat am kommenden Sonntag beim Wien-Marathon noch eine letzte

Qualifikationschance. Sie müsste nach überstandener Muskelverletzung

die Norm unterbieten, um in Athen dabei zu sein.

 

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