Es war 50 Minuten vor der Startzeit des 1500-m-Finales der Frauen, als am
Schlusstag der Leichtathletik-Weltmeisterschaften um 17.30 Uhr der
türkische Ministerpräsident Recep Tayyib Erdogan überraschend in
Paris landete. Umgehend wurde er ins Stade de France gefahren, wo Erdogan
rechtzeitig eintraf, um das Rennen von Süreyya Ayhan zu sehen. Seit die
Türkin vor einem Jahr bei den Europameisterschaften von München
unerwartet den 1500-m-Titel gewonnen hatte, ist sie in der Türkei trotz
der scheinbar übermächtigen Konkurrenz des Fußballs die
beliebteste Sportlerin. Der Besuch des Staatschefs zeigt die Bedeutung, die die
Läuferin für die Türken hat.
Auch in Paris galt Süreyya Ayhan als Favoritin – und der
Ministerpräsident kam in der Erwartung eines Sieges. Dass am Ende nur
Silber herauskam, lag an der Russin Tatjana Tomaschowa, die Ayhan im Endspurt
überraschte. Doch der Trip des Ministerpräsidenten hat sich trotzdem
gelohnt, denn Süreyya Ayhan schrieb türkische Sportgeschichte. Zum
ersten Mal gewann das Land bei einer großen internationalen Meisterschaft
– Weltmeisterschaft oder Olympische Spiele – eine Medaille. Wegen
dieses Ereignisses hatte Erdogan, der früher Fußball spielte und
daher ein Interesse für Sport hat, seinen geplanten Flug von Istanbul nach
Berlin, wo er zu einem politischen Treffen erwartet wurde, kurzfristig
verschoben. Er quetschte noch einen Abstecher nach Paris ins Programm, um
Süreyya Ayhan zu gratulieren.
Unmittelbar nach einer kurzen Pressekonferenz, bei der er im Blitzlicht der
Fotografen dem Sportstar offiziell gratulierte, verließ Erdogan das
Stadion wieder, um nach Berlin zu reisen. “Bevor ich hierher kam, dachte
ich, Süreyya Ayhan würde gewinnen. Aber in meinem Herzen und in den
Herzen der türkischen Menschen ist sie die Weltmeisterin. Sie hat diese
Anerkennung verdient, denn sie hat alles gegeben für ihr Land. Heute hatte
sie einfach kein Glück. Ich bin mir aber sicher, dass sie im nächsten
Jahr bei den Olympischen Spielen in Athen gewinnen wird“, sagte der
Ministerpräsident.
Das Finale mit Süreyya Ayhan war in der Türkei ein großes
Ereignis. In mehreren Städten wurden große Videotafeln aufgebaut,
damit die Menschen das Rennen live verfolgen konnten. Natürlich hofften
die Türken auf Gold. Aber da es am Ende die erste große
Leichtathletik-Medaille gab, gab es keinen echten Grund zur Enttäuschung.
In Städten und Dörfern des Landes haben seit Ayhans EM-Sieg Kinder
begonnen, es ihrem neuen Idol nachzumachen. Sie rennen durch die Straßen
mit dem Ziel, die nächste Süreyya Ayhan zu werden.