Die mit Abstand schnellste Frau im Feld wurde ihrer Favoritenrolle gerecht und
wurde Weltmeisterin: Catherine Ndereba sicherte der Laufnation Kenia im
Marathon am Schlusstag der Titelkämpfe die erste Goldmedaille. Die
31-Jährige, die vor zwei Jahren nach Naoko Takahashi als zweite
Läuferin unter 2:20 Stunden rannte und deren Bestzeit seitdem bei 2:18:47
Stunden steht, gewann in Paris souverän in starken 2:23:55 Stunden, die
Meisterschaftsrekord bedeuteten. Silber und Bronze gingen an die Japanerinnen
Mizuki Noguchi (2:24:14) und Masako Chiba (2:25:09).
Insgesamt dreimal rannte Catherine Ndereba bereits unter 2:20 Stunden. Nach
ihrem Weltrekord in Chicago war sie in 2:19:26 und 2:19:55 Stunden jeweils
Zweite bei den Weltbestzeiten von Paula Radcliffe (Großbritannien) in
Chicago 2002 und London 2003. Die nächstbeste Bestzeit im Feld der
WM-Starterinnen hatte Mizuki Noguchi, die am Ende auch Zweite wurde, mit
2:21:18. Catherina Ndereba verhinderte mit ihrem Sieg bei 17° C und
trockenem Wetter einen totalen Triumph der Japanerinnen, die die Plätze
zwei bis vier belegten.
Die Favoritin hielt sich zurück. Lange Zeit beobachtete Catherine
Ndereba aus der großen Führungsgruppe heraus das Geschehen an der
Spitze. Dass Constantina Tomescu (Rumänien) kurz nach dem Start davonlief
und bei fünf Kilometern in 16:45 Minuten bereits einen Vorsprung von 32
Sekunden hatte auf das große Feld mit fast 50 Läuferinnen,
ließ die Favoritinnen kalt. Nachdem die Hälfte des Rennens in
1:12:46 Stunden gelaufen war, waren immer noch 18 Athletinnen an der Spitze.
Bei 30 km (1:44:01) waren es immer noch 13. Der entscheidende Antritt von
Catherine Ndereba kam kurz vor der 35-km-Marke, die sie mit vier Sekunden
Vorsprung in 2:00:47 Stunden passierte. Nun riss das Feld auseinander. Mizuki
Noguchi versuchte, der Kenianerin zu folgen, doch erreichen konnte sie sie
nicht mehr. Ulrike Maisch (LAV Rostock) lief als 20. immerhin eine
persönliche Bestzeit von 2:31:21 Stunden.
Die Kenianer sorgten danach für eine Überraschung. Der
19-jährige Eliud Kipchoge schaffte eine kleine Sensation, denn er
vermasselte den beiden Goldmedaillengewinnern im Rennen ein
prestigeträchtiges Double. In einem atemberaubenden Endspurt setzte sich
Eliud Kipchoge in 12:52,79 Minuten ganz knapp vor dem ins Ziel stürzenden
Hicham El Guerrouj durch. Der Marokkaner, der zuvor bereits die 1500 m gewonnen
hatte, lief 12:52,83 Minuten. Dritter wurde der äthiopische
10.000-m-Sieger von Paris, Kenenisa Bekele in 12:53,12. Hicham El Guerrouj
schaffte trotzdem ein Novum: Er ist der erste Läufer, der bei einer
Weltmeisterschaft sowohl über 1500 Meter als auch über 5000 Meter
Medaillen gewann.
Ein anderer Titelanwärter hatte kurzfristig auf einen 5000-m-Start
verzichtet: Saif Saaeed Shaheen, der vor kurzem noch für Kenia als Stephen
Cherono lief, wollte eigentlich nach seinem Triumph über 3000 Meter
Hindernis auch noch den 5000-m-Titel für Katar gewinnen. Doch dann stand
er doch nicht auf der Startliste über jene Distanz, über die er in
Ostrava eine Jahresweltbestzeit von 12:48,81 Minuten gelaufen war und dabei
Hicham El Guerrouj geschlagen hatte. Nun war Shaheen nicht am Start – und
trotzdem musste der Marokkaner seine zweite Niederlage über 5000 m in
diesem Jahr hinnehmen. “Vielleicht hätte ich mir die Haare ein
Stück kürzer schneiden sollen“, flüchtete sich Hicham El
Guerrouj in Ironie, nachdem er mit nur vier Hunderstelsekunden Rückstand
das zweite Gold verpasst hatte. Aber er sagte auch: “Ich bin wirklich
sehr glücklich über diese Medaille. Das Ziel war eine zweite Medaille
für Marokko.“
Es war Kenenisa Bekele, der anfangs für hohes Tempo sorgte. In 2:31,94
Minuten passierte er die 1000-m-Marke. Doch trotz des enormen Tempos wurde er
seine Konkurrenten nicht los. “Ich wusste, dass es die einzige Chance
sein würde Hicham El Guerrouj zu schlagen, wenn das Tempo hoch bleibt, so
dass er dadurch müder wird. Vielleicht hätte ich besser von Anfang an
noch schneller laufen sollen“, erklärte Kenenisa Bekele, der eine
Woche zuvor im Spurt seinen Landsmann Haile Gebrselassie über 10.000 m
bezwungen hatte.
