Wie kann der deutsche Langstreckenlauf aus der Krise geführt werden? Über dieses Thema diskutierten am Tag vor dem Frankfurt-Marathon Herbert Steffny – Marathon-EM-Bronzemedaillengewinner von 1986 –, Wolfgang Heinig – unter anderem früher Trainer von Katrin Dörre-Heinig und ehemaliger Nationalcoach –, Dieter Hogen – früher Trainer von Uta Pippig und heute Coach einer Reihe von kenianischen Läufern – und der Sportchef vom Hessischen Rundfunk, Ralf Scholt. Moderiert wurde die Diskussion von Christoph Kopp, der unter anderem beim Frankfurt-Marathon für die Verpflichtung der Topathleten zuständig ist.
Vertreter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) waren zwar eingeladen, jedoch hatten sowohl Cheftrainer Jürgen Mallow als auch Lauf-Bundestrainer Detlef Uhlemann aus Termingründen abgesagt. Dass es trotz der sensationellen Siege von Jan Fitschen und Ulrike Maisch bei den Europameisterschaften von Göteborg weiterhin eine Krise gibt im deutschen Laufbereich, darüber waren sich alle Beteiligten einig. Den goldenen Weg aus der Krise wird es nicht geben, und so konnte dieses Diskussionsforum auch nicht dazu dienen, eine Patentlösung herauszuarbeiten.
„Die Welt hat sich weiterentwickelt, doch wir sind stehen geblieben oder sogar ein bis zwei Schritte rückwärts gegangen. Ulrike Maisch hat nach ihrem EM-Sieg selbst gesagt, dass sie damit noch nicht in der Weltspitze ist. Mit den Frauen waren wir ja vor einigen Jahren noch dicht dran oder fast dabei“, sagte Wolfgang Heinig und Herbert Steffny ergänzte: „Den besten deutschen Marathonläufer findet man in der Weltjahresbestenliste zurzeit etwa auf Platz 500 – das ist katastrophal. Viel zu viele ziehen sich viel zu schnell zurück und geben auf mit dem Argument, dass die Läufer aus der dritten Welt sowieso alle Preisgelder abgrasen. Aber das ist zu einfach. Einige müssten stattdessen ebenso wie die Kenianer einmal 100prozentig auf die Karte Laufen setzen.“ Dieter Hogen glaubt, dass es noch schlimmer wird, wenn es in Deutschland so weiter läuft. „Es wird zukünftig noch weniger weiße Läufer geben, die mithalten können. Ich glaube, dass es stattdessen noch deutlich mehr schwarze Topläufer geben wird, da sich in Afrika viel entwickelt. Das gesamte Management der afrikanischen Läufer wird zum Beispiel immer professioneller.“ Speziell für den Marathon prophezeit er sehr harte und hochklassige Konkurrenz. „Wer früher auf der Bahn nicht schnell genug war, ist zum Marathon gewechselt. Doch jetzt ist es ja so, dass die besten Bahnläufer zum Marathon wechseln.“
„Talente sind sicherlich vorhanden, man muss ihnen allerdings die richtigen Anreize geben“, sagte Ralf Scholt. Die Talentfindung und –entwicklung wurde zu einem zentralen Punkt der Diskussion. „Wahrscheinlich“, sagte Herbert Steffny in Anspielung auf ein nicht funktionierendes Talent-Sichtungssystem sowie der Konkurrenz durch andere Freizeitbeschäftigungen, „steht der potenziell beste deutsche Marathonläufer auf einem Surfbrett.“
Anhand eines entsprechenden Beispiels aus dem hessischen Landesverband machte Wolfgang Heinig deutlich, dass schon das Ausgangspotenzial viel zu dünn ist. Von 24 Athleten einer Altersgruppe blieb demnach am Ende praktisch nur einer übrig, der bereit war, nach der Schule zur Bundeswehr zu gehen und somit voll auf die Karte Laufen zu setzen. „Und dies“, so Heinig, „obwohl wir in Deutschland im Prinzip sehr gute Trainingsvoraussetzungen haben.“
Es müssten, so Dieter Hogen, viel mehr Kinder in Deutschland zum Laufen gebracht und dann in Vereinen gut betreut werden. „Das hieße, dass man viel Geld in den Nachwuchs stecken müsste, um dann auch die Talente bei der Stange zu halten und zu entwickeln. Um im Langstreckenlauf erfolgreich zu sein, braucht man eine außergewöhnliche Motivation, es ist eine extreme Anstrengung und eine entsprechend angepasste Lebensweise nötig.“
Eine soziale Absicherung sei dann, da waren sich die Beteiligten einig, der nächste Schritt. Hier liefert Japan ein sehr gutes Beispiel, denn dort werden junge Läufer nach der Schule in Firmenteams betreut. Dadurch ist trotz des Leistungssportes die berufliche Entwicklung abgesichert. Zudem wird in einer leistungsstarken Gruppe trainiert. Ohne Hilfe aus der Wirtschaft – und am besten auch in Kooperation mit den Lauf-Veranstaltern – wird ein solches Konzept nicht umsetzbar sein. Doch zunächst sei es wichtig, dass die Kinder einfach zum Laufen gebracht werden und Spaß daran finden. „Wir haben in Deutschland ja eine regelrechte Bewegungsarmut bei den Kindern, das ist auch eine politische Frage. Wie kann es sein, dass der Schulsport dauernd ausfällt“, sagte Herbert Steffny und fügte in Anspielung auf die Kenianer, die schon durch das Rennen zur Schule oft eine unbewusste Ausdauer-Grundlage legen, hinzu: „Wir sind früher auch noch zur Schule gelaufen.“