Bekele lag auch bei der 2000- und 3000-m-Marke vorne. Das Tempo war jetzt
allerdings etwas langsamer mit Zwischenzeiten von 5:07,27 Minuten
beziehungsweise 7:45,44. Es entwickelte sich der erwartete Kampf zwischen
Äthiopien, Kenia und Hicham El Guerrouj. “Das Problem war, dass
jeder natürlich gewinnen wollte. Und so hat jeder gewartet und den anderen
beobachtet“, erklärte Bekele später und fügte hinzu:
“Ich bereue nicht, dieses Double gelaufen zu sein, denn ich habe viel
Erfahrung gewonnen. Ich werde weiterhin über 5000 und 10000 m
antreten“, sagte Bekele.
800 Meter vor dem Ziel übernahm Hicham El Guerrouj die Initiative. Er
beschleunigte und ging an die Spitze. Doch auch der Marokkaner wurde seine
Konkurrenten nicht los. 200 Meter vor dem Ziel führte er immer noch, doch
hinter ihm liefen Kipchoge und Bekele. Ausgangs der Zielgeraden kam der Angriff
des Kenianers. Zentimeterweise schob er sich am 1500-m-Weltrekordler vorbei,
während Bekele in diesen packenden Zweikampf nicht mehr mit eingreifen
konnte. Auf den letzten Metern war Eliud Kipchoge dann minimal vor Hicham El
Guerouj und hielt diesen Vorsprung. “Diese Weltmeisterschaften waren
bisher so schlecht für Kenia – und jetzt haben wir noch zwei
Goldmedaillen gewonnen. Ich bin sehr froh darüber. Drei Runden vor Schluss
fühlte ich mich noch stark und wusste, dass ich am Ende eine Chance hatte
mit einem starken Spurt. Ich bin hinter Hicham hergelaufen“, sagte Eliud
Kipchoge und fügte hinzu: “Als ich im Frühjahr
Junioren-Weltmeister im Cross wurde, habe ich gemerkt, dass für mich alles
möglich ist.“ Der nächste kenianische Läufer-Star ist
geboren.
Das 800-m-Rennen brachte ebenfalls eine Überraschung, denn am Ende
triumphierte der Algerier Djabir Said-Guerni in 1:44,81 Minuten. Mit drei
Hundertstelsekunden Vorsprung vor dem Russen Juri Borsakowski und dem
Südafrikaner Mbulaeni Mulaudzi (1:44,90). Weltrekordler Wilson Kipketer
(Dänemark) wurde in1:45,23 Minuten Vierter. Kipketer hatte nach der ersten
Runde geführt (52,46 Sekunden), doch im Endspurt hatte er keine Chance.
Borsakowski, der zum ersten Mal bei einem internationalen Sommerhöhepunkt
über die 800 Meter startete, war wie üblich zunächst Letzter. In
der vorletzten Kurve ging er dann außen an den Konkurrenten vorbei und
200 Meter vor dem Ziel führte er. Doch der Russe hatte sich etwas
verspekuliert mit seiner spektakulär aussehenden Renntaktik. Denn auf den
letzten Metern ging ihm die Kraft aus und Djabir Said-Guerni fing ihn drei
Meter vor dem Ziel noch ab. “Ich habe alles gegeben, was ich
hatte“, sagte der Sieger. Und auch der zweitplatzierte Borsakowski war
nicht enttäuscht: “Es war ein tolles Rennen, und ich bin zufrieden
mit meinem Resultat.“
Es war nicht der Tag der Favoriten bei den Lauf-Entscheidungen auf der Bahn.
Über 1500 Meter musste sich fast sensationell auch die Türkin
Süreyya Ayhan geschlagen geben. Schon während des Rennens wirkte sie
nicht ganz so souverän wie zuletzt. Eingangs der Zielgeraden führte
Ayhan zwar, doch die Russin Tatjana Tomaschowa nutzte die Schwäche der
Türkin aus und überholte sie im Endspurt. In 3:58,52 Minuten gewann
sie vor Ayhan (3:59,04) und, ebenfalls eine Überraschung, der Britin
Hayley Tullett, die in 3:59,95 Minuten persönliche Bestzeit lief